piwik no script img

Bildungsreferentin über Kolonialismus„Viele junge Menschen erleben koloniale Kontinuitäten“

Viktoria Zvolski findet Wege, um Jugendliche für Erinnerungskultur zu begeistern. Denn im Schulunterricht kommt das zu kurz.

Rassistisches Denkmal aus der NS-Zeit: Das „Askari-Relief“ im sogenannten „Tansania-Park“ in Hamburg-Jenfeld Foto: Ulrich Perrey/dpa
Interview von Quirin Knospe

taz: Frau Zvolski, warum spielt postkoloniale Erinnerungskultur in unserer Gegenwart noch immer eine Rolle?

Viktoria Zvolski: Weil es in der Gegenwart immer noch koloniale Kontinuitäten gibt. Es ist wichtig, den deutschen Kolonialismus ein bisschen mehr in der deutschen Erinnerungskultur zu verankern, aber auch die Verflechtung zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus.

taz: Warum sollten sich gerade Jugendliche dafür interessieren?

Zvolski: Viele junge Menschen erleben selbst koloniale Kontinuitäten in Form von Diskriminierungsstrukturen und Rassismen, auch schon mit zwölf Jahren – und das bevor sie etwas zum Kolonialismus und Nationalsozialismus in der Schule gelernt haben.

taz: Wie begeistert man Schü­le­r:in­nen für Erinnerungspolitik? Ist das Thema manchen in diesem Alter nicht egal?

Zvolski: Ja, das könnte man denken. Wir haben den Zugang über den sogenannten Tansania-Park geschaffen, eine Denkmalanlage in Hamburg-Jenfeld. Zu Beginn des Projekts haben wir als erstes eine Parkbegehung gemacht. Die Denkmäler dort machen deutlich, wie koloniale Gewalt und ihre Ideologien bis heute nachwirken – sowohl im öffentlichen Raum als auch im kollektiven Gedächtnis. Man versteht relativ schnell, dass die beschriebene Geschichte auch etwas mit der Gegenwart zu tun hat. Und ab da wird es dann interessant.

Bild: privat
Im Interview: Viktoria Zvolski

30, ist Bildungsreferentin und im gemein­nützigen Verein „Salon International e. V.“ verantwortlich für Projektentwicklung und Koordination im Bereich Bildung und Schule.

taz: Inwiefern?

Zvolski: Wenn die Schüler über die eigene Realität sprechen können, bekommen sich einen ganz anderen Zugang zu dem Thema. So etwas kommt im Schulunterricht oft zu kurz. Wir haben nach der ersten Begehung direkt sehr positive Rückmeldungen bekommen, dass es sehr interessant und spannend gewesen sei. Ich war selber überrascht, wie viele Namen und Informationen bei den Schü­le­r:in­nen hängen geblieben sind. Das Interesse war also nicht das Problem.

taz: Wie konnten die Schülerinnen dabei ihre eigenen Alltagserfahrungen reflektieren?

Zvolski: Wir haben dafür unterschiedliche Workshops gemacht, um ihnen die komplexe Geschichte näher zu bringen. Im Tansania-Park überlagern sich zwei zentrale Kapitel deutscher Gewaltgeschichte – Kolonialismus und Nationalsozialismus – und werden dort sichtbar. Das zu verstehen, dauert ein bisschen. Deshalb war unser Ansatz, das häppchenweise zu machen.

taz: Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Zvolski: Nach der Parkbegehung haben wir einen Zeitstrahl mit Biografien und einzelnen historischen Daten zusammengestellt, auf den wir uns während des Projekts immer wieder bezogen haben. Aber wir haben auch Workshops zu Diversität, Sensibilität organisiert, in welchen wir über eigene Perspektiven geredet haben. Wir reden oft über Schüler:innen, aber nicht mit ihnen. Viele Menschen wissen nicht, was es bedeutet, als zwölfjähriges Mädchen oder Junge mit Migrationsgeschichte in Wilhelmsburg oder Jenfeld aufzuwachsen – das wissen nur die Jugendlichen selbst. Deshalb war es auch für uns spannend, mit den Schülerinnen zusammenzuarbeiten.

Aktionstag „Alte Geschichte(n), neue Zugänge – Wie klingt postkoloniale Erinnerung, wenn Jugendliche erzählen?“: So, 6. Juli, 13–17 Uhr, Tansania-Park, Wilonstr. 64–68, Hamburg

taz: Ist die Selbstreflexion den jungen Schü­le­r:in­nen schwer gefallen?

Zvolski: Den Schü­le­r:in­nen ist es vor allem leicht gefallen, über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen – auch in der Gruppe. Als wir beispielsweise einen Bastelworkshop hatten, haben sie sich auch gegenseitig über ihre eigenen Kulturen, Herkünfte und Sprachen ausgetauscht. Schwieriger war es, den Jugendlichen die komplexe Geschichte näher zu bringen. Allerdings wussten die meisten schon sehr viel, obwohl sie die Themen noch nicht in der Schule behandelt hatten. Meistens hatten sie das Wissen aus Filmen oder dem Internet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!