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Autobranche gegen neue KlimazieleKritik an Verschärfung

Der Verband der Automobilindustrie warnt vor einem Jobverlust durch den Umstieg auf E-Mobilität. Er lehnt das Vorziehen der deutschen Klimaziele ab.

Ein Mitarbeiter der Daimler AG in Sindelfingen in der Produktion der S-Klasse Foto: Marijan Murat/dpa

Berlin taz | Der Umstieg der deutschen Autoindustrie vom Verbrennermotor auf Elektroantriebe wird bis zum Jahr 2025 mindestens 178.000 Arbeitsplätze in der klassischen Produktion kosten, bis 2030 könnten es 215.000 sein. Das hat das Münchener Ifo-Institut im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie (VDA) ausgerechnet. Wie viele neue Stellen durch die ausgeweitete Produktion von E-Autos entstehen werden, wollen die Forscher nicht beziffern. Dazu seien zu viele ungewisse Parameter im Spiel, hieß es bei der Vorstellung der Studie bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Derzeit hängen laut VDA-Präsidentin Hildegard Müller rund 613.000 Jobs direkt oder indirekt mit der Produktion von Verbrennerautos zusammen. Der Ifo-Studie zufolge wird die Umstellung auf E-Mobilität mehr Ar­beit­neh­me­r:in­nen den Job kosten als in Rente gehen. Danach werden bis 2025 rund 75.000 und bis 2030 rund 147.000 Beschäftigte in der Autobranche altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Wie viele der übrigen Zehntausende zum E-Auto-Bau wechseln, ist unklar. Durch den Umstieg fallen zwar Jobs im Bereich etwa der Abgastechnik weg. Allerdings entstehen neue, unter anderem in der Batterieproduktion.

„Die Zahlen zeigen, welche enorme Herausforderung bei der Anpassung vor allem bis zum Jahr 2025 vor uns stehen“, sagte Müller. Die Branche brauche Technologieoffenheit. „Wir setzen neben den hohen Investitionen in den Hochlauf der E-Mobilität auch auf Wasserstoff und eFuels“, sagte sie. Damit könnten auch Verbrennermotoren klimaneutral werden.

Müller übte harsche Kritik an der geplanten Verschärfung der deutschen Klimaziele. Die Bundesregierung will als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz bis 2045 Klimaneutralität erreichen. „Wir bekennen uns zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050“, sagte Müller. Ihr sei unverständlich, warum die Klimaziele über Nacht verschärft würden. „Gute Gesetzgebung sieht anders aus“, sagte sie. „Das schädigt Vertrauen.“ Es gebe keine Folgenabschätzung, auch sei die Wirtschaft nicht an der Entscheidung beteiligt worden.

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11 Kommentare

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  • Liebe Autobranche, hier kommt eine Information:



    Es geht bei diesem Gesetz nicht um euch. Es geht um die Rechte zukünftiger Generationen.



    Ihr dürft aber mitmachen, wenn ihr eine frische Kanne Kaffee aufbrüht, eine Physiotherapie anfangt und euch diesen geänderten Prämissen anpasst.

    Meldet euch, wenn ihr soweit seid.

    • @Annette Thomas:

      Das Aufbrühen des Kaffees übernehmen die Manager. Die haben es vergeigt. Die Warnungen vor einem Umbruch der Autoindustrie wurden aus lauter Arroganz, Gier und Träumerei in den Wind geschrieben.



      Nun seht zu. Wofür waren noch mal die aberwitzigen Boni gedacht?

    • @Annette Thomas:

      "Meldet euch, wenn ihr soweit seid." Zusatz: Bis dahin stehen die Bänder still. ;-)

  • Wann darf sich Frau Merkel wieder sich bei uns entschuldigen?

  • Die Autoindustrie entwickelt sich seit Jahrzehnten in eine perverse Richtung. Ich brauche ein Auto, mit dem ich einigermaßen wetterunabhängig meine Arbeitsstelle erreichen kann (ca. 20 km einfach, ÖPNV: 3 mal umsteigen). Damit ich einkaufen kann (nächster Supermarkt 8 km einfach). Damit ich manchmal meine nächsten Verwandten (380 km) besuchen kann. In das meine Ausrüstung für einen Zelturlaub reinpasst. Was brauche ich dafür? Ungefähr sowas wie einen Renault R4 seligen Angedenkens. Was brauche ich dafür nicht? Einen SUV mit Servolenkung, Klimaanlage und "voller Konnektivität".

