Betrugsskandal bei Alternativmarke: Razzien bei Neuland-Fleisch
Eine Staatsanwaltschaft prüft Betrugsvorwürfe, die sich jetzt auch gegen eine Vertriebsfirma des Siegels für Fleisch aus „artgerechter Haltung“ richten.
BERLIN taz | Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat die Ermittlungen wegen des Etikettenschwindels beim Tierschutzlabel Neuland ausgeweitet. „Wir ermitteln inzwischen auch gegen einen Verantwortlichen einer Vermarktungsgesellschaft, und zwar wegen des Verdachts des Kennzeichnungsverstoßes und Betrugs“, teilte Behördensprecherin Frauke Wilken am Donnerstag der taz mit.
Die Oberstaatsanwältin nannte keine Namen. Neuland-Funktionäre bestätigten aber, dass es sich um den Geschäftsführer der für Norddeutschland zuständigen Vertriebsfirma des Siegels für Fleisch aus „besonders artgerechter und umweltschonender Tierhaltung“ handelt.
Das neue Verfahren ist Wilken zufolge aus den Ermittlungen gegen einen Landwirt und Schlachthofinhaber entstanden. Er soll jahrelang normales Hähnchenfleisch als teurere Neuland-Ware an die Vermarktungsgesellschaft verkauft haben. „Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens hat sich der Verdacht ergeben, dass das bei der Vermarktungsgesellschaft bekannt gewesen sein könnte“, sagte Wilken.
Um die Sache zu klären, hätten die Behörden am Mittwoch an fünf Orten Räume durchsucht und unter anderem in Bad Bevensen, Bonn und Sachsen-Anhalt „Datenmaterial und Unterlagen beschlagnahmt“. In Bad Bevensen sitzt die Vertriebsfirma, in Bonn der Neuland-Verein. Ihm gehört das Siegel, er stellt die Regeln auf.
Niemand soll es etwas gemerkt haben
Der Verdacht der Staatsanwaltschaft stellt die Darstellung des Falls durch Neuland selbst infrage: Der Verein hatte mitgeteilt, eine von ihm in Auftrag gegegebene Sonderprüfung durch die Zertifizierungsfirma GfRS habe "keine Anhaltspunkte für ein Mitwissen von Mitarbeitern der Neuland-[Vertriebs]-GmbH beim Betrug ergeben". Niemand soll gemerkt haben, dass der beschuldigte Landwirt mehr Hähnchen lieferte, als nach den Neuland-Regeln möglich war. Um Agrarindustrie-Farmen auszuschließen, schreibt der Verein vor, dass ein Betrieb maximal rund 80.000 Hähnchen pro Jahr erzeugen darf. Doch zuweilen lag die Liefermenge bei etwa 100.000.
Trotz der Ermittlungen will der Aufsichtsratsvorsitzende der Neuland-Vertriebsgesellschaft, Gerhard Bohm, deren Chef weiterhin nicht von seinem Posten entfernen. Es gebe nichts Neues, sagte er der taz. Ähnlich äußerte sich Jochen Dettmer, Bundesgeschäftsführer des Neuland-Vereins. Er sieht auch keinen neuen Grund, der Vertriebsfirma die Lizenz für die Nutzung des Siegels zu entziehen. Schließlich wolle man die Lizenzverträge ohnehin neu aushandeln.
Neuland schreibt zum Beispiel mehr Platz im Stall als in konventioneller Haltung und bei Schweinen Stroh als Einstreu vor. Anders als bei Biobetrieben darf das Futter aber mit Pestiziden und Kunstdüngern erzeugt werden. Neuland hatte bislang in der Ökoszene auch deshalb großes Gewicht, weil der Verein von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Umweltorganisation BUND und dem Deutschen Tierschutzbund getragen wird. Aber: Der Marktanteil ist mit unter 0,5 Prozent gering.
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