Basisdemokratie bei den Grünen: Grüne bald in Reih und Glied?
Auf dem Parteitag will der Bundesvorstand die Hürden zur Mitbestimmung in der Basis erhöhen. Dagegen regt sich Widerstand.
Berlin taz | Karl-Wilhelm Koch ist wieder dabei, na klar. Der Pensionär aus der Vulkaneifel hat seit seinem Debüt 1998 kaum einen Grünen-Parteitag verpasst. Von der Basis aus reicht er zuverlässig seine Anträge ein, diesmal unter anderem einen für Frieden mit Russland, einen zu Atomwaffen in Deutschland und, als Unterstützer, einen gegen die Bewaffnung von Bundeswehrdrohnen noch in dieser Legislaturperiode.
Wer weiß, vielleicht wird er zumindest mit der letzten Forderung Erfolg haben. Im Sommer, bei der Aufstellung des Wahlprogramms, hatten sich die Grünen für Kampfdrohnen geöffnet – bei der entscheidenden Abstimmung aber nur mit einer hauchdünnen Mehrheit. Im Koalitionsvertrag ist die Bewaffnung nun zwar vereinbart. Ein Beschluss des SPD-Parteitags von vergangenem Dezember hat die Vereinbarung aber schon wieder infrage gestellt. Sollten die Grünen-Delegierten jetzt folgen, hätte die Ampel keine zwei Monate nach Amtsantritt den ersten Sand im Getriebe.
„Ich sehe das als Versuch, die Möglichkeiten der Mitbestimmung in der basisdemokratischen Partei ‚Die Grünen‘ auszuschalten“
Würde, könnte, sollte: Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Womöglich läuft alles im Sinne der Parteispitze und die Delegierten lehnen den Antrag ab. Darauf zählen kann aber niemand. Unberechenbarkeit macht Grünen-Parteitage schließlich aus, früher regelmäßig, heute zumindest gelegentlich.
Und in Zukunft? Geht es nach dem Bundesvorstand, dann wird es bei den Grünen demnächst noch vorhersehbarer zugehen. Mit einer Satzungsänderung will er die Zahl der Unterschriften vervielfachen, die ein Antrag braucht, um überhaupt auf dem Parteitag behandelt zu werden. Für einfache Mitglieder würde es schwieriger, eigene Themen zu setzen. „Ich sehe das als Versuch, die Möglichkeiten der Mitbestimmung in der basisdemokratischen Partei ‚Die Grünen‘ auszuschalten“, sagt Dauerantragsteller Koch.
Der sechsköpfige Bundesvorstand wird neu gewählt
Die Satzungsänderung ist natürlich nicht der einzige Tagesordnungspunkt auf dem digitalen Bundesparteitag, der am Freitag beginnt. Robert Habeck und Annalena Baerbock verabschieden sich von der Parteispitze. Der sechsköpfige Bundesvorstand wird neu gewählt. Eine Reihe inhaltlicher Anträge steht zur Abstimmung, neben denen zu Drohnen und Atombomben auch zwei zur EU-Taxonomie. Die Fehler im Wahlkampf werden ebenfalls Thema sein und wohl auch die Ermittlungen gegen den bisherigen Vorstand wegen womöglich zu Unrecht kassierter Coronaboni.
Allerdings ist die Satzungsänderung nicht weniger heikel als diese Themen, zumal die Parteispitze eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Vor ein paar Jahren ist sie mit dem Ansinnen schon mal gescheitert. Jetzt startet der scheidende Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium wechselt, bei seinem letzten Parteitag einen neuen Versuch.
Bisher muss ein Mitglied mindestens 20 Unterstützer*innen werben, um einen Antrag einreichen zu dürfen. Alternativ reicht auch das Votum eines einzelnen Ortsverbands. In Zukunft, so der Vorschlag des Vorstands, muss die Zustimmung zumindest von einem Kreisverband kommen – oder von 0,1 Prozent aller Parteimitglieder. Bei aktuell rund 125.000 Mitgliedern läge das Quorum aufgerundet also bei 130 Unterstützer*innen.
Kellner begründet das Vorhaben mit dem Mitgliederwachstum der Partei. Die bisherigen Regeln stammen aus der ersten Grünen-Satzung aus dem Jahr 1980, als die Partei 20.000 Mitglieder hatte. Zuletzt hat sich neben der Zahl der Mitglieder auch die der Anträge erhöht, beim Programmparteitag im Juni 2021 waren es über 3.000. Neben dem Wachstum der Partei könnte dabei auch eine Rolle spielen, dass sich Mitglieder durch das Internet heute leichter vernetzen können. „Es ist gut, dass wir Debatten haben. Aber die schiere Menge an Anträgen führt dazu, dass ich beim letzten Parteitag wahrscheinlich der Einzige war, der sie alle gelesen hat“, sagt Kellner. Gerade um weiterhin basisdemokratisch entscheiden zu können, muss die Partei demnach das Quorum erhöhen.
Die Parteispitze pokert aber bis auf Weiteres hoch
Ähnlich sieht es die Europaabgeordnete Hannah Neumann. Seit einem Jahr sitzt sie in der achtköpfigen Antragskommission, dem Gremium, bei dem alle Anträge zuerst landen. Vor dem letzten Parteitag war sie gut beschäftigt. „Ich habe meinen Job im Europaparlament in der Zeit zwar weitergemacht. Niemand von uns sitzt hauptamtlich in der Antragskommission. Aber es war schon ein sehr exzessives Hobby“, sagt Neumann.
Allein in das Thema der Drohnenbewaffnung habe sie damals mindestens 15 Stunden Arbeit gesteckt. Zig Anträge waren dazu eingegangen. Neumann hat alle gelesen, sie miteinander verglichen, Expertise eingeholt, Kompromissvorschläge formuliert, mit Antragsteller*innen telefoniert und Videokonferenzen abgehalten. Am Ende bekam sie von allen die Zustimmung, die Anträge auf drei Positionen herunterzubrechen: keine Bewaffnung der Drohnen, Prüfung von Einsatzszenarien vor einer Entscheidung oder Bewaffnung mit strengen Regeln. Diese drei Optionen kamen auf dem Parteitag zur Abstimmung.
„Die Antragskommission ist die Herzkammer unserer Parteidemokratie. Ich liebe diese Partei für ihre Beteiligungsmöglichkeiten“, sagt Neumann. „Aber über 3.000 Anträge so zu bündeln, dass die Delegierten die Übersicht behalten und sinnvolle Abstimmungen möglich bleiben, ist auf Dauer nicht zu leisten.“
Das Argument lassen auch an der Parteibasis viele gelten. Selbst Karl-Wilhelm Koch hält das Ansinnen der Parteispitze grundsätzlich für „nachvollziehbar“. Unverständlich ist für viele Mitglieder aber, warum die Bedingungen auf einen Schlag massiv verschärft werden sollen. Zum Antrag der Satzungsänderung sind von der Basis wiederum elf Änderungsanträge eingegangen, der erfolgreichste davon übrigens mit 81 Unterschriften. Einer fordert die Beibehaltung des bisherigen Quorums, andere schlagen einen behutsamen Anstieg vor: eine Hürde von 25, 30 oder 50 Anträgen.
Möglich, dass am Ende ein Kompromiss durchgeht. Die Parteispitze pokert aber bis auf Weiteres hoch. „Wir haben bewusst einen Vorschlag gemacht“, sagte Michael Kellner am Mittwoch, „den wollen wir auch zur Abstimmung stellen, damit die Versammlung in ihrer Weisheit entscheiden kann.“
Leser*innenkommentare
Bolzkopf
Tja, das mit den vielen Anträgen nennt sich Demokratie ...
Mit den 130 das könnte ich ja noch nachvollziehen - aber von Ortsverband auf Kreisverband ... das ist dann definitiv nicht mehr "Basis" ...
Aber mal so unter uns: Wenn ich an die Anfänge der Grünen zurückdenke ... an "Fundis" und "Realos", an Strickzeug im Plenarsaal, an Brockdorf, an die großen Demos in Bonn ...
Alles Geschichte.
Und jetzt wird auch mal wieder an der Basisdemokratie rumgesägt ...
Mein Gott, waren das noch Zeiten als man unbedingt den Konsens brauchte. Und es wurde weiterdiskutiert auch wenn schon alles gesagt war - aber halt nicht von jeder.
Vergessen, vorbei ...
