piwik no script img

Bericht über Roma in NorwegenSystematische Diskriminierung

Antiziganismus ist weit verbreitet in Norwegen. Die Feindseligkeit gegen Roma wird dabei durch Behörden noch gefördert.

Roma protestieren in Oslo für Arbeit und Integration (Archivbild). Bild: imago/robert fishman

STOCKHOLM taz | Man solle die Roma doch „in kleine Stücke zerschnippeln und zu Hundefutter verarbeiten“, wünschte sich ein Ex-Politiker der in Norwegen mitregierenden „Fortschrittspartei“ in einem Facebook-Kommentar. Und die Kommunalverwaltung von Oslo suchte in einer Ausschreibung nach Entsorgungsunternehmen, die sich um „Autowracks, Zigeuner, hohes Gras und Büsche“ kümmern sollten. Das sind zwei Beispiele, mit denen der Menschenrechtskommissar des Europarats illustriert, warum er glaubt, dass das skandinavische Land ein Problem mit der Diskriminierung von Roma hat.

In dem am Montag veröffentlichten „Human Rights Report on Norway“ zählt Menschenrechtskommissar Nils Muiznieks zwar auch andere Bereiche auf, bei denen womöglich Nachholbedarf besteht im Land, das sich selbst so gerne als Vorbild beim Schutz von Menschenrechten sieht – so beispielsweise bei Menschen mit Behinderungen.

Doch im Zentrum des Berichts steht die Situation der Roma. Derer, die permanent im Land leben und derer, die sich nur zeitweise zum Betteln dort aufhalten. Letztere sind vor allem Roma aus Rumänien, deren Zahl je nach Jahreszeit auf 100 bis 1.000 Personen geschätzt wird.

In Medienberichten und von vielen PolitikerInnen sei diese doch recht überschaubare Personengruppe zu einem großen Problem hochstilisiert worden, konstatiert der Rapport. Über sie habe es beispielsweise einen „extremen Nachrichtenfokus“ mit allein rund 6.500 Presseberichten im Jahr 2013 gegeben. Die Polizei habe vor einer „bevorstehenden Invasion“ gewarnt, die dann aber nie gekommen sei. Und es sei mit angeblichen, aber nicht wirklich belegten Erkenntnissen zwischen dem Zusammenhang von Bettelei und wachsender Kriminalität argumentiert worden.

Diskriminierendes Bettelverbot

Das habe zum einen zu einem wachsenden Antiziganismus geführt, der offenbar weder von der Politik, noch von Polizei und Justiz wirklich ernst genommen werde. So würden die eigentlich vorhandenen juristischen Möglichkeiten gegen Rassismus, Hassrede und Volksverhetzung nur völlig unzureichend ausgeschöpft. Und auf das „Bettelei-Problem“ habe die Politik mit einer Verschärfung des Polizeigesetzes reagiert. Die Befugnisse der Ordnungsmacht gegen im Freien übernachtende Obdachlose ist erweitert und den Kommunen das Recht auf den Erlass lokaler Bettelverbote eingeräumt worden.

Auch ein nationales Bettelverbot mit Haftstrafen von bis zu einem Jahr wurde diskutiert, scheiterte aber Anfang des Jahres in letzter Minute, weil die regierende Koalition aus Konservativen und rechtspopulistischer Fortschrittspartei doch nicht die erforderliche Parlamentsmehrheit dafür zusammenbekam. Der Bericht des Menschenrechtskommissar begrüßt dies, kritisiert aber gleichzeitig, dass lokale Bettelverbote nach wie vor möglich sind.

Was die Behandlung von Obdachlosen angeht, wird Oslo an seine Verpflichtungen aus der vom Lande ratifizierten und deshalb völkerrechtlich verbindlichen Europäischen Sozialcharta erinnert. Kirchliche Hilfsorganisationen und das Rote Kreuz kritisieren norwegische Kommunen sei längerem wegen des offenen Verstoßes gegen diese Charta. So werde dringendste Hilfe wie beispielsweise Akutschlafplätze für ausländische Obdachlose in völlig unzureichendem Mass zur Verfügung gestellt.

Wegnahme der Kinder

Gleichzeitig reagierten die Sozialbehörden aber auffallend eifrig, wenn es darum gehe, Roma-Kinder in öffentliche Obhut zu nehmen und deren Eltern das Sorgerecht abzuerkennen, meint der Europarat. In rund 60 Fällen habe die Vormundschaftsbehörde Kinder in Pflegefamilien gegeben oder in Heimen untergebracht, bei 60 weiteren Kindern werde eine solche Maßnahme erwogen

Laut dem Menschenrechtsbericht habe man damit bei rund der Hälfte aller Romakinder, die als dauerhaft in Norwegen lebend registriert seien, die Notwendigkeit gesehen, den leiblichen Eltern das Sorgerecht zu entziehen und damit nahezu jede Kontaktmöglichkeit zu nehmen. „Roma-Mütter suchen zur Geburt keine Krankenhäuser mehr auf, weil sie Angst haben, ihnen würden sofort die Kinder weggenommen“, konstatiert der Bericht.

Zum Thema Betteleiverbot jedenfalls haben sich die Einwände des Europarats zwischenzeitlich erst einmal weitgehend erledigt. Auch in Norwegen selbst geübte Kritik, es gehe hier letztendlich um Rassismus, weil das Verbot auf eine ethnisch klar definierbare Menschengruppe ziele, hat Wirkung gezeigt. Nur zwei Städte führten ein Verbot überhaupt ein und eine beschloss vor zwei Wochen, es wieder abzuschaffen. Jetzt meint allein das südnorwegische Lillesand noch, ein solches Verbot haben zu müssen. Den Ort müsse man als Tourist ja nicht unbedingt besuchen, empfehlen deshalb Reiseratschläge, die im Internet kursieren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Gibt es in der Menschenrechtscharta auch ein Recht auf Betteln?

    Warum sollen norwegische Behörden für fahrende Bettler Unterkünfte stellen?

    Das Unterbringen von Kindern in staatlicher Obhut ist völlig in Ordnung wenn Kindeswohlgefährdung vorliegt. Hier sind aber die Vorstellungen zu Kindeswohlgefährdung zwischen norwegischer und ziganer Gesellschaft sehr verschieden.

    Übrigens bin ich für ein generelles Bettelverbot. Es gibt genügend soziale Leistungen, die Bettelei überflüssig machen. Und dabei ist es mir egal ob der Bettler Bio-Deutscher, Amerikaner oder Roma ist!

    • @Thomas Ebert:

      Genau, wenn ich noch einmal einen Klingelbeutel in einem Gottesdienst gereicht bekomme, sollte man die alle verklagen.

       

      Neulich schrieb mich sowas wie ein Kindernothilfe an. Sofort verbieten, sowas!

      • @Age Krüger:

        Klaro -

         

        Sagen was man denkt -

        & vorher was gedacht haben;

        Schön wärs.

  • """

    Den Ort müsse man als Tourist ja nicht unbedingt besuchen, empfehlen deshalb Reiseratschläge, die im Internet kursieren.

    """

     

    Auf welchem Reiseportal haben Sie das denn gefunden?

     

    Es ist übrigens interessant, bettelnde Romakinder in GR zu beobachten.

    Die Eltern sind nie weit entfernt und nehmen den Lütten zeitnah die Mäuse wieder ab. Oft gibt es da Zoff mit den Kindern.

    Das die Kinder eigentlich in der Schule sein müssten, stört die Eltern anscheinend nicht besonders.

     

    Die Griechen sind echt mies, weil sie hier für das Kindeswohl nicht einschreiten.

    Die Norweger sind auch mies, weil sie einschreiten.

    • @athens2020:

      und in der schule begrabbelt sie der lehrer

      macht aber nüscht. sind ja nicht unsere kinder.

      • @christine rölke-sommer:

        Schule und so wird eh total überbewertet, nüsch?

  • Korrekt - ist aber nach meiner Wahrnehmung - nur die

    Spitze des Eisberges.

     

    Ein nicht nur durch die Kunst -

    Hühnchen unter Wasser zu züchten -

    sondern mittels StatOil im Sprung/allein

    reich gewordenes Land mit extrem langer Küste ->

    du siehst praktisch keine älteren/gar alte Autos -

    In dem niemand der "Ur-Einwohner"

    etwelche Drecksarbeit zu machen bereit ist - & "froh, daß endlich nicht mehr die Arbeiterpartei die Regierung stellt".

     

    Fremde - "die sind nicht von hier" -

    "das ist ein Ausländerladen" - stehen unter Generalverdacht -

    Gepaart mit der sozialen Verwerfung

    - wie in Schweden in den 70/80ern -

    daß es zur Grundhaltung gehört(e) -

    alles weitgehend unabgeschlossen lassen zu können.

  • "Den Ort müsse man als Tourist ja nicht unbedingt besuchen, empfehlen deshalb Reiseratschläge, die im Internet kursieren."

     

    Weil man im Urlaub auch immer angebettelt werden möchte, oder?

    • @DasNiveau:

      Dem Deutschen liegt da wohl was dran, sonst würde er seinen Urlaub nicht vorwiegend in Ländern machen, deren Einkommenssituation noch beschissener ist wie die in Deutschland.

       

      Ich denke, der Ratschlag geht nicht an Deutsche. Deutsche, die bereit sind für ein 0,2l Leichtbier umgerechnet 8 € in einer Kneipe auszugeben, sind in Norwegen glücklicherweise noch sehr selten anzutreffen.

    • @DasNiveau:

      bravo! du hast die problematik in ihrer ganzen fülle erfasst!

      gratulation zu so einem scharfen verstand!