Benachteiligung bei der Ehe für alle: Zwei lesbische Mütter gehen nicht
Ein Gesetz mit Haken: Auch nach Öffnung der Ehe für Homosexuelle können zwei Ehefrauen nicht automatisch gemeinsam Eltern werden.
Bei der Mann-Frau-Ehe ist das anders. Hier gilt der Ehemann automatisch als Vater, wenn die Ehefrau während der Ehezeit ein Kind gebiert. Er muss das Kind weder adoptieren noch seine Vaterschaft anerkennen. „Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist“, heißt es in Paragraf 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Diese Vorschrift lässt sich offensichtlich nicht auf zwei Frauen anwenden, da von einem „Mann“ die Rede ist, der „Vater“ wird. Die Vorschrift wurde aber auch nicht geändert, als der Bundestag am 30. Juni die „Ehe für alle“ beschloss. Viele lesbische Paare merken erst jetzt, dass die gefeierte Gleichstellung immer noch Defizite hat.
Enttäuscht ist zum Beispiel Ingrid Holzmayer. Die 43-jährige Berlinerin lebt mit ihrer Partnerin seit 2012 in einer Eingetragenen Partnerschaft. Seitdem wurden zwei Mädchen in die Beziehung geboren. Das erste trug Holzmayer aus, das zweite ihre Partnerin. Samenspender war jeweils ein schwuler Freund des Paars. Beide Kinder waren also Wunschkinder der Partnerinnen, dennoch wurden die beiden Frauen nicht automatisch zusammen Eltern. Erforderlich war jeweils eine sogenannte Stiefkind-Adoption.
„Ich brauche jetzt ein Attest meiner Hausärztin und muss ihr erklären, dass ich nicht depressiv bin, nicht an Selbstmord denke und keine Drogen nehme“, schildert Holzmayer. „Außerdem muss ich einen mehrseitigen Aufsatz über meine Bindungsfähigkeit und meine bisherigen Beziehungen schreiben. Und dann kommt auch noch das Jugendamt vorbei und schaut, ob es in unserer Wohnung sauber ist.“ Sie findet das „demütigend“, eine Fortsetzung von Diskriminierungserfahrungen.
Der „Ehe für alle“-Gesetzentwurf des Bundesrats, der am 30. Juni im Bundestag beschlossen wurde, geht auf diese fortbestehende Ungleichbehandlung überhaupt nicht ein. Wurde diese Frage einfach übersehen? Auch die beiden parallel vorliegenden Gesetzentwürfe von Linken und Grünen sprachen das Problem nicht an. Dabei scheint eine Lösung nicht schwer. Paragraf 1592 müsste nur um einen Satz ergänzt werden: „Mit-Mutter eines Kindes ist die Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit dessen Mutter verheiratet ist oder eine Eingetragene Lebenspartnerschaft führt.“
Neue Familienkonstellationen
Doch so einfach ist das nicht, erklärt die Rechtsanwältin Gabriela Lünsmann, die im Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD) sitzt. „Anders als beim Ehemann kann bei der Ehefrau der Mutter eine biologische Elternschaft faktisch nicht vermutet werden. Es ist also stets, und nicht nur ausnahmsweise, eine dritte Person an der Zeugung beteiligt, deren Rechte klärungsbedürftig sind.“
Es ist ein großer Zufall, dass, wenige Tage nachdem der Bundestag die „Ehe für alle“ beschloss, eine Regierungskommission ihr Gutachten zur Reform des Abstammungsrechts vorlegte. Dieser „AK Abstammung“ hat sich auf 134 Seiten mit neuen Familienkonstellationen beschäftigt, insbesondere solchen, die auf künstlicher Befruchtung beruhen. Er sprach sich dafür aus, dass die zweite Elternstelle in einer rechtlich gesicherten lesbischen Beziehung auch von einer „Mit-Mutter“ besetzt werden kann, und zwar automatisch und ohne Adoption. Es gebe keinen Grund, lesbische und heterosexuelle Paare unterschiedlich zu behandeln.
Empfohlener externer Inhalt
Was ist Homophobie für dich?

Justizminister Heiko Maas (SPD) hält es für „konsequent, wenn in Zukunft neben der Mutter auch deren Ehefrau Mit-Mutter eines Kindes würde, das in diese Ehe hineingeboren wird“. Eine Änderung wird jedoch frühestens nach der Bundestagswahl im September angepackt werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale