piwik no script img

Berliner StadtautobahnDa kann sich mehr bewegen als ein Stau

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Wenn auf der neuen Straße nur Staus drohen, kann man sie doch besser gleich anders nutzen. Wieso sollte die Stadt sich nicht auch ohne Auto dran freuen?

Wenn nichts mehr geht beziehungsweise rollt Foto: Robert Michael/picture alliance/dpa

N ur wenige Tage nach Eröffnung eines neuen Abschnitts der Berliner Stadtautobahn zwischen Neukölln und Treptow zeigt sich das verkehrspolitische Desaster. Trotz Ferienzeit stehen die Autos auf dem Teilstück der A100 im Stau – bis zu 90 Minuten brauchen die motorisierten Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen für das 3,2 Kilometer lange Teilstück. Selbst im Schlendertempo wäre man zu Fuß schneller.

Verbesserung ist nicht in Sicht, denn die Autobahn endet im Nadelöhr. Wer weiter nach Norden in Richtung Friedrichshain will, muss über die Elsenbrücke, die noch für die kommenden Jahre eine Baustelle ist – frühestens 2028 soll ein Neubau fertig sein. Wie also umgehen mit dem Dilemma, unter dem auch der Busverkehr über die Brücke massiv leidet? Eine bestechend pragmatische Antwort hat der Verkehrsforscher An­dreas Knie nun darauf gegeben: „Warum öffnen wir die Autobahn solange nicht für den Fuß- und Fahrradverkehr?“

Die Idee ist nicht nur eine naheliegende Lösung für das programmierte Dauerchaos, sie ist eine, die geradezu visionär ist für eine Stadt, deren Kapital und Ruf gerade nicht darauf basiert, dass man hier per Auto mitten durch die City rasen kann. Was Berlin stattdessen auszeichnet, ist die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und sich den Stadtraum kreativ anzueignen. Deshalb kommen die Menschen hierher, von Buxtehude bis New York.

Man stelle es sich einmal bildlich vor: Fußgänger:innen, die mit ihrem Feierabendbierchen oder dem Hund die Strecke entlang flanieren, Sprayer:innen, die aus grauen Betonwänden bunte Kunstwerke machen, und Kinder, die die Fahrbahn mit Straßenkreide verschönern, Feiernde, die die größtenteils in einem Trog verlaufende Autobahn zum Dancefloor machen, dazu Ska­te­r:in­nen und Radfahrer:innen, alles dokumentiert von staunenden Tourist:innen. Bilder dieses freiheitsliebenden, unkonventionellen Berlins würden um die Welt gehen; von einer Stadt, die sich ewig neu erfindet.

Asphaltierte Unorte

Wie gut sich die Ber­li­ne­r:in­nen asphaltierte Unorte zunutze machen können, lässt sich auf dem Tempelhofer Feld schon lange bestaunen. Tausende sind hier auf dem ehemaligen Flughafengelände mitten in der Stadt jeden Tag, um zu gärtnern, Sport zu treiben, in die Ferne zu schauen und den verkehrsgeplagten Straßen zu entfliehen. Die Autobahn, die nur einen Bruchteil der Fläche des alten Flughafens ausmacht, wäre ruckzuck von vorne bis hinten bespielt und genutzt, wie sollte es auch anders sein, wenn ansonsten überall Freiflächen verschwinden und selbst das Feld von einem bauwütigen Senat bedroht wird.

Wie erhaben das Gefühl sein kann, eine Autobahn anders als mit dem Auto zu nutzen, zeigt sich gelegentlich auf den Fahrrad-Sternfahrten über die dann für Autos gesperrte Stadtautobahn. Und ältere Semester erinnern sich auch noch an autofreie Sonntage infolge der Ölkrise. In manchen Regionen lebt die Tradition bis heute fort – und immer sind es Volksfeste.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Doch die ganze schöne Vision hat wie immer ihren Haken. Diejenigen, die neue Autobahnen in Zeiten des drohenden Klimakollapses immer noch für eine gute Idee halten, ob in Bundesregierung, dem Senat oder der Autobahn GmbH, versuchen, den Verkehrsinfarkt für ihre Interessen zu instrumentalisieren.

Für sie taugen die Staus dazu, eben auch noch für den Bau eines weiteren Abschnitts von Treptow nach Friedrichshain zu plädieren. Es würden ja nur noch schätzungsweise 20 Jahre Stau vergehen, bis die Autos sich dann eine Abfahrt weiter ballen. Welch brillante Zukunftsvorstellung. Klar ist, Berlin hat Besseres verdient. Holen wir uns die Auto-Stadt zurück!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Holen wir uns die Auto-Stadt zurück!"

    Als ob es jemals eine Stadt mit Spielstrassen und Parks gegeben hätte. Die ersten Städte war eng bebaut mit schmalen Gässchen. Mit Siegeszug der Karren und Kutschen wurden die Wege breiter, aber auch gefährlicher. Nur einige Boulevards zur Präsentation des Adels waren einladener.

    Und das Tempelhoferfeld kann man nicht mit einer Autobahn vergleichen. Die Weite und das Grün ist etwas ganz anderes.

    • @fly:

      > Als ob es jemals eine Stadt mit Spielstrassen und Parks gegeben hätte. Mit Siegeszug der Karren und Kutschen wurden die Wege breiter, aber auch gefährlicher

      und dennoch gab es auch lange Zeit nach der Erfindung des Automobils ein halbwegs gesundes Miteinander.



      Vergleich dieses Bild



      external-content.d...00bdbf10be4f8536ed mit heute und finde heraus, was inzwischen schief gelaufen ist. Sollte man etwa alle Hauptstraßen 10 Spuren verbreitern, wegen des Siegeszugs des Autos als Statussymbol?