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Bericht zur MuslimfeindlichkeitMehr als doppelt so viele Übergriffe

Nach dem 7. Oktober ist auch die Zahl der Übergriffe auf Muslime sprunghaft gestiegen. Die meisten richten sich gegen Frauen.

Angegriffene deutsche Konvertitin mit Kopftuch in Hamburg Foto: Georg Wendt/dpa

Berlin taz | Die Zahl der antimuslimischen Angriffe und Diskriminierungen hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Dies geht aus dem zweiten Lagebericht der Claim-Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit hervor.

Demnach wurden 2023 bundesweit 1.926 Übergriffe registriert, während es im Vorjahr noch knapp 900 waren. Insbesondere nach dem terroristischen Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 kam es neben antisemitischen Angriffen auch zu einem sprunghaften Anstieg antimuslimischer Übergriffe. So wurden bis zum Jahresende 679 Vorfälle dokumentiert. Erfasst wurden dabei auch Diskriminierungsfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze, die sich gegen Muslim*innen, muslimisch gelesene Personen und muslimisch geprägte Orte richteten.

In 62 Prozent der Fälle richteten sich die dokumentierten Übergriffe gegen muslimische Frauen. Verbale Angriffe machten zwei Drittel der registrierten Übergriffe aus. Darunter waren unter anderem Volksverhetzungen, Beleidigungen und Bedrohungen. Registriert wurden zudem 178 Körperverletzungen, vier versuchte Tötungen und fünf Brandstiftungen.

„Menschen werden beleidigt, bedroht und geschlagen, Moscheen angegriffen. Diese Vorfälle sind besorgniserregend“, sagte der SPD-Abgeordnete Hakan Demir der taz. „Sie zeigen, dass antimuslimischer Rassismus das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe verhindert.“

Soziologe sieht soziale Netzwerke als mitschuldig an

Claim-Leiterin Rima Hanano sagte bei der Vorstellung des Lageberichts: „Antimuslimischer Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft.“ Diskurse zu Migration, Integration oder Sicherheit mit rassistischer Schlagseite würden ein Klima schaffen, das antimuslimischen Hass, Diskriminierungen und Gewalt schüre und legitimiere. Sie forderte eine Stärkung von Antidiskriminierungsgesetzen sowie die langfristige Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen, beispielsweise im Rahmen des Demokratiefördergesetzes.

Der Politikwissenschaftler und Soziologe Dr. Özgür Özvatan, der am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) forscht und einer der Autoren des Lageberichts ist, verwies auf die Rolle der AfD in sozialen Netzwerken. Sie leiste als relevantester parteipolitischer Player auf sozialen Netzwerken wie Tiktok einen zentralen Beitrag zum islamfeindlichen Diskurs.

Claim vernetzt nach eigenen Angaben 51 zivilgesellschaftliche muslimische und nichtmuslimische Organisationen. Gefördert wird das Bündnis unter anderem vom Bundesfamilienministerium.

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18 Kommentare

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  • Und schon startet die Abwehr in den Kommis. Da müssen Populismus und rechte Propaganda gar nicht viel tun, das "Othering" funktioniert wie geschmiert.



    Dass so ein Meldeportal für Betroffene Tücken hat, keine Frage, die hat übrigens auch die PKS. Dass auch in den taz-Kommis zunehmend - beiläufig, sarkastisch oder offensichtlich - Muslime grundsätzlich als Täter, fremd, abzulehnen gezeichnet werden - ätzend.



    "Muslimisch gelesen", liebe Leute, ist schon deutlicher als "Muslim", denn bloß weil da jemandes Opa mal aus der Türkei oder jemand selbst aus Syrien kam, sagt das ja nix über jemandes Religiösität, gell. Aber das Differenzieren kriegen in der Kommune hier ja nur noch wenige hin. Schade

    • @hierbamala:

      Stimme Ihnen zu, zumal sich hier scheinbar niemand die Mühe gemacht hat den Report zu lesen. Wenn dem so wäre würde man es nicht so abtun, weil der Bericht ja nur von einer Meldestelle/ Verein kommt. Der Bericht stützt sich zum einen auf die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität 2023 des KPMD, Pressemeldungen der Polizei für das Jahr 2023, Fallzahlen von 17 Melde- und Beratungsstellen und bundesweite Fallmeldungen aus dem Meldeportal „I-Report" sowie des Abschlussberichts einer dreijärigen Studie zur Islamfeindlichkeit im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres und der Heimat von 2023 ("Islamfeindlichkeit - Eine deutsche Bilanz"). Im übrigen gibt es solche Meldestellen und Vereine auch für Antiziganismus und Antisemitismus werden deren Aussagen/ Berichte dann auch angezweifelt? Vielleicht sollten sich manche mal überlegen, dass solche Vereine für Opfer von Rassismus/ Hass oft wichtige Ansprechpartner sind, manchmal die einzigen, weil man aus diversen Gründen nicht zur Polizei geht (Angst, Scham, Zweifel das einem geholfen wird, etc.) und dort Hilfe bekommt oder einfach nur jemand zum zuhören.

    • @hierbamala:

      Die Daten stammen von einem eingetragenen Verein, der jetzt "Aktionswochen" macht. Da sollte man schon genauer hinschauen.

      Warum?

      "Muslimisch" steht für mich (wie andere Religionen auch) für reaktionär und rückwärtsgewandt. Religion ist Privatsache, dass ist klar. Schaut mach sich aber die Einstellung der Religionsvertreter in Bezug auf das Rollenbild von Frauen, LGBT, etc. an, dann möchte ich diese Religionen deutlich kritisieren können. Ohne Maulkorb. Öffentliche Kritiker benötigen aber bespielweise Polizeischutz. Da gibt es nichts schönzureden.

      Mir ist wohl bekannt, dass dies auch das Narrativ der rechten Hetzer ist. Es ist aber kontraproduktiv das gar nicht zu thematisieren, nur weil mal glaubt das dies den falschen Leuten in die Hände spielen könnte.

  • "Allianz gegen Muslimfeindlichkeit"? Gut! "... gegen Islamfeindlichkeit"? In unserem Land der Meinungs- und Religionsfreiheit sicher völlig deplatziert!

  • Hallo, das ist keine Studie oder systematische Erhebung, sondern ein Meldeportal. Da kann jeder, jede unkontrolliert angeben, was sie möchte. Jemand ist unfreundlich, jupps antimuslimischer Rassismus. Fühle mich benachteiligt, jupps Rassismus… und das 1:1 zu übernehmen ist Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht.

  • Diese Seite ist doch wohl nicht aussagekräftig, oder vertrauenswürdig..



    Wenn es so etwas in anderen Bereichen gäbe, wäre die Empörung gross und das zu Recht.

  • Sind jetzt die Muslime öfter übergriffig, z.b. gegen Juden, oder ist das umgekehrt gemeint ?

  • Wenn die MuslimIN das Opfer ist, wäre es wohl angebracht, bei den Tätern zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu unterscheiden.

    Im übrigen: Daten von einem Denunziantenportal, das bereits "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" bei "muslimisch gelesenen Personen" anfängt ... jau. Hart valide. Nicht.

    Nächster dringender Untersuchungsgegenstand:



    "Muslimfeindlichkeit", diesmal der M. als Subjekt.

  • Was sind denn von wem „muslimisch gelesene Personen“? Das könnte eine Steilvorlage für Satiriker werden.

    • @vieldenker:

      Das sind Menschen die nicht dem Islam angehören, aber zum Beispiel aufgrund ihrer regionalen Herkunft als Muslime gesehen werden und diskriminiert werden weil man eben annimmt sie sind Moslems. Hat nichts mit Satire zu tun, sondern mit Ignoranz und der Tendenz der Menschen immer andere in Schubladen zu stecken oder alle über einen Kamm zu scheren.

      • @Momo Bar:

        Sicher, Schubladen passen selten für alles was da reingepackt wird. Aber - und das muss eben auch gefragt werden - was machen die, die nicht reinwollen, damit sie da nicht reinpassen? Es ist eben auch eine Schublade, den anderen „Schubladendenken“ vorzuwerfen.

  • Bitte informiert mich, wenn ich das jetzt nicht richtig verstanden habe:

    Der Artikel beruht auf Daten einer Vereinigung mit (Melde-) Webseite, auf welcher Personen Fälle melden können. Auch Fälle, die strafrechtlich nicht geahndet werden könnten. Diese Vereinigung - die Claim-Allianz - hat nun zum zweiten Mal die Anzahl der (auf ihrer Webseite) gemeldeten Fälle veröffentlicht.

    • @Benzo:

      Es ist bezeichnend, dass die erste Reaktion unter diesem Artikel eine Relativierung ist.

      • @O.F.:

        Die Gefahr für Muslime in Deutschland ist tatsächlich relativ gering. Zum Vergleich (Jahr 2023):

        - 4.800 antisemitischen Vorfälle bei gerade einmal 200.000 Juden in Deutschland.



        - 1.926 antimuslimische Vorfälle bei mehr als 5.000.000 Muslimen in Deutschland.

        Jeder einzelne Vorfall ist einer zuviel. Dennoch wird hier zahlenmäßig mehr als klar, dass Muslime in Deutschland im Vergleich zu Juden relativ entspannt leben und statistisch gesehen im Vergleich zu Juden fast gar keine Feinde haben.

        Oder im Klartext: Juden leben hierzulande in Angst, Muslime bestimmt nicht.

      • @O.F.:

        Die Zahlen auf die sich der taz Artikel bezieht stammen aus einem aktuellen "Lagebild" des Teilseiend e.V. (CLAIM-Allianz).

        Der Verein hat als Schwerpunkt Themen wie Islamfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit und Rassismus.

        Sie können die erhobenen Zahlen im "Lagebild" auf der Vereinsseite auch einsehen bzw. herunterladen.

        Eine wissenschaftliche Abhandlung dürfen Sie aber nicht erwarten.

      • @O.F.:

        Sicher ist es bezeichnend.

        Die "Diskrminierungsfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" sind eine Steilvorlage.

        Werden hier Mikroaggressionen mit Tötungsdelikten in einen Topf geworfen?

        Das würde nur die Tötungsdelikte relativieren.

        Stellt sich die Frage, wem so ein Lagebericht mit relativ geringer Aussagekraft nützt.

      • @O.F.:

        Es ist bezeichnend wenn der Hinweis auf unnötige Dramatisierung Relativierung genannt wird.

        • @Dromedar:In:

          Vielleicht lesen Sie den Artikel noch einmal - oder finden Sie wirklich, dass es angemessen ist, angesichts von Mordversuchen, Körperverletzung und Brandstiftung von unnötiger Dramatisierung zu sprechen?