Dietmar Rauter
So ist das: Es war also nicht nur ein Wahlkampfmanöver, eine 'Streit'-Debatte zu verhindern.Aus der Angst, heraus, das werte Publikum könnte bei einer streitlustigen (kreativen?) Partei da etwas missverstehen und vielleicht den Harakiri-Kurs dieser Ampelkoalition in Frage stellen (womöglich Herrn Lindner, Roberts Duz-Freund erschrecken und er wieder seine Verbots-Keule raushängen lässt) , wird eben einmal die sonst so in fleissiger vor-Ort-Gremienarbeit gut beschäftigte Mitgliederschaft weiter hingehalten und entmündigt. Kein demokratisches Vorbild, wo so viele Probleme zu lösen sind, die keine 'Partei' allein stemmen kann. Diese Gremienhocker werden immer einsamer - trotz hervorragender Alimentierung.
resto
@Dietmar Rauter Ich denke eher, dass Mitglieder:innen etwas sagen könnten, dass sie selbst erschrecken würde. Ähnlich wie im Fall Palmer. Schön wäre eine Partei, in der offen um Fragen gestritten wird.
TazTiz
Arme Grüne. Ihr habt Euch von Eurer Führung schön an der Nase herumführen lassen. Karrieresicherung und Machterhalt wie in der FDP, dann lieber gleich das Original.
Herbert Eisenbeiß
Passt - auch die Grünen wollen endlich ohne störende Basis wie einst Merkel einfach regieren können.
Dazu muss die Basis geknebelt werden.
95820 (Profil gelöscht)
Gast
Oh, welch ein Bild.. Man muss es einfach lieben. Hatte schon mal dazu geschrieben:
taz.de/Staatsanwal...rmittelt/!5829223/
Schaut! Lang und breit
jeweils zu zweit
seitlich flankiert –
ich bin verwirrt.
Folgt breit und Lang
Schwanengesang?
(Die Grünenspitze kriegt die Bonusspritze…
Nun liebt auch sie die Pandemie. )
taz.de/Nach-Fehler...ahlkampf/!5829967/
Rasch. Nicht Lang und Breit. Aus der Kurzanalyse wird ja sofort klar, dass die Partei zu viele Mitglieder hat. ⛄
Btw.: Warum heißen Drohnen eigentlich Drohnen? Wenn sie mit Waffen ausgerüstet werden, sind es doch Arbeitsbienen. Das sind die, welche die Drohnen final killen.
de.wikipedia.org/w...(Hautfl%C3%BCgler)
Ria Sauter
Gast
@95820 (Profil gelöscht) Passt doch zu den neuen Grünen, Basisdemokratie - weg damit.
Ist doch von gestern!
Lowandorder
Herrlich! Gellewelle&Wollnichwoll - Wie toll.
&Däh!=> “ Kellner begründet das Vorhaben (~ 130 statt 20) mit dem Mitgliederwachstum der Partei“ 🥚jòò 🥚jòò => & so =>
Danke - Herr Kellner - die Speisekarte braachemer nich weiderlese! Gelle.
kurz - Wennste die Kellner zu de Chefs mähtst!
Kriegste auch dess letzte Rest - Widerborst -
Untern Rasenmäher! - wa - aahlen Vollhorst •
Voll Normal ey - 🤢🤮🤑 -
Lowandorder
@Lowandorder kurz? - “Ruhe im Glied“ - 🪖🪖🪖🪖🪖 -
Paschd scho - Drohnen solln sich lohnen
& Däh! “meep meep“ 🧨💣🧨🧨💣💣 -
OberLutennent Cem👨🎨 - übt schon mal:
⚔️ zu Pflugscharen - 👨🌾Stolz bewahren!
Ja! Das alles hatten wir schon voll Qual!
taz.de/Gruene-und-...nant+%C3%96zdemir/
Doch eh ich mir tu das 🧠 - Verstauchen
Eine eine Frage: Wer tut sojet! ImmerGriins noch brauchen?
PU - mach doch mal ehr post rinkslechts.
Für - huhu - CD&CSU!
&
Für dei fei Strauß 💐 Dank im Voraus!
unterm—— btw & entre nous only —
(Onkel Herberts “Kopf&Gliedab-Jaeger“ -
Heb ich mir hier auf - für was späder!)
Na Servus