Bertelsmann-Studie zu Willkommenskultur: Es geht bergauf

Migration war in den vergangenen Jahren ein Reizthema. Eine neue Studie zeigt nun, dass immer mehr Menschen Zuwanderung als Chance sehen.

Ein Papier und eine Hand.

Teilnehmer eines Einbürgerungstests in Berlin Foto: Thomas Koehler/photothek/picture alliance

BERLIN taz | Die Ampel-Koalition will neue Töne anschlagen. Doch manch markige Aussage klingt, als säße noch immer die Union vor den Mikrofonen. „Es muss klar sein, dass Menschen, die unsere Werte nicht teilen und die straffällig werden, nicht bei uns bleiben können“, sagte Anfang der Woche der designierte FDP-Generalsekretär Biahn Djir-Sarai. Es ist das ewige Mantra des Geflüchteten, der sich der Integration verweigere, wenn nicht Schlimmeres. Gesamtgesellschaftlich aber nimmt der Fokus auf die Chancen von Migration zu. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Der repräsentativen Studie mit dem Titel „Willkommenskultur zwischen Stabilität und Aufbruch“ zufolge nehmen optimistische Einstellungen zur Migration in der Bundesrepublik zu. Ablehnende oder skeptische Einstellungen seien weiterhin deutlich spürbar, gingen aber langsam und ebenfalls kontinuierlich zurück. So stehe etwa die Aufnahmebereitschaft Geflüchteten gegenüber in der aktuellen Befragung „erstmals wieder an einem ähnlichen Punkt wie vor 2015“, so die Bertelsmann-Stiftung, die seit 2012 regelmäßig Menschen in Deutschland zu ihrer Einstellung gegenüber Migration befragt.

Sehr deutlich differenzieren die Befragten zwischen den verschiedenen Formen der Migration. So geben 71 Prozent an, Menschen, die zum Arbeiten oder Studieren ins Land kämen, würden in der Bevölkerung willkommen geheißen. Über Geflüchtete sagen das mit 59 Prozent deutlich weniger.

Doch auch hier ist ein Aufwärtstrend zu verzeichnen: Während 2017 mehr als die Hälfte der Befragten angab, Deutschland sei an seiner Belastungsgrenze und könne keine Geflüchteten mehr aufnehmen, sagen dies inzwischen nur noch 36 Prozent. Fast die Hälfte findet, Deutschland solle sogar mehr aufnehmen, weil das humanitär geboten sei. Solche Ansichten, so die Studienautor*innen, stünden wohl auch unter dem Eindruck der katastrophalen Lagen in Afghanistan oder an der polnisch-belarussischen Grenze.

„Reinwachsen“ in die Einwanderungsgesellschaft

Die Studie schlüsselt auf, wie ambivalent die Einstellungen der Menschen in Deutschland gegenüber Zuwanderung ist – und wie sehr das auch von den eigenen Lebensrealitäten abhängt. So fokussieren junge Menschen stärker als Ältere auf die Chancen von Zuwanderung. Und während in Westdeutschland 62 Prozent der Bevölkerung eine offene Haltung gegenüber Geflüchteten bescheinigen, sehen das in Ostdeutschland nur 42 Prozent der Befragten so – was trotzdem eine enorme Verbesserung darstellt. 2017 lag der Wert dort nur bei 33 Prozent.

Menschen mit Migrationshintergrund gewichten laut Studie strukturelle Chancenungleichheit und Diskriminierung deutlich stärker als Integrationshemmnis als Menschen ohne Migrationsbiografie. Auch Frauen sind sensibler für Diskriminierung als Männer und befürworten deutlich häufiger neue Antidiskriminierungsgesetze. Menschen mit niedrigem Bildungsstand hingegen äußern häufiger die Sorge, Zuwanderung führe zu Wohnungsnot in Ballungsräumen.

Die Gründe für diese Diskrepanzen werden in der Studie nicht abgefragt, dennoch hat Studienautorin Ulrike Wieland eine Einschätzung dazu: „Auch im Bereich der Gleichstellung von Frauen hat sich ja lange Zeit nichts getan, bis entsprechende Maßnahmen eingeführt wurden“, sagte sie der taz. Der Bildungsgrad wiederum hänge stark mit dem Einkommen zusammen, und es liege nahe, dass bei Menschen mit niedrigem Einkommen „eher die Sorge aufkommt, Migration bedeute auch mehr Konkurrenz um Wohnraum als bei Menschen, die aufgrund ihres höheren Einkommens ohnehin weniger Probleme in diesem Bereich haben.“

Insgesamt stellen die Au­to­r*in­nen fest, dass eine Mehrheit der Befragten Chancen in der Zuwanderung von Mi­gran­t*in­nen sieht. So sehen 68 Prozent Vorteile für die Ansiedlung internationaler Firmen und 65 Prozent meinen, sie helfe gegen die Überalterung der Gesellschaft. Zwar befürchten gleichzeitig 67 Prozent zusätzliche Belastungen für den Sozialstaat und 66 Prozent Konflikte zwischen Zugewanderten und Einheimischen – diese Werte lagen 2017 allerdings noch bei 79 beziehungsweise 72 Prozent.

Eine positive Entwicklung der Willkommenskultur habe sich bereits 2012 abgezeichnet, sagte Wieland der taz, sei dann aber von der „Fluchtkrise“ unterbrochen worden. Sollte es nicht erneut zu einem negativ einschneidenden Ereignis kommen, werde sich der vorsichtige Trend zu mehr Offenheit wohl fortsetzen. „Wir sehen das als ein Reinwachsen in eine Einwanderungsgesellschaft, die ein positives Selbstverständnis entwickelt und Vielfalt als Normalität begreift.“

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