Belgien vor dem Spiel gegen die USA: Den Küken die Flügel gestutzt
Das jüngste Team der WM hat im Vorfeld des Turniers große Erwartungen geweckt. Trainer Marc Wilmots hingegen versucht sich im Tiefstapeln.
RIO DE JANEIRO taz | Wie stark sind denn diese Belgier nun wirklich? Wenn man die Aussagen von Trainer Marc Wilmots etwas frei interpretiert, dann sollte man sie bloß nicht überschätzen. Stets wies er auf die große Unerfahrenheit der Mannschaft hin, die ja die zweitjüngste Mannschaft im Turnier sei, und als WM-Ziel gab er bis zuletzt ganz demütig das Achtelfinale an. So gesehen sind sie morgen in Fortaleza, wenn es gegen die USA geht (Dienstag, 22 Uhr, ZDF), am Ziel ihrer Träume angelangt.
Die Geschichte ist aber etwas komplizierter. Wilmots’ Problem ist, dass das Starkreden seines Teams alle anderen übernommen haben. Gefragt oder ungefragt. Zu sehr hatten die Belgier in der WM-Qualifikation die Fußballfans verzückt. Und wer so viele Spitzenkräfte der englischen Premier League in seinen Reihen hat, hat es mit dem Tiefstapeln sowieso schwer. Die Spieler haben sich die Sicht der vielen Experten zu eigen gemacht. Vor allem in der ersten Partie gegen Algerien habe man gemerkt, dass der Druck zu hoch gewesen sei, erklärte Kapitän van Buyten. „Wir wollten alle gleich 3:0 oder 4:0 gewinnen.“
Im zweiten Spiel gegen Russland wollten die Belgier schon viel weniger. Immer nach dem gleichen Schema starteten sie ihre Angriffe. Übervorsichtig und ohne Rhythmuswechsel. Als Erfolg der Reife und der besseren Fitness in den Schlussminuten wurde dann der 1:0-Sieg gefeiert. „Ich bin stolz, dass die Mannschaft so ruhig bleiben kann“, sagte Vincent Kompany. Und Wilmots räumte zwar einen gewissen Attraktivitätsverlust ein („Das war nicht der beste Fußball der Erde“), hob aber hervor, man müsse bei einer WM „effektiv“ sein.
Der Mann ist sowieso ein bekennender Kontrollfreak. Gerne erzählt er, mit welcher Sorgfalt sich das belgische Nationalteam auf diese Weltmeisterschaft vorbereitet hat. Stolz berichtete er, dass seine 23 Profis von insgesamt 18 Betreuern umsorgt werden. Sein Trainerkollege Jürgen Klinsmann, der gern mit einem „Kompetenzteam“ vom Ernährungsberater bis zum Psychologen anreist, mag ihm da Vorbild gewesen sein.
Die Fallhöhe der Euphorie fürchtend, hat Marc Wilmots seinem Team vorsorglich die Flügel gestutzt. Aber wenn er über dessen Mangel an Erfahrung referiert, vergisst man leicht, dass der 45-Jährige selbst noch Anfänger ist. Vor zwei Jahren erst trat er das Amt an. Ein WM-Achtelfinale ist also auch für ihn Neuland. Und er geht die Aufgabe möglicherweise etwas sehr beherzt an. Er verkündete: „Wir bereiten uns auf einen Krieg vor.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?