Berliner Stadtmagazine feiern Jubiläum: Glauben an die Renaissance
Die Stadtmagazine „Tip“ und „Ex-Berliner“ feiern Geburtstag. Print wird eine Renaissance erleben, ist die Chefredakteurin von „Tip“ überzeugt.
1972 – lang ist es her. Die Westberliner hatten sich langsam daran gewöhnt, dass sie von einer Mauer umgeben waren. Und die SPD begann unter Willy Brandt damit, sich der Sowjetunion anzunähern. Gleichzeitig hatten die Ton Steine Scherben gerade ihr erstes Album herausgebracht und der Neue Deutsche Film machte zunehmend Furore.
Da kam ein findiger Berliner, Klaus Stemmler, auf die Idee, ein Stadtmagazin zu gründen, nach dem Vorbild der New Yorker Village Voice.
Sein Tip, wie er es nannte, war eines der ersten Stadtmagazine Deutschlands. Seine allererste Ausgabe, die im Januar 1972 erschien, war gerade mal sechs Seiten dick, enthielt ein paar Filmempfehlungen sowie diverse Insider-Tipps und wurde an Universitäten und in Kneipen verteilt. 50 Jahre später ist der Tip eine etablierte Marke, die aktuelle Ausgabe umfasst 162 Seiten und zum Jubiläum gibt es am 18. Juni eine große Party in Berlin.
Das klingt nach einer großen Erfolgsgeschichte. Doch in Wahrheit hat der Tip seine goldene Ära längst hinter sich. Es gab Zeiten, die zugegebenermaßen auch schon wieder eine Weile zurückliegen, da war es undenkbar, in Berlin ohne eines der beiden großen Stadtmagazine auszukommen.
Auch Experimente konnten nicht helfen
Der Tip oder die fünf Jahre nach ihm gegründete Zitty gehörten zumindest noch in den Neunzigern in jede Studenten-WG. Und wer die Stadt besuchte, kaufte sich als Erstes eines der beiden Magazine, um einen Überblick zu bekommen, was es in Berlin zu erleben gebe. Kurz nach der Wiedervereinigung näherten sich die alle zwei Wochen erscheinenden Zeitschriften jeweils einer Auflage von 100.000 Stück an.
Doch dann ging es bergab mit ihnen. Die Gründe dafür sind zahlreich. Die fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende generelle Krise von Print gehören dazu. Zudem bauten die Berliner Tageszeitungen zunehmend ihre Programmteile aus und konkurrierten bald mit den Platzhirschen. Spezielle Interessen wurden außerdem von immer mehr Blogs und Social Media bedient. Und die queere Community in Berlin bekam mit der Siegessäule sogar ein Stadtmagazin, das ganz umsonst ausliegt.
Von den nuller Jahren bis heute geht die Erfolgskurve nach unten. Zitty und Tip wurden von einem Verlag zum nächsten weitergereicht und landeten zeitweilig sogar unter einem Dach. Eine Redaktion war für eine kurze Zeit ab 2016 für beide Titel verantwortlich. Was auch deswegen bemerkenswert war, weil es bislang immer hieß, diese würden sich zueinander verhalten wie einst die Beatles zu den Rolling Stones.
Entweder man bekannte sich zur als links geltenden Zitty oder zum etwas bürgerlicheren Tip. Und plötzlich war alles irgendwie dieselbe Sauce.
Es wurde dann noch eine Weile lang weiter herumexperimentiert mit den beiden Titeln. Die Zitty erschien für einen kurzen Zeitraum nicht mehr nur alle zwei Wochen, sondern wöchentlich, bis sie 2020 ganz eingestellt wurde. Und das sogar schon kurz nach dem Beginn der Coronakrise, die Stadtmagazine besonders hart getroffen hat. Auch den Tip, wie dessen Chefredakteurin Stefanie Dörre sagt. Die Abozahlen seien während der Pandemie weitgehend konstant geblieben, führt sie fort, aber der Abverkauf am Kiosk habe sich fast halbiert. Sie verstehe das, was wolle man auch groß mit einem Stadtmagazin, wenn nichts los ist in der Stadt.
Aber inmitten der permanenten Krise des eigenen Printprodukts auch noch so ein Horror, das sei natürlich schon hart gewesen. Zum Glück habe man in der Zeit Coronahilfen bekommen, so Dörre. Doch was die Auflage betrifft, „sind wir noch nicht auf dem Niveau, das wir vor Corona hatten“. Aktuell verkauft sich der Tip etwa um die 15.000 Mal alle zwei Wochen. Tendenz leicht sinkend.
Ein Deutsch- und ein englischsprachiges Stadtmagazin für Berlin
Untergangsstimmung will bei ihr dennoch nicht aufkommen. Alles wandere weiter ins Internet, Stadtmagazine haben keine Zukunft: diesen Prognosen möchte sie nicht zustimmen. Natürlich baut der Tip weiter massiv sein Onlineangebot aus und bespiele alle nur erdenkbaren Social-Media-Kanäle. „Doch das meiste Geld wird bei uns immer noch mit Print verdient“, sagt sie, „ich glaube auch, man sollte sich davon verabschieden, Print permanent für tot zu erklären. Es gab bereits die Renaissance des Vinyls und die Renaissance der Kassette. Mal sehen, ob uns da nicht auch noch der Printsektor überrascht.“
In gewisser Weise setzt man jetzt sogar noch stärker auf Print als noch vor ein paar Jahren. Tip veröffentlicht Sonderhefte, die unter dem Dach der Tip Berlin Media Group neben dem eigentlichen Stadtmagazin herausgegeben werden. Etwa einen Gastroführer, ein Magazin für Nachhaltigkeit, eines für Brandenburg. „Früher waren das drei oder vier Sonderhefte im Jahr, jetzt sind es zehn“, sagt Dörre.
Außerdem hat man mit dem rein englischsprachigen Stadtmagazin Ex-Berliner seit Ende 2022 auch noch ein Printmedium als Partner hinzubekommen, das sich an die wachsende Community fremdsprachiger Berliner richtet. Der Ex-Berliner wurde vor 20 Jahren von Chefredakteurin Nadja Vancauwenberghe mitgegründet und richtet sich an die sogenannten Ex-Pats in der Stadt, an Zugezogene aus dem Ausland, von denen die meisten nicht vorhaben, Berlin so schnell wieder zu verlassen. Laut Vancauwenberghe, die ursprünglich aus Paris stammt, sind zudem etwa ein Drittel der Leser ihres Magazins Berliner mit Deutsch als ihrer Muttersprache. Die verkaufte Auflage des Monatsmagazins liegt bei etwa 5.000 bis 6.000 Stück.
Ein deutsch- und ein englischsprachiges Stadtmagazin für Berlin aus einem Hause, das bietet Möglichkeiten für weitere Synergien, glauben die beiden Chefredakteurinnen. Die Genese ihrer Stadtmagazine sei in einer Stadt, die sich auch ständig weiterentwickelt, eben noch nicht abgeschlossen.
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