BGH erlaubt Nutzung von EncroChat-Daten: „Keine Massenüberwachung“

Frankreichs Polizei hat die Handys von Drogendealern geknackt. Dies führte auch in Deutschland zu Tausenden Verfahren. Zu Recht, sagte jetzt der BGH.

Kabel und Leuchten

Encrochat-Daten dürfen bei schweren Straftaten verwendet werden Foto: Robert Michael/dpa

KARLSRUHE taz | Deutsche Gerichte dürfen die Daten von Krypto-Handys verwerten, die mit der Verschlüsselungs-Software EncroChat arbeiteten. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt bekannt gewordenen Grundsatzbeschluss entschieden. Dies könnte über zweitausend Verurteilungen von Drogendealern ermöglichen.

Im konkreten Fall ging es um einen Hamburger, der in großem Stil mit Drogen handelte. Unter anderem hatte er fünf Kilo Kokain angeboten. Das Landgericht Hamburg verurteilte den Mann im Juli 2021 zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe. In der Revision beim BGH machte die Verteidigung vor allem geltend, dass verräterische Nachrichten auf seinem EncroChat-Handy aus rechtsstaatlichen Gründen nicht verwertbar seien.

Der 5. Strafsenat des BGH nahm den Fall zum Anlass, in einem sehr gründlichen 47-seitigen Beschluss darzulegen, warum die Encro-Chat-Daten in Deutschland durchaus als Beweismittel genutzt werden können.

Ausgangspunkt war 2019 ein Verfahren in Frankreich. Die französische Polizei stellte bei Dealern spezielle Handys fest, mit denen die Nutzer nur Chats, SMS und Notizen schreiben konnten. Die Polizei konnte diese Kommunikation nicht analysieren, weil sie effizient verschlüsselt war. Derartige EncroChat-Handys kosteten über 1.600 Euro und waren in normalen Läden nicht zu kaufen.

Wie das „Abfangtool“ funktioniert, ist Militärgeheimnis

Die auf Internet-Ermittlungen spezialisierte Staatsanwaltschaft in Lille fand heraus, dass die Betriebsdaten des Netzwerks auf einem Server in Rubaix lagen. Sie erwirkte dann einen richterlichen Beschluss, über diesen Server alle Krypto-Handys mit einer „technischen Einrichtung“ zu versehen, die sie für die Polizei überwachbar macht. Der BGH spricht von einem „Abfangtool“, das „per Ferninjektion“ eingebracht wurde. Die Details unterliegen dem französischen Militärgeheimnis.

Es zeigte sich, dass 32.477 Telefone in 121 Ländern an das EncroChat-Netzwerk angeschlossen waren. Über Europol wurde auch die deutsche Justiz von dem Fang informiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt beantragte im Juni 2020 per Europäischer Ermittlungsanordnung die Übergabe aller Encrochat-Daten, die Straftaten in Deutschland betrafen. Seitdem sind Polizei und Justiz in ganz Deutschland mit Encrochat-Verfahren überlastet.

Die Auswertung der Daten ist allerdings äußerst erfolgreich. Denn die Nutzer der Encrochat-Handys, überwiegend Drogendealer, kommunizierten ganz offen über ihre Straftaten. Schließlich glaubten sie, ein absolut überwachungssicheres Gerät zu nutzen.

Fast überall machten die Verteidiger jedoch geltend, die Daten seien nicht verwertbar. In Frankreich habe eine unzulässige Massenüberwachung stattgefunden. Pauschal seien alle Käufer eines Krypto-Handys als Kriminelle verdächtigt worden, obwohl es doch viele gute Gründe gebe, verschlüsselt zu kommunizieren. In Deutschland sei die französische Aktion nicht möglich gewesen. So argumentierte auch das Landgericht Berlin im Juli 2021, das deutschlandweit als einziges Gericht den Anträgen der Verteidigung stattgab.

Der BGH wies diese Argumentation nun aber zurück. Es komme gar nicht darauf an, ob die französische Ermittlungsmaßnahme in Deutschland genehmigt worden wäre (was viele deutsche Gerichte allerdings durchaus bejaht hatten). Bei der europäischen Rechtshilfe werde vielmehr vermutet, dass sich die Polizei in den Partnerstaaten an die dortigen Gesetze hält und die europäischen Grundrechte beachtet.

Encro-Chat-Handys werden von Kriminellen verwendet

Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, so der BGH, hier habe es aber keinen Grund zu Zweifeln gegeben. Der Verkauf der EncroChat-Handys sei schließlich kein normales Geschäftsmodell gewesen, das leider auch von einigen Kriminellen genutzt wurde. Vielmehr seien die Geräte fast ausschließlich im kriminellen Milieu verwendet worden. Werbung und Vertriebswege zielten auch auf diese Klientel ab. Die EncroChat-Verkäufer handelten ausschließlich im Verborgenen.

Deshalb durfte auch die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft in Frankreich pauschal alle EncroChat-Daten mit Deutschland-Bezug anfordern, betonte der BGH. Jeder, der ein derartiges Krypto-Handy benutzte, war schon deshalb verdächtig.

Auch die Tatsache, dass die konkreten Methoden der „Ferninjektion“ nicht offengelegt wurden, spreche nicht gegen eine Verwertung der EncroChat-Daten in Deutschland, so der BGH. Die französische Justiz habe die Auswirkungen der Aktion präzise genug beschrieben, so dass es auf die Methoden nicht ankomme.

Der Beschluss hat große praktische Relevanz. Denn aufgrund der EncroChat-Daten wurden in Deutschland über 2.250 Ermittlungsverfahren eingeleitet. In über 900 Fällen wurden Haftbefehle ausgestellt.

Der BGH-Beschluss dürfte auch für hunderte Parallel-Verfahren relevant sein, bei denen Daten mit Hilfe einer Handy-App namens „Anom“ gewonnen wurden. Anom war vom US-amerikanischen FBI manipuliert und vertrieben worden.

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