Bilanz nach „Rainbow Gathering“ im Harz: Kacke statt Liebe
Die Behörden sind nach dem illegalen Hippie-Camp sauer. Und üben ein bisschen Selbstkritik dafür, dass sie die Arbeit der Presse behindert haben.
![Eine Frau sitzt auf einer Wiese und spielt Ukulele. Eine Frau sitzt auf einer Wiese und spielt Ukulele.](https://taz.de/picture/7225845/14/479001694-1.jpeg)
Mitte August hatte die „Rainbow Family“ in einem Landschaftsschutzgebiet zwischen Bad Grund und Buntenbock Zelte aufgestellt, Hängematten aufgespannt, eine Küche aufgebaut und Feuerstellen angelegt. Illegal, wie die Landkreise Göttingen und Goslar, auf deren Gebiet das Camp lag, betonten. In dem Schutzgebiet seien „wildes Campen“ und offenes Feuer verboten. Die Vollmondnacht vom 19. auf den 20. August wollten die Rainbow-Leute an einem großen „Ritualfeuer“ feiern. Außerdem, so die Kreisverwaltungen, hätten die Camper mit der Blockade von Rettungs- und Fluchtwegen massiv und wiederholt gegen weitere rechtliche Bestimmungen verstoßen.
Am 13. August verfügten die Behörden deshalb ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot für das rund 200 Hektar große Gelände. Zu mehreren Einsätzen rückten teils Hunderte Polizisti:innen, Feuerwehrleute und andere Dienste aus. Dabei seien „70 Zelte respektive zeltähnliche Gegenstände konfisziert, 97 Fahrzeuge abgeschleppt, mehrere Feuer gelöscht und unzählige Ansprachen und Durchsagen gemacht“ worden, berichteten am Mittwoch Goslars Oberkreisdirektor Alexander Saipa und Göttingens Kreisrätin Marlies Dornieden.
Von Erfolg gekrönt waren die Ansagen aus Behördensicht aber nicht. „Was wir hier über fast den gesamten August erleben mussten, stimmt mich ausgesprochen ärgerlich“, sagte Saipa. Die Rainbow-Family habe „mit einer unnachahmlichen Renitenz gegen die gesetzlichen Regelungen sowie Verbote und Aufforderungen der Behörden verstoßen und sich ausgesprochen flegelhaft und fahrlässig verhalten“.
In dem Waldgebiet sei „massiv viel Müll verursacht, tonnenweise Notdurft in der Natur hinterlassen und durch illegale Feuerstellen eine mitunter nicht zu kontrollierende Gefahr für Leib und Leben produziert“ worden. Saipa bezweifelt, „dass wir uns auf die angekündigten Aufräumaktionen im Nachgang wirklich verlassen können“.
Eine Auflösung des Zeltlagers war für die Landkreise gleichwohl keine Option. Bei staatlichen Handlungen müsse stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, hieß es. Eine Räumung sei auch mit Blick auf die Größe des Areals unrealistisch gewesen. Eine solche Fläche lasse sich auch nicht vollständig abriegeln, „um ein erneutes Eindringen zu verhindern“. Zahlreiche Rainbows müssten in den nächsten Wochen aber mit Post aus Goslar und Göttingen rechnen. Insgesamt haben die Behörden 110 Bußgeldverfahren eingeleitet.
Die Berichterstattung über das Camp war namentlich vom Kreis Göttingen erheblich erschwert worden. Er hatte in seiner Allgemeinverfügung ein Betretungsverbot auch für Journalisten ausgesprochen. Ein Reporter berichtete, die Leiterin der Kreis-Pressestelle habe ihm vor Ort das Betreten des Gebietes untersagt – und ihn stattdessen zu Polizisten geführt, die seine Personalien aufnahmen.
Der Kreis wies Fotograf:innen auch darauf hin, dass Aufnahmen aus der Sperrzone illegal seien. Im Falle einer Veröffentlichung wurde ihnen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren und ein Bußgeld von 5.000 Euro angedroht. Stattdessen wurden den Medien Fotos angeboten, die ein Fotograf im Auftrag der Behörden gemacht hatte.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in Niedersachsen übte scharfe Kritik an dem Vorgehen. „Bei allem Verständnis für Sicherheit und Naturschutz darf die Berichterstattung bei polizeilichen Maßnahmen nicht komplett unterbunden werden“, sagte Landesgeschäftsführerin Christiane Eickmann.
Saipa und Dornieden erklärten, sie hätten die Situation „im Hinblick auf die Arbeit der Pressevertretungen falsch eingeschätzt“. Beiden Kreisverwaltungen sei „viel daran gelegen, die Öffentlichkeit gemäß ihrer gesetzlichen Verpflichtung transparent und umfassend mit Informationen sowie weiteren Medieninhalten zu versorgen“.
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