    • @sollndas:

      +1

  • Man sieht an dieser Reaktion, wie wenig innovativ und wie langsam die Spitzenleute der deutschen Automobilwirtschaft denken. Innovation in diesem Bereich die über ein imner schneller und immer stärker hinausgeht beruhte fast immer auf strenger werdenden staatlichen Vorgaben zur Sicherheit und Umweltschutz - und davon profitiert die Industrie in den Staaten am meisten, aus denen diese Vorgaben kommen. Voraussetzung ist allerdings innovatives Denken im Management.

    Am Ende werden bei den Zulieferern und Herstellern weniger Menschen in der Produktion arbeiten. Das ist ein Prozess der nicht neu ist und der nie zu Massenarbeitslosigkeit geführt hat. Auch in anderen Bereichen werden vor allem nicht-akademische Jobs wegfallen, durch Automatisierung und Robotik werden wir keine Kraftfahrer und Reinigungskräfte und deutlich weniger Leute in der Pflege brauchen. Dafür viel mehr in der Entwicklung von Software und Elektronik. Und wenn wir insgesamt weniger arbeiten müssen, Vollzeit nicht mehr bei 40 Stunden liegt, dann ist das ja auch ein Gewinn.

  • Beißreflex beim Verband erfolgreich ausgelöst !



    Oder um es noch deutlicher zu sagen: Primatengleiches Fäuste-auf-die-Brust-trommeln.

    Es ist höchste Zeit dass eine Branche, ,die vornehmlich durch Abgasskandale und aggressives Marketing auffällt, echte innovative Ideen entwickelt. Sonst wird sie der Markt wegfegen.

    Die "Leader" der Branche sollten vielleicht mal schauen wie es den Dampfloks ergangen ist - und vor allen Dingen mit welchem Tempo die aus der Welt verschwunden sind ...

  • Nun, E-Mobilität kann entlang ökologischer und klimapolitischen Gesichtspunkten weder heißen, wie bisher pro Jahr ca. 5 Mio. Autos in Deutschland und 56 Mio Autos weltweit im zu bauen, noch die in Deutschland ca. 50 Mio. zugelassenen Autos und die 1,2 Milliarden (!) durch Autos mit Elektroantrieb zu ersetzen. Es braucht eine Reduzierung von Autos, eine Abkehr vom Autoverkehr hin zum Kollektivverkehr und Fußgänger*innen, Fahrrad/Handbike-freundlichen Verkehr. Dafür braucht es entsprechende Verkehrsmittel und Infrastruktur und somit auch Arbeitsplätze - also eine Umstrukturierungspolitik. Die Angstmacherei bezüglich der Arbeitsplätze ist das Ergebnis der Marktstrategien der Autohersteller, ist der Versuch Löhne zu drücken und dient Kapitalinteressen, nicht den Interessen der Arbeitnehmer*innen. Die Autohersteller werden Arbeitsplätze streichen, so sie diese nicht mehr meinen zu benötigen, um Profite zu steigern/hoch zu halten. Die Folgen der Klimaerhitzung trifft die Ärmsten zuerst und am heftigsten, aber auch hiesige junge Generationen werden stetig negativere Folgen zu spüren bekommen, so nicht im notwendigen Maße klimapolitisch umgesteuert wird. Das sollten mehr Arbeiter*innen, von denen ja auch welche Kinder und Kinderwünsche haben, bedenken ...

  • Die Heuchelei der deutschen Autobauer ist nicht zu übersehen. Immer wieder die Arbeitsplätze als Erpressung bringen, wenn es ihnen gegen den Strich geht. Wer braucht schon gute Luft? Hauptsache weiterhin dicke Verbrenner produzieren. Schliesslich soll der Gewinn ja maximiert werden (alte kapitalistische Weisheit:).

    • @joaquim:

      Ich gebe Ihnen Recht, aber es ist nur die eine Seite der Medaille, denn die andere ist die der Kunden, die sich an vier Auspuffrohren (pro Auto versteht sich) befriedigt.