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Berliner Verwaltungsgericht urteiltBundesregierung muss Afghanen Visa erteilen

Die Bundesregierung will die Aufnahme von gefährdeten Af­gha­n:in­nen nicht fortsetzen. Wer eine Zusage hat, muss reingelassen werden, urteilt ein Gericht.

Zusagen müssen eingehalten werden, sagt das Verwaltungsgericht Berlin Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin dpa | Die Bundesregierung muss nach einer Gerichtsentscheidung einer Afghanin und ihrer Familie Visa zur Einreise nach Deutschland erteilen, nachdem entsprechende Zusagen gemacht wurden. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren im Streit um das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen entschieden, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. (Az.: VG 8 L 290/25)

Die Bundesregierung habe sich „durch bestandskräftige, nicht widerrufene Aufnahmebescheide rechtlich zur Aufnahme gebunden“, erklärten die Richter zur Begründung. Von dieser „freiwillig eingegangen Bindung“ könne sich Deutschland nicht lösen.

Damit war der Eilantrag der Frau und ihrer 13 Familienangehörigen, die in Pakistan auf Visa warten, in erster Instanz erfolgreich. Das Auswärtige Amt ist nach der Entscheidung laut Gerichtssprecherin verpflichtet, sofort zu handeln. Gegen den Beschluss kann jedoch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden. Sollte die Behörde das tun, könnte es zu Verzögerungen kommen.

Richter: Bundesregierung kann Programm beenden

Die Richter betonen in ihrem Beschluss, dass die Bundesregierung frei darüber entscheiden kann, ob sie das Aufnahmeverfahren für afghanische Staatsangehörige beenden will – oder unter welchen Voraussetzungen eine Fortsetzung denkbar ist. Auch könne sie von neuen Aufnahmezusagen absehen. Im vorliegenden Fall könnten sich die Betroffenen jedoch auf die gemachten Zusagen berufen.

Bei der Frau und ihrer Familie seien Aufnahmezusagen bestandskräftig geworden, so die zuständige Achte Kammer. Zudem erfüllten die Betroffenen die Voraussetzungen für ein Visum: Es seien keine Sicherheitsbedenken ersichtlich, und die Identität der Menschen sei geklärt. Der Familie droht nach eigenen Angaben die Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan, wo ihr Leben unter der Herrschaft der radikalislamischen Taliban gefährdet sei. Dies wurde aus Sicht des Gerichts glaubhaft dargestellt.

Verschiedene Programme nach Machtübernahme

Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden verschiedene Aufnahmeverfahren für Menschen aus Afghanistan eingerichtet. Die neue Bundesregierung von Union und SPD stoppte die Programme Anfang Mai. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom 20. Juni warten rund 2.400 Menschen in Pakistan darauf, dass sie ein Visum bekommen.

Betroffen davon sind nach den Angaben beispielsweise Menschen, die sich für Gleichberechtigung und Demokratie eingesetzt haben. Auch Richter, Journalistinnen oder Künstler zählten zu den Betroffenen.

Organisation will Fortsetzung erzwingen

Mit zahlreichen Klagen will die Organisation „Kabul Luftbrücke“ die Fortsetzung des Aufnahmeprogramms für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen erzwingen. Die Betroffenen hätten ihre Heimat verlassen im Vertrauen auf deutsche Versprechen, erklärte Sprecherin Eva Beyer im Juni, als die ersten 26 Verfahren in Berlin eingereicht wurden.

Dem Gericht liegen nach eigenen Angaben schätzungsweise etwa 40 Fälle als Eilanträge und Klagen zu der Thematik vor. Diese seien aber unterschiedlich gelagert, erklärte die Gerichtssprecherin. Über die Verfahren müssten jeweils unterschiedliche Kammern entscheiden. Es sei unklar, wann dies geschehe. Offen ist auch, ob die anderen Richterinnen und Richter die gleiche Auffassung vertreten wie aktuell die Achte Kammer.

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7 Kommentare

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  • Das Verhalten der Bundesregierung ist ungeheuerlich und noch dazu kurzsichtig. Lässt man mal den menschlichen Aspekt außer Acht, der wirklich schlimm genug ist, ist man anscheinend zu blind um zu begreifen, dass offiziell gegebene Versprechen nicht einzuhalten einen nicht gerade als verlässlichen Partner bei was auch immer ausweist.

  • Die Entscheidung ist sicherlich vertretbar.

    Erschreckend finde ich eher, dass bei einer Betroffenen weitere 13 Familienmitglieder mit einreisen dürfen. Nach welchen Kriterien wurden unter der alten Bundesregierung Zusagen getroffen?

  • Ein unsägliche Schande, ja, eine Ohrefeige sondergleichen dass mal wieder ein Gericht der Regierung erklären muss was Recht ist.

  • Das Programm lief ja schon unter der Ampel nicht.

    Mich würde mal interessieren, warum nicht.

    Hatte man die Befürchtung, dass die Organisationen, die die Auswahl durchgeführt haben, nicht zuverlässig ausgesucht haben?

    2400 Menschen fallen hier ja nun praktisch überhaupt nicht ins Gewicht.

  • "Offen ist auch, ob die anderen Richterinnen und Richter die gleiche Auffassung vertreten wie aktuell die Achte Kammer."

    Eine Zusage von einer Behörde ist rechtlich bindend, eine E-mail ist wie ein offizielles Schreiben anzusehen. Würde mich schon sehr wundern, wenn es da ein anderes Urteil gibt.

    • @sociajizzm:

      Es muss schon ein echter Bescheid vorliegen, wie es in dem entschiedenen Sachverhalt ja auch der Fall war. Eine Mail kann nicht bestandkräftig werden.



      Wer aber einen offiziellen Bescheid bekommen hat, wird das Recht haben, dass sich die Regierung daran hält

  • Wenn die Bundesrepublik militärisch und strategisch ernstgenommen werden will, hält sie Zusagen zur Aufnahme von Helfern ein.



    Aber wir werden von Leuten wie Dobrindt regiert.