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Berliner KrankenhausbewegungMehr Personal noch vor der Wahl

Ultimatum abgelaufen: Ab Montag wollen die Krankenhausbeschäftigten streiken. Sie kämpfen für Entlastung sowie für gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

„Klatschen war gestern, heute ist Zahltag“ – das Motto gilt immer noch Foto: dpa | Christoph Soeder

Berlin taz | Das Ultimatum der Berliner Krankenhausbewegung ist um. 100 Tage hatten Politik und Klinikleitungen Zeit, auf die Forderungen der Beschäftigten einzugehen – doch eine Einigung mit Vivantes und Charité wurde nicht erzielt. „Wir wollen nicht streiken, aber wir sehen darin die einzige Möglichkeit“, sagte Nicole Strosche, Krankenpflegerin in der Kardiologie am Benjamin Franklin Klinikum am Dienstag auf einer Pressekonferenz der Bewegung. Neben Kampfbereitschaft lag auch etwas Verzweiflung in ihrer Stimme.

Für die kommende Woche hat die Gewerkschaft Verdi in allen 12 Standorten von Charité und Vivantes Warnstreiks angekündigt. „Offensichtlich nehmen uns die Klinikleitungen immer noch nicht ernst“, sagte Silvia Habekost, stellvertretende Leiterin der Anästhesie im Vivantes Klinikum Friedrichshain, der taz.

In den Verhandlungen hätten die Klinikleitungen nur auf Verzögerung gesetzt – und die Politik habe „leere Versprechungen“ abgegeben. Habekost ist frustriert, mit dieser Entwicklung gerechnet hat sie dennoch: „Wirklicher Druck funktioniert nur durch Streikmaßnahmen“, sagte sie.

Am 12. Mai war die Berliner Krankenhausbewegung mit einer großen Demonstration vor dem Roten Rathaus in die Tarifauseinandersetzung gestartet. In emotionalen Beiträgen hatten Pflegende und Beschäftigte der Tochterunternehmen berichtet, wie sie völlig überfordert nach ihrer Schicht in Tränen ausbrechen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wusste die Bewegung nach eigenen Angaben 8.397 Krankenhausbeschäftigte – also 63 Prozent der gesamten Belegschaft und eine Mehrheit auf jeder Station – hinter sich.

Es folgten Wochen der Organisierung. Die Bewegung zog von Bezirk zu Bezirk, überall solidarisierten sich rot-rot-grüne Po­li­ti­ke­r:in­nen mit den Zielen der Beschäftigten. In jeder Station eines jeden Krankenhauses wurden Forderungsdiskussionen geführt, die am 9. Juli im Stadion der Alten Försterei zusammengetragen wurden. Union Berlin hatte hierfür seine heiligen Hallen geöffnet.

Unterstützung auf dem Papier

Die Pflegenden fordern einen „Tarifvertrag Entlastung“, der Normalbesetzungen für jede Station definiert und einen Belastungsausgleich vorsieht, wenn diese unterschritten werden. Die Beschäftigten der Tochterunternehmen von Vivantes und Charité kämpfen indes um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Da insbesondere Vivantes Arbeiten auf formal unabhängige Tochterunternehmen auslagert, können diese eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) umgehen.

Zumindest auf dem Papier erfährt die Bewegung auch große Unterstützung aus der Politik. Schon im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2016 hatte sich rot-rot-grün darauf verständigt, dass „gute Arbeitsbedingungen für die Pflegenden“ die „Grundlage“ einer funktionierenden Daseinsvorsorge darstellen. Auch wollte die Koalition „unterbinden“, dass landeseigene Unternehmen outsourcen, um die Tarifbezahlung zu umgehen.

Linke und SPD unterstützen die Bewegung mittlerweile formal per Parteibeschluss, auch prominente Grüne haben sich solidarisiert. Auf taz-Nachfrage, warum die Beschäftigten ihre Rechte dennoch selbst erkämpfen müssen, verweisen die zuständigen Senatsverwaltungen auf Erfolge der Vergangenheit. Finanzminister Matthias Kollatz (SPD) – selbst Vorsitzender des Vivantes-Aufsichtsrats – verwies darauf, dass die Investionspauschalen erhöht und das Vivantes-Eigenkapital aufgestockt wurde.

Die Gesundheitsverwaltung erinnerte daran, dass Anfang des Jahres die größte Charité-Tochter – die Charité Facility Management (CFM) – in die Tarifbindung zurückgeholt wurde. Auch habe man Charité und Vivantes zur Aufnahme von Tarifverhandlungen verpflichtet, nur seien diese im Fall von Vivantes eben noch nicht erfolgreich gewesen.

Systemische Probleme

Für Habekost ist das enttäuschend. Sie sagt, die Politik könne die Tochterunternehmen per Gesellschafteranweisung zurückführen. Dies sei auch bei der Rückführung der The­ra­peu­t:in­nen in Charité und Vivantes so vollzogen worden. 2019 wurden beide für diesen Zweck eingerichteten Tochterunternehmen in ihre jeweiligen Mutterunternehmen zurückgeführt.

„Nicht zulässig“ sei es indes, so Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), die kommunalen Krankenhäuser wegen der möglicherweise durch den Entlastungsvertrag steigenden Personalkosten Geld zuzuschießen. „Wettbewerber würden dagegen klagen“, so Kollatz. Meike Jäger, die zuständige Verdi-Landesfachbereichsleiterin, widerspricht. Zwar stimme es, dass in der derzeitigen Rechtssituation kein einzelnes Krankenhaus bevorzugt werden dürfe.

„Ein Beschluss des Senats, der wegen gewünschter erhöhter Qualitätsstandards entstehende Personalkosten ausgleicht, wäre unseres Erachtens aber dennoch möglich“, sagte sie. Ein weiterer „denkbarer Weg“ sei es, das Gesellschaftsrecht von Vivantes zu ändern. Wäre Vivantes formal nicht als GmbH, sondern als Anstalt öffentlichten Rechts (AöR) verfasst, dürften die Defizite gegenfinanziert werden, so Jäger.

Grundsätzlich zeige der Kampf der Berliner Krankenhausbeschäftigten die Grenzen des Gesundheitssystems auf, findet Habekost. Ihr Ziel sei es deshalb, ein „Zeichen“ zu setzen, dass „Gesundheitsversorgung nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisiert“ werden dürfe. Wohl nicht zuletzt deshalb erfährt die Bewegung eine derart breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft: Ab Freitag soll ein Soli-Camp des Bündnisses Gesundheit statt Profite das Kreuzberger Urban-Krankenhaus belagern.

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