Baustopp für Reaktor-Schutzhülle droht: Keine Kohle für Tschernobyl
Der neue Sarkophag für den Atomreaktor in Tschernobyl soll rund dreimal so groß werden wie der Petersdom. Aber für das gigantische Bauwerk fehlt Geld.
BERLIN dpa | Ohne finanzielle Hilfe Deutschlands und der anderen G7-Staaten droht ein Baustopp bei der dringend benötigten neuen Schutzhülle für den zerstörten Atomreaktor in Tschernobyl. Es bestehe ein Finanzierungsdefizit von 615 Millionen Euro. Das Bauwerk ist erst zur Hälfte fertig ist, aber die bisher zur Verfügung gestellten Mittel werden Ende 2014 aufgebraucht sein.
Die über den havarierten Reaktor gespannte Schutzhülle soll mit einer Fläche von 42.000 Quadratmetern fast dreimal so groß wie der Petersdom werden. Da Deutschland derzeit die G7-Präsidentschaft innehat, kommt der Bundesregierung eine Schlüsselrolle zu. Für Mitte Oktober ist nun unter Federführung des Bundesumweltministeriums ein Treffen der G7-Gruppe für Nuklearsicherheit geplant, um zusätzliche Zusagen einzusammeln.
Beim G7-Gipfel Anfang Juni in Brüssel wurde in der Abschlusserklärung auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gemahnt: „Uns ist bewusst, wie komplex diese neuartigen Projekte sind, und wir appellieren an alle beteiligten Parteien, eine zusätzliche Anstrengung zu unternehmen, um sie zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen.“
Schon 1997 hatten die G7-Staaten der Ukraine Unterstützung beim Bau des Sarkophags zugesagt, es wurde der „Chernobyl Shelter Fund“ (CSF) eingerichtet. Deutschland hat bisher über 80 Millionen Euro in den Fond eingezahlt.
Aber die Zeit drängt, das zusätzliche Geld für die dicke Haube fehlt. Das Bundesfinanzministerium betont: „Im Bundeshaushalt 2014 und im Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2015 sind hierfür jeweils 7,65 Millionen Euro vorgesehen.“ Aber das ist längst nicht genug, wie eingeräumt wird. Das zuständige Bundesumweltministerium muss Minister Wolfgang Schäuble (CDU) noch Dutzende weitere Millionen abtrotzen.
„Die Fertigstellung der neuen Schutzhülle für den Sarkophag ist unabdingbar, um den havarierten Reaktor sicher zu umschließen und seinen Abbau zu ermöglichen“, mahnt Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Mit der Projektabwicklung beauftragt ist die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), sie pocht auf weitere Finanzzusagen.
Mitte Oktober soll bei einer Sitzung der G7-Gruppe für Nuklearsicherheit eine Entscheidung fallen. Während die USA, Deutschland, Kanada, Italien und die EU-Kommission wohl mehr Geld geben wollen, halten sich Japan, Frankreich und Großbritannien bedeckt. Ziel der Bundesregierung ist es, dass dann konkrete Beiträge von allen G7-Staaten genannt werden.
Für die Umweltschützer von Greenpeace ist das Gefeilsche skandalös. „Ich finde das unverantwortlich“, sagt Atomexperte Tobias Münchmeyer. Aber auch wenn das Geld fließen und der Bau der Schutzhülle vollendet werden sollte, sei das längst nicht das Ende. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass dadurch das Tschernobyl-Problem erledigt ist.“
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