Backlust in der Heimisolation: Von Hamstern und Zöpfen
In Zeiten von Corona sollte man backen, zum Beispiel einen tröstlichen Hefezopf. Doch dafür muss man erst mal Weizenmehl im Supermarkt finden.
Eigentlich will ich bloß ein paar Packungen Spaghetti besorgen, und Birnen, um heißes Kompott mit Ingwer zu kochen, das einer Kollegin zufolge gegen Erkältungssymptome helfen soll. Da strahlt mich von der Bäckereitheke meines Supermarkts ein nahezu vollkommener Hefezopf an. Ich will mich in die Schlange stellen, als die Frau vor mir einen Hustenanfall bekommt, worauf ich aus Coronavirus-Panik die Flucht Richtung Obstabteilung antrete.
Dort habe ich eine Idee, die mich sehr glücklich macht: Wenn ich schon auf unbestimmte Zeit den größten Teil meiner Tage zu Hause verbringen muss, könnte ich endlich mal wieder etwas backen. Zum Beispiel einen weichen, tröstlichen Hefezopf.
Als ich vor dem Mehlregal stehe, wird mir klar, dass ich nicht die Einzige mit dem biedermeierlichen Wunsch nach häuslicher Gemütlichkeit bin. Fast das gesamte Weizenmehl ist ausverkauft, nur wenige Packungen mit Vollkorn-, Reis- und Kokosmehl gibt es noch. Die sind den Menschen im Katastrophenfall anscheinend zu fancy.
Waren Ernährungsratgeber wie „Weizenwampe – Warum Weizen dick und krank macht“ nicht bis vor Kurzem noch Bestseller? In schlechten Zeiten greift man wohl lieber zu dem, was man seit Kindertagen kennt. Und was besonders haltbar ist: Klassisches Weizenweißmehl vom Typ 405 kann man mehr als ein Jahr aufbewahren, Vollkornmehl hingegen wird wegen seines hohen Fettanteils schon nach wenigen Wochen ranzig.
Auch die Hefe ist oft ausverkauft
Ich habe Glück. Ganz hinten im Regal entdecke ich die letzte Packung Weizenmehl – ein spezielles, extrateures Spätzlemehl aus Demeter-Produktion, das sich aber, lese ich tatsächlich auf der Verpackung, gut für Hefezopf eignen soll. Ein Zeichen! Jetzt brauche ich nur noch ein Päckchen frische Hefe, doch die ist leider längst ausverkauft.
Natürlich gehört Supermarkthopping in Zeiten von Corona zu den vermeidenswerten Verhaltensweisen, doch mein Vorhaben, einen Hefezopf zu backen, fühlt sich überlebenswichtig an. Als mir im nächsten Geschäft ein Mitarbeiter das Kühlfach mit der Hefe zeigt, würde ich ihn am liebsten umarmen, lächle ihn aber nur aus zwei Metern Abstand an.
Wieder zu Hause muss ich über mich selbst den Kopf schütteln. Gut, ich habe mich nicht um Mehl geprügelt, wie es von einem Mann aus dem Kreis Osnabrück berichtet wird, der 50 Kilo Mehl kaufen wollte und eine Schlägerei anfing, weil man ihm nur 20 erlaubte. Ich war aber auch noch nie so versessen darauf, an Mehl und Hefe zu kommen. Hamsterkäufe führen gerade dazu, dass immer mehr Supermärkte Grundnahrungsmittel rationieren, Mühlen kommen mit der Produktion nicht mehr nach. Ein Bremer Mehlproduzent berichtete der Welt, dass die Nachfrage momentan sechs- bis siebenmal höher sei als sonst.
Niemand will der Dumme sein
Mit dem Hamstern verhält es sich so wie mit einer Reihe Dominosteine: Fällt der erste, kippen alle anderen um. Niemand will der einzig Blöde sein, der am Ende bei der Nachbarin um Nudeln, Mehl und Klopapier betteln muss.
Im „Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen“ vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist Mehl nicht in der Einkaufs-Checkliste für einen zehntägigen Grundvorrat aufgeführt. Dort steht nur, dass eine Person 3,5 Kilogramm Getreide und Getreideprodukte benötigt – Nudeln, Brot, Kartoffeln, Reis. Kohlenhydrate eben.
Warum sind die Mehlregale dann so leer? Vermutlich schalten wir in Ausnahmesituationen automatisch in einen Survivalmodus und orientieren uns an den Ernährungsplänen von Ausdauersportler:innen.
In meinem Supermarkt leerte sich zuerst das Nudelregal, von heller Ware zu dunkler, später das Regal mit dem Reis, dann kam das Mehl an die Reihe. Das ist natürlich, wenn man es recht bedenkt, krass vielseitig. Nudeln kann man damit machen, Bagel, Mehlsuppe. Und Brot backen, was schon länger ein Trend ist, der jetzt durch Corona noch mal befeuert wird: Weg von industriell verarbeiteten Lebensmitteln hin zum Selbermachen. „Dann weiß ich, was drin ist“, hört man seit einigen Jahren immer öfter. Ein Satz, der auch mit dem wachsenden Misstrauen gegenüber einer immer unübersichtlicher gewordenen Welt zu tun hat.
Ein preiswertes Antidepressivum
Mehl ist aber viel mehr als nur ein Sattmacher. Mit Fett und Zucker vermengt, ist es ein preiswertes Antidepressivum. Der Verzehr von süßem Gebäck löst Glücksgefühle aus. Mehr noch, wenn man es selbst herstellt. Dass Backen das Stresslevel senkt, ist wissenschaftlich erwiesen. Zum einen, weil man sich kreativ entfalten kann, zum anderen, weil man voll und ganz bei der Sache sein muss, und so alles andere um sich herum vergisst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Kein Wunder also, dass Backwettbewerbe wie „Zumbo’s Just Desserts“ bei Netflix oder Instagram-Accounts mit extravaganten Cupcakekreationen so viele Zuschauer:innen haben. Auch wenn das entschleunigte Leben, das man bräuchte, um das ganze Zeug nachzubacken, für die meisten ein Wunschtraum war, ist es in der Realität, wie sie jetzt durch den Shutdown eingetreten ist, vor allem beängstigend.
Bei so viel Ungewissheit hilft es mir, zwischendurch mal etwas Handfestes wie einen Hefeteig zu kneten, ihn mit der Hilfe eines Youtube-Tutorials zu „zöpfeln“, und schließlich in Form eines duftend-goldbraunen Zopfes aus dem Ofen zu holen. Und wenn ich in eine dick mit Butter und Himbeermarmelade bestrichene Scheibe beiße, fühlt es sich für einen kurzen Augenblick so an, als wäre alles gut. Das brauche ich manchmal, damit es irgendwie weitergeht.
Hefezopf selber machen
Zutaten: 500 Gramm Weißmehl, halber Würfel frische Hefe, 300 ml Milch, 70 g Butter, 1 EL Zucker, 1 Prise Salz, 1 Ei zum Bestreichen, Zitronenschale, Mandelstifte
Zubereitung: Die Milch erwärmen und mit der Hefe und dem Zucker mischen. Die flüssige Mischung in eine Schüssel mit Mehl, Butter, Salz und Zitronenschale geben. Mit den Knethaken vermengen, bis sich ein glatter Teig ergibt. Die Teigschüssel mit einem feuchten Tuch bedecken und eine Stunde an einem warmen Ort aufgehen lassen.
Den Teig in zwei Hälften teilen und die ausgerollten Stränge zu einem Zopf flechten. Den Ofen auf 170 Grad vorheizen, den Zopf mit Ei bestreichen, mit Mandeln bestreuen und rund 50 Minuten backen. Er ist fertig, wenn er beim Klopfen auf die Unterseite hohl klingt.
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