Bayerns Weltraumprogramm: Bavaria One hebt ab
Bayern hat ein eigenes Weltraumprogramm. Markus Söder hat es erfunden. Doch manche im Freistaat fragen: Braucht es das wirklich?
Im Juli nun weihte die Technische Universität München (TUM) ihr neues Fakultätsgebäude für Luft- und Raumfahrtforschung ein – in Ottobrunn östlich der Stadt auf einem großen Areal. Söder kam natürlich auch und meinte: „Heute lächelt keiner mehr darüber.“ Und: „Bayern soll das Space Valley in Deutschland werden.“
Mirko Hornung steht an der Spitze der neu geschaffenen eigenen Fakultät, die über „Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie“ forscht. Letztere kümmert sich um die Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche. Hornung ist Professor und Dekan der Fakultät, die nun in Ottobrunn mehr und mehr ausgeweitet wird. Also: Braucht's des?
Der Professor blickt im Gespräch erst einmal zurück: „München ist industriell sehr gut aufgestellt“, sagt er. Früher allerdings „mit einer Schwachstelle“ – der Wissenschaft. Einst gab es an der TUM lediglich zwei Professuren, die sich mit Raumfahrt befasst hatten, angesiedelt bei den Maschinenbauern. „Das ist natürlich viel zu wenig, um vorne mitzuspielen.“ Es sei eine „industriepolitische Frage“, ob man das vorantreibe oder nicht. Mirko Hornung meint: „Es ist gut, dass die Staatsregierung das will.“
Die „größte Weltraum-Fakultät Europas“
Markus Söder hatte die Raumfahrt Ende 2019 als Teil der neuen „Hightech Agenda Bayern“ ausgerufen und als „größte Weltraum-Fakultät Europas“. Aus einst zwei Professuren sind in der neuen Fakultät nun schon 23 geworden, bis 2030 sollen 55 besetzt sein. Man rechnet mit 4.000 Studierenden auf dem Campus Ottobrunn, der Freistaat lässt sich sein Raumfahrtprogramm insgesamt 700 Millionen Euro kosten. „Es geht um neue Flugzeugantriebe, Trägersysteme, neue Technologien im Raumfahrtsektor“, sagt Hornung.
Er will vor allem ein Missverständnis ausräumen, dem viele Menschen erliegen, denen die Materie eher fremd ist: „Die Systeme werden immer kleiner, immer flexibler.“ Im komfortablen Raumschiff Enterprise von Galaxie zu Galaxie fliegen – diese Fantasie hat immer weniger mit der Entwicklung in der Raumfahrt zu tun. „Wir haben kleinere Systeme, die oftmals nah an der Erde fliegen“, sagt Hornung.
Es gibt einige Beispiele für die sinnvolle Anwendung von Raumfahrttechnik. Wichtig für den Klimaschutz könnte es etwa sein, wenn Satelliten die Veränderungen der Meereshöhen präzise messen. Auch kann simuliert werden, welche Folgen Geländeveränderungen für die Verläufe von Flüssen haben. Und mit der Drohne „Horyzon“ lassen sich lebensrettende Defibrillatoren zu Menschen bringen, die in entlegenem Gelände einen Herzstillstand erleiden.
Im Campus Ottobrunn soll ein „Cluster“ entstehen, in dem Wissenschaft und Industrie eng miteinander verbunden sind. Einige Unternehmen wie Airbus und die Ariane-Group sind in der Nähe angesiedelt. Professor Hornung setzt aber vor allem auf neue Start-Ups. Da die Fluggeräte kleiner und damit nicht mehr so teuer sind, seien weniger Investitionen nötig.
Paradebeispiel „Isar Aerospace“
Als Paradebeispiel wird die Firma „Isar Aerospace“ genannt, die sich direkt neben dem Campus angesiedelt hat. Es ist eine Start-Up-Geschichte wie aus dem Bilderbuch: Drei Raumfahrt-Studenten der TUM gründeten 2018 die kleine Firma, die Uni unterstützte sie dabei. Getragen wurde die Firma von der Idee, kleine und günstige Trägerraketen herzustellen, die dann wiederum Kleinsatelliten ins All schießen. Diese sind etwa wichtig für die Datenübermittlung auf die Erde. Man spricht bei dieser Entwicklung schon von der „Miniaturisierung“ der Raumfahrt.
Die Entwicklung dauerte zwei Jahre, 2020 wurden Produktionshallen von 4.500 Quadratmetern eröffnet. Einst waren sie drei Studenten, nun hat Isar-Aerospace mehr als 120 Mitarbeiter aus verschiedensten Nationen. Bisher wurden 150 Millionen Euro von Investoren eingesammelt, die an die Entwicklung glauben.
Kürzlich wurde bekannt gegeben, dass sich auch Porsche an Isar Aerospace beteiligt – die Autobauer haben offenkundig erkannt, dass PS-Protzer demnächst nicht mehr das große Geld bringen könnten. Verläuft alles nach Plan, wird es 2022 und 2023 zu Testflügen kommen. Danach sollen jährlich 20 Raketen gebaut werden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat der Firma einen Preis für „Mikrolauncher“ zuerkannt – und elf Millionen Euro als Starthilfe.
Ist Raumfahrt umweltschädlich wegen des Kraftstoffverbrauchs und der Materialien? Der Nutzen durch Erkenntnisse etwa zum Klimawandel sei viel größer als der Schaden, meint Hornung. Anders etwa als bei aufwändigen Mars-Missionen – „aber die machen wir auch nicht jeden Tag“.
Bezos, Branson und Musk
Und was ist mit den Milliardären Bezos, Branson und Musk, die den Trip ins All wohl vor allem fürs Ego brauchen? „Ach ja“, schnauft Hornung ein wenig. Solche Privatflüge seien eine „interessante Nische“, immerhin würden sie das Thema an die Öffentlichkeit bringen.
Die bayerischen Weltraum-Umtriebe werden aber auch kritisch gesehen. Von „falscher Schwerpunktsetzung und Etikettenschwindel“ spricht die Grünen-Landtagsabgeordnete und Wissenschafts-Sprecherin Verena Osgyan. Es gebe beim Klimaschutz in Bayern „keine großen Erkenntnisdefizite mehr, allerdings ein Umsetzungsproblem“. Statt in den Weltraum sollte man lieber „in Forschung zur angewandten Klimaanpassung“ investieren. Die Gründung eines neuen Zentrums dafür habe die Staatsregierung aber erst zu Jahresbeginn abgelehnt.
Die Raumfahrt-Initiative sieht Osgyan letztlich als „Wirtschaftsförderung und Standortpolitik zugunsten der rund um Ottobrunn ansässigen Luft- und Raumfahrtindustrie“. Auch den Grünen sei es ein Anliegen, „hier auf internationalem Niveau mithalten zu können“. Allerdings, sagt Osgyan, sollte dies dann auch so bezeichnet werden.
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