Bericht aus der Quarantäne: Meine Tage mit Corona
Unser Autor kam mit Schnupfen aus dem Italien-Urlaub zurück. Eigentlich wollte er sich auf Corona testen lassen – aber das war gar nicht so einfach.
Patient Zero bei der taz bin ich. Wobei, so richtig sicher bin ich mir dann doch nicht – und das ist das Problem. Leide auch ich wirklich am Coronavirus, das weltweit fast 100.000 Menschen infiziert und über 3.000 getötet hat? Das dafür sorgt, dass Berliner Schulen schließen, die Leipziger Buchmesse abgesagt wurde und die Australier*innen so exzessiv hamstern, dass in ihren Supermärkten das Toilettenpapier knapp wird?
Besonders viel spricht eigentlich nicht dafür. Meine Nase läuft, ab und zu muss ich niesen – das war’s. Kein Husten, kein Fieber und ganz gewiss keine Lungenentzündung, wie sie bei schweren Verläufen die Patient*innen dahinrafft. Andererseits bin ich gerade aus dem Rom-Urlaub zurückgekommen, und Italien ist immerhin das Land außerhalb Asiens, das am schwersten vom Corona-Ausbruch betroffen ist. Über 2.000 Fälle sind dort registriert.
Außerdem war ich in Rom zu eitel, eine der Masken zu tragen, die man in der Stadt plötzlich überall angeboten bekam. Auch im Flugzeug zurück nach Berlin war ich mehr damit beschäftigt, irgendwie Platz für meine Beine zu finden, als damit, mir vermeintlich durch die Luft schwirrende Erreger vom Leib zu halten. Und jetzt ist da eben diese Erkältung.
Bin ich deswegen gefährdet? Gefährde ich andere? Der Verband der deutschen Kassenärzte rät derzeit nur Menschen zum Test, die Symptome einer Atemwegskrankheit haben und Kontakt zu Infizierten hatten. Demnach sollte ich mir also nicht allzu viele Sorgen machen. Andererseits: Was, wenn ich das Virus doch in mir trage? Die taz-Belegschaft mit ihren vielen Raucher*innen gehört ganz bestimmt zu einer Risikogruppe, zu viele Lungen sind hier vermutlich geschwächt vom jahrzehntelangen Quarzen auf dem Balkon. Und bei jungen Menschen wie mir äußert sich das Virus oft nur mit milden Symptomen.
Also vielleicht lieber doch nach Hause gehen und nicht gleich die ganze taz in Gefahr bringen. Vielleicht kann mir ja ein Arzt oder eine Ärztin sagen, wie ich mich verhalten soll?
„Machen wir nicht“
In der U-Bahn halte ich möglichst wenig Körperkontakt zu anderen Menschen, dann rufe ich den nächstbesten Allgemeinmediziner an. „Corona?“, kommt es irritiert aus dem Smartphone zurück, „machen wir hier nicht.“ Nächster Versuch, andere Ärztin, auch hier kein Erfolg. Immerhin scheint man in dieser Praxis schon mal von dem Virus gehört zu haben. Den Test aber biete man nicht an, die Frau am Telefon wirkt so ratlos wie ich. Erst beim dritten Versuch wird es etwas hilfreicher. „Wenden Sie sich doch bitte an das Gesundheitsamt.“
Empfohlener externer Inhalt
Beim Gesundheitsamt wiederum ist die Leitung belegt. Weil mir nichts Besseres einfällt, fange ich an, im Internet zu recherchieren, und stoße schnell auf eine Hotline für Verdachtsfälle, die der Berliner Senat eingerichtet hat. Außerdem hat die Charité im Berliner Stadtteil Wedding eine Anlaufstelle aufgebaut.
Dorthin will ich aber lieber nicht direkt gehen, schließlich sind die Chancen, dass ich wirklich infiziert bin, eher gering und die Kapazitäten der Krankenhäuser begrenzt. Lieber Platz lassen für Menschen, die wirklich Hilfe brauchen. Ohnehin berichten Medien, dass dort zeitweise mehr als 100 vermeintliche Covid-19-Kranke vor dem Gebäude warten, um sich auf das Virus testen zu lassen. Es sollen auch schon Menschen abgewiesen worden sein.
Besetzt
Was bleibt, ist die Hotline. Theoretisch. Denn praktisch ist die völlig überlastet – vermutlich wegen Leuten wie mir. Denn ich bin wohl bei Weitem nicht der Einzige, der unsicher ist, ob er sich nicht vielleicht doch das Coronavirus eingefangen hat. Und ein Blick auf Twitter zeigt: Ich bin auch bei Weitem nicht der Einzige, der daran scheitert, bei der Hotline jemanden zu erreichen.
Die ständig besetzte Leitung macht mich unsicher. Übertreibe ich, soll ich einfach zurück zur Arbeit? Kommt da gerade der Hypochonder in mir zum Vorschein? Oder handle ich richtig?
Immerhin scheinen inzwischen auch die zuständigen Behörden mitbekommen zu haben, dass es Beratungsbedarf gibt und die Hotline kaum Abhilfe schafft. Am Mittwoch verkündeten mehrere Berliner Bezirksämter, bald eigene Rufnummern für Corona-Fälle zu schaffen. Die bestehende Hotline soll außerdem ausgebaut werden.
Bis Donnerstagmorgen ist davon allerdings nichts zu spüren, ich versuche es etwa im Stundentakt weiter. Mit jedem erfolglosen Versuch festigt sich die Überzeugung: Es wäre wichtig, dass Menschen wie ich am Telefon beraten werden. Wie sonst will man die Notaufnahmen vor einem Ansturm vermeintlicher Covid-19-Patienten bewahren, die am Ende doch keine sind?
Kein Test
Und dann – nach zwei Tagen – komme ich durch. „Hatten Sie Kontakt zu einer infizierten Person?“, will die Frau am anderen Ende der Leitung wissen. Ich verneine, merke an, dass ich in Rom war und jetzt ständig niese. Das reicht für eine eindeutige Handlungsempfehlung: „Bleiben Sie für 14 Tage zu Hause.“ Ein Test auf das Coronavirus kommt dagegen nicht infrage, Quarantäne in der eigenen Wohnung muss für Fälle wie mich reichen.
Auch wenn es lange gedauert hat: Damit bin ich erst mal zufrieden. Jetzt weiß ich, wie ich mich verhalten soll. Dafür stellen sich nun allerdings andere Fragen, praktischere. Zum Beispiel: Ist es moralisch vertretbar, sich Essen liefern zu lassen, wenn man den Lieferanten anweist, die Pizza vor der geschlossenen Wohnungstür abzustellen? Was macht man jetzt eigentlich mit der ganzen freien Zeit? Und wie komme ich an ein ärztliches Attest, das mein notorisch unbarmherziger Arbeitgeber verlangen könnte? Es wäre wohl eine schlechte Idee, einfach in eine Praxis zu spazieren und womöglich im Wartezimmer andere Patient*innen anzustecken.
Zumindest einige dieser Fragen beantworten sich dann aber doch schneller als gedacht: Die Krankschreibung ist hinfällig, die Frage nach freier Zeit auch, denn eine Mail trudelt ein. Die Redaktionsleitung meldet sich. Ob ich Lust habe, von zu Hause einen Text über meine Erfahrungen zu schreiben?
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