Autofreie Innenstadt: Hannover will Fußgängerstadt werden
Der grüne Oberbürgermeister Belit Onay will Niedersachsens Metropole „nahezu autofrei“ machen. Doch was braucht es, um eine City umzukrempeln?
Das Konzept ließ ein Weilchen auf sich warten, doch jetzt liegt es vor. „Nahezu autofrei“ soll Hannovers Innenstadt bis 2030 werden. Dafür sollen Fußgänger, Radfahrer, Busse und Bahnen konsequent Vorrang erhalten.
Im Kern setzt Hannover dabei auf eine Strategie, mit der gerade viele europäische Städte versuchen, ihre kränkelnden Konsummeilen zu revitalisieren: Mehr Aufenthaltsqualität, mehr Gastronomie, mehr Kultur, mehr Grün.
Hannover, glaubt Onay, könnte dabei einmal mehr eine Vorreiterrolle einnehmen. Zum Vorteil könnte für die Stadt ausgerechnet das Vorbild von vor-vorgestern werden. Zur „autogerechten Stadt“ baute Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht Hannover in den fünfziger Jahren um.
Nur noch zum Parkhaus und zurück
Was die Bombenhagel vom historischen Stadtkern übrig gelassen hatten, fiel unter ihm dem Straßen- und U-Bahnbau zum Opfer. Dafür hat Hannover nun einen Stadtkern, der konsequent von einem sechsspurigen Cityring umschlossen wird.
Wenn es nach Onay geht, soll der Cityring künftig die Grenze für stadtfremde PKW bilden. Von da aus geht es über fünf „Erschließungsstiche“ nur noch ins Parkhaus und zurück. Keine Schleichwege durch die City mehr, kein endloses Gekurve durch Seitenstraßen auf der Suche nach einem Parkplatz.
Diese sollen nämlich konsequent zurück gebaut werden – zugunsten von breiteren Gehsteigen und Radwegen, fließenden, barrierefreien Übergängen zu prächtigen Flanier- und Spiel- und Sitzmeilen.
„Nahezu autofrei“ heißt das Konzept aber auch, weil es natürlich ein halbes dutzend Ausnahmen gibt: Für Lieferverkehr, für Mobilitätseingeschränkte, für Anwohner und Arbeitnehmer, die private Stellplätze ansteuern – das dann aber bitte schön nur noch mit 20 bis 30 Stundenkilometern.
Schneller da wären sie ja trotzdem noch, glauben Onay und sein Stadtbaurat Thomas Vielhaber (SPD), immerhin müssten sie mit weniger Autos konkurrieren.
CDU als Fürsprecherin der Umlandbewohner
Überhaupt versuchen die beiden Lokalpolitiker alles, um zu verhindern, dass sich die Debatte immer wieder auf dieses „Autos – ja oder nein“ verengt, zeichnen Fußgängerrouten und ÖPNV-Netze nach, verweisen auf das im Ausbau befindliche Radwegenetz.
Aber am Ende landet die Debatte trotzdem immer bei dieser Frage. Von einer „ideologisch motivierten, einseitigen Verbannung des Autos“ spricht die CDU-Opposition und wettert: „Onay setzt die Axt an die Zukunftsfähigkeit der Innenstadt“.
So verstehen sich die Konservativen in erster Linie als Fürsprecher der Speckgürtel- und Umlandbewohner, die gern mit dem Auto nach Hannover pendeln – obwohl das bisher ja auch schon Grenzen hatte. Immerhin redet man hier von jenen 2,5 bis 3 Quadratkilometern Innenstadtfläche, die auch jetzt schon zu weiten Teilen aus Fußgängerzonen bestehen.
Der Koalitionspartner SPD befindet sich dagegen in einem heiklen Dilemma: Einerseits hat ihr Stadtbaurat an dem Konzept mitgearbeitet, bei der wahlberechtigten Stadtbevölkerung scheint es Sympathien für das Anliegen zu geben – sonst hätte Onay nicht gewonnen.
Andrerseits möchte man dem Grünen das Rathaus bei der nächsten Wahl 2026 gern wieder aus der Hand nehmen. Aber wie soll man an Profil gewinnen, indem man grüne Schlüsselprojekte unterstützt?
Misstrauisch beäugte Experimentierräume
Im Detail wird ohnehin noch viel zu debattieren sein. Onay wirbt jetzt um Unterstützung für das Gesamtkonzept, aber jede einzelne Baumaßnahme wird dann auch noch die Ratsgremien durchlaufen müssen. Für etliche Einzelmaßnahmen hat die Stadt schon Fördermittel aus Bundesprogrammen eingeworben. Insgesamt sind es rund 20 Millionen Euro. Der Bürgermeister spricht von einem der größten Förderpakete der letzten Jahrzehnte.
Doch vieles hat er eben auch nicht allein in der Hand: Die Stadt ist darauf angewiesen, dass andere nachziehen, Gewerbetreibende wie Nutzer sich die gewonnenen Flächen tatsächlich zu Nutze machen. Bei Onays „Experimentierräumen“ – den temporären Platz- und Straßensperrungen, mit denen alternative Nutzungen erfahrbar gemacht werden sollten – war das immer ein großes Thema.
Jede freibleibende Bank beim Straßenfest, jedes nicht rund um die Uhr bespielte Turngerät, jeder traurig aussehende Blumenkübel wurde von den Skeptikern aufmerksam registriert, nach dem Motto: Siehste, funktioniert ja nicht.
Auch die Planung des öffentlichen Nahverkehrs liegt nicht mehr in den Händen der Stadt – hier ist die SPD-dominierte Region am Zug. Die verkündet zwar auch ehrgeizige Ausbaupläne, störte den sorgsam choreografierten öffentlichen Auftakt für das Mobilitätskonzept aber auch gleich einmal mit der Ankündigung, die Ticketpreise deutlich erhöhen zu wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg