piwik no script img

Autonome im venezolanischen ExilAnklage gegen das Komitee

Zwei Autonome flüchteten nach Venezuela, weil sie versucht haben sollen, 1995 ein Abschiebegefängnis in Berlin zu sprengen. Nun wurde Anklage erhoben.

Der Gesuchte Thomas Walter in Venezuela Foto: Wolf-Dieter Vogel

Berlin taz | Seit April 1995 sind Thomas Walter und Peter Krauth verschwunden. Zuvor sollen die beiden Linksradikalen mit dem 2021 verstorbenen Bernhard Heidbreder versucht haben, den im Umbau befindlichen Abschiebegewahrsam im Berliner Stadtteil Grünau mit 120 Kilogramm Sprengstoff in die Luft zu sprengen. Das Vorhaben scheiterte, das Trio floh.

Zuletzt lebten Walter und Krauth in Venezuela im Asyl – und werden bis heute mit deutschem Haftbefehl gesucht. Nun erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen die beiden vor dem Berliner Kammergericht.

Die Anklage wurde bereits im Dezember erhoben, aber erst jetzt von der Bundesanwaltschaft veröffentlicht. Sie wirft Krauth und Walter, heute 64 und 62 Jahre alt, die Verabredung zu der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vor. Beide Männer hätten sich spätestens im Herbst 1994 zusammen mit Heidbreder zur linksmilitanten Gruppe „Das K.O.M.I.T.E.E.“ zusammengeschlossen. Deren Ziel sei es gewesen, mit Brand- und Sprengstoffanschlägen politische Veränderungen herbeizuführen.

Ein solcher Anschlag sei auch am 11. April 1995 auf das damals im Umbau befindliche Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau geplant gewesen. Das Trio habe vier Propangasflaschen mit 120 Kilogramm Sprengstoff und Zeitzündern präpariert. Bei der Umladung der Sprengsätze auf einem Parkplatz in der Nähe der Haftanstalt wurde die Gruppe aber von einer zufällig vorbeifahrenden Polizeistreife gestört und flüchtete.

Bereits ein halbes Jahr zuvor soll die Gruppe zudem einen Brandanschlag auf das Kreiswehrersatzamt in Bad Freienwalde verübt haben. Es entstand ein Sachschaden von 200.000 DM. Das „K.O.M.I.T.E.E.“ hatte sich 1995 nach dem gescheiterten Anschlag in Berlin-Grünau aufgelöst.

Die Bundesanwaltschaft sieht Taten nicht verjährt

Bereits vor Jahren hatte das Trio offenbart, dass es sich in Venezuela befindet. Die taz hatte Krauth, Walter und Heidbreder dort im Jahr 2017 besucht. Heidbreder verstarb 2021 dann an Krebs. Laut ihrem Anwalt sind Krauth und Walter weiterhin in dem Land. Venezuela gewährt den Männern seit 2021 politisches Asyl. Eine Auslieferung nach Deutschland wird verweigert, weil nach venezolanischem Recht die Taten bereits verjährt sind. In Deutschland ist dies nach Sicht der Bundesanwaltschaft nicht Fall: Wegen wiederholt erneuerter Haftbefehle ende die Verjährungsfrist erst im Jahr 2035.

Eine Sprecherin des Berliner Kammergerichts bestätigte der taz die Anklageerhebung. Das weitere Prozedere liege nun in der Hand des zuständigen Strafsenats, sagte sie. Die Sprecherin betonte aber, dass eine Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten nicht möglich sei.

Da Kurth und Walter nicht festgenommen sind, müssten diese sich also freiwillig dem Prozess stellen. Ob sie dazu bereit sind, wollte Walter auf taz-Anfrage nicht sagen. Er müsse sich zu der Anklage vorerst mit seinem Anwalt besprechen, teilte er mit. Auch der Anwalt von Krauth sagte der taz, er werde die nächsten Schritte erst mit seinem Mandanten besprechen.

Bereits in der Vergangenheit soll es seitens der Strafverfolger Angebote an die Gruppe gegeben haben, für den Fall, dass sie sich stellen – zuletzt eine Haftstrafe von höchstens dreieinhalb Jahren. Darauf waren Walter und Krauth aber nicht eingegangen. Mit der fortschreitenden Zeit wird die Straferwartung aber immer geringer. Auch den Anschlag in Bad Freienwalde wirft die Bundesanwaltschaft der Gruppe inzwischen nicht mehr vor.

Thomas Walter und Peter Krauth hatten sich zuletzt aus Venezuela weiter politisch geäußert. So hatte sich Walter mit kurdischen Kämpfern in Rojava, Klimaprotesten oder der früheren RAF-Terrorbeschuldigten Daniela Klette solidarisiert. Klettes früherer Wegbegleiter Burkhard Garweg, der bis heute ebenso flüchtig ist, hatte sich wiederum jüngst in einer ersten Stellungnahme aus dem Untergrund, welche die taz veröffentlichte, mit den „K.O.M.I.T.E.E.“-Verfolgten solidarisiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Schade, dass sich diese drei linken Männer nicht der Verantwortung gestellt haben. Ähnlich wie Lina E. hätten/würden sie von manchen Menschen auch Anerkennung und Respekt erhalten. Außerdem wären wichtige Diskussionen angestoßen worden.

    Selbstverständlich verstehe ich aber auch, dass sie nicht ins Gefängnis, sondern sich lieber im Ausland ein selbstbestimmtes Leben aufbauen wollten, zumal sie das deutsche Gerichtswesen evtl. ohnehin nicht anerkennen.

  • Autonome?

    Wenn jemand ein Gefängnis mit 120 Kilogramm Sprengstoff in die Luft sprengen will, dann empfinde ich die Bezeichnung "Autonome" als unpassend. Es sind mutmaßliche Verbrecher, völlig egal ob links- oder rechtsextrem.

  • leider spielt, weil menschlich, bei der Bewertung einer Tat immer wieder die eigene Ideologie mit in den Standpunkt rein.



    Ein Anschlag ist aber immer ein Anschlag, ein Diebstahl immer ein Diebstahl. Religiöse, moralische, politische oder ideologische Aspekte sollte man hier tunlichst nicht einfließen lassen. Daher ist die Tat durchaus immer als Straftat zu sehen, denn der Zweck heiligt nicht die Mittel. Schließlich ist ein Mord aus Notwehr immer noch ein Mord, welcher selbstverständlich strafrechtlich verfolgt gehört. Ob und wie dann eine Strafe angesetzt wird, ist hier nicht Gegenstand der Betrachtung.

    • @Oleg Fedotov:

      Mord aus Notwehr immer noch ein Mord,



      Nein ist nicht! Wenn sie sich gegen einen Angreifer zur Wehr setzen und er stirbt dabei sind sie, niemand ein Mörder. Der Tatbestand eines Mörders ist in den Gesetzen geregelt.



      Notwehr bleibt Notwehr

  • So viel Hartnäckigkeit würde man sich von den Ermittlungsbehörden beim Aufdecken rechtsextremer Netzwerke wünschen.

    • @Kanuka:

      Seit Jahren leben die offen in Venezuela (u.a. 2017 Besuch durch die taz, 2021 offizielles Asyl) und im Dezember 2024 wird Klage - die natürlich ohne jede Folge bleiben wird - für Verbrechen aus den 1990er erhoben.

      Das nennen Sie Hartnäckigkeit? Ich nenne das Schnarchnasigkeit.

    • @Kanuka:

      So ist das zu sehen und läuft seit Bestehen der BRD anders.

  • Wäre der "Anschlag" zu Silvester mit Kugelböllern, wie zuletzt in Berlin, erfolgt, wäre sicherlich keine Anklage erfolgt, handelt es sich dabei doch um traditionelles bundesdeutsches Verhalten am 31.12. jedes Jahres; so Aussagen von Mitgliedern der CDSU-Partei (MSU). Daher werden solche Taten auch nicht verfolgt, auch wenn es in der Bilanz doch zu Toten kam. Aber bei gescheiterten vergleichbaren Fällen in der Vergangeheit zum falschen Zeitpunkt ist mit langjährigen Verfolgungen durch den Bundesanwalt zu rechnen. Welch seltsame Auffassung.