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Ausweitung des Gaza-KriegesAushungern und erobern

Israel will ganz Gaza besetzen. NGOs kritisieren die Pläne zu künftigen Hilfslieferungen, das Militär fliegt Angriffe auf die Huthis in Jemen.

Menschen an einer Essensausgabe im palestinensischen Flüchtlingslager Khan Younis, 5. Mai Foto: Abdel Kareem Hana/ap

Jerusalem taz | Ein erstes Ziel haben die angekündigten massiven Ausweitungen der israelischen Angriffe im Gazastreifen bereits vor ihrem Beginn verfehlt: Statt die radikal­islamistische Hamas zu Zugeständnissen zu bewegen, hat die Gruppe weiteren Verhandlungen eine Absage erteilt. „Solange der Hunger- und Vernichtungskrieg im Gaza­streifen andauern, ist es sinnlos, Gespräche zu führen“, sagte Bassem Naim, ein Mitglied des Hamas-Politbüros am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP.

Wie sieht der Netanjahu-Plan aus?

Am Sonntagabend hatte Israels Sicherheitskabinett beschlossen, den gesamten Gazastreifen militärisch einzunehmen und auf unbestimmte Zeit zu besetzen. Die mehr als zwei Millionen Bewohner, die Israel seit über neun Wochen durch eine Blockade aller Hilfslieferungen aushungert, sollen im Süden zusammengedrängt werden. Bereits jetzt gelten 70 Prozent des Gebietes als Sperr- oder Kampfzonen.

Ihre Minimalversorgung soll durch einen neuen Verteil­mechanismus unter Aufsicht der israelischen Armee garantiert werden, den internationale Helfer als völlig unzureichend und unvereinbar mit humanitären Prinzipien kritisieren. Zur Umsetzung beruft Israel Zehntausende zusätzliche Reservisten ein.

Verhandlungen waren nach dem israelischen Bruch der Waffenruhe Mitte März nicht vorangekommen: Israels Führung will ein Ende des Krieges nur nach einer Zerstörung der Hamas akzeptieren. Die Hamas weigert sich, weitere Geiseln für kurzfristige Kampfpausen freizulassen und besteht auf einem dauerhaften Ende der Kämpfe und einem vollständigen Abzug Israels.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Die Operation soll laut Regierungschef Benjamin Netanjahu die Hamas besiegen und die noch in Gaza gefangenen Geiseln heimholen. Der Analyst Michael Milshtein, der einst beim israelischen Militärgeheimdienst die Palästina­abteilung leitete, hält beide Ziele für unvereinbar. Den Soldaten würden schwere Kämpfe drohen, an deren Ende die Hamas als Guerillagruppe weiter existieren dürfte. „Dafür müsste Israel eine Zivilverwaltung für die Versorgung von zwei Millionen Menschen in einem vollständig zerstörten Gebiet herstellen, die Israel hassen.“ Binnen 19 Monaten wurden bei israelischen Angriffen mehr als 52.000 Palästinenser getötet und fast alle Lebensgrundlagen in Gaza zerstört.

Wie sollen künftig Hilfen nach Gaza gelangen?

Laut dem Plan soll das Militär sechs Verteilstationen für humanitäre Hilfe einrichten, abgesichert von zwei privaten US-Sicherheitsfirmen. Die Anlagen liegen größtenteils im äußersten Süden und sollen mit lediglich 60 Lastwagen pro Tag versorgt werden, einem Zehntel der Menge während der Waffenruhe Anfang des Jahres.

Hilfsorganisationen lehnen den Plan ab. Laut des UN-Nothilfebüros Ocha würde nur ein Bruchteil der Bevölkerung erreicht werden, es drohe Gewalt an den Verteilstationen. Die Nutzung humanitärer Hilfe, um Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben, widerspreche zudem humanitären Grundsätzen wie Neutralität. Israel wolle damit in erster Linie internationalen Druck mindern, sagte der Leiter einer in Gaza tätigen internationalen Hilfsorganisation der Washington Post.

Internationale Reaktionen

Frankreich, Großbritannien und UN-Generalsekretär ­António Guterres kritisieren die Pläne. Wirkung haben solche Appelle im bisherigen Kriegsverlauf allerdings kaum gezeigt. Einfluss schreiben viele Beobachter hingegen US-Präsident Donald Trump zu, der Netanjahu im Januar zu einem Waffenstillstand gedrängt hatte. Seither aber lässt Trump Israel weitgehend freie Hand. Die Operationen sollen erst beginnen, nachdem Trump Ende kommender Woche Saudi-Arabien und weitere Golfstaaten besucht haben wird.

Eskalation mit den Huthis

Massive Angriffe hat die israelische Armee nach dem Einschlag einer Huthi-Rakete nahe dem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv derweil im Jemen gestartet. 20 bis 30 Kampfjets waren laut Medienberichten an der Attacke am Montag beteiligt, die laut der Armee unter anderem den Hafen von al-Hudaida trafen. Ändern dürften die Attacken kaum etwas. Trotz mehr als 800 US-Luftangriffen seit Trumps Amtsantritt auf Ziele der proiranischen Rebellen haben diese ihre Angriffe auf Israel und den internationalen Schiffsverkehr fortgesetzt. Die Mehrheit der Handelsschiffe umfährt das Rote Meer und den Suezkanal.

Beamte des Pentagon sollen Verbündeten laut der New York Times mitgeteilt haben, „nur begrenzten Erfolg“ bei der Zerstörung des Huthi-Arsenals zu haben. Wirkung auf die Rebellen, die für ihre propalästinen­sische Rhetorik in der arabischen Welt gefeiert werden, zeigte etwas anderes: Mit dem Waffenstillstand im Gazastreifen Mitte Januar hatten auch die Huthis ihre Angriffe ausgesetzt.

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11 Kommentare

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  • 60 Lastwagen pro Tag- und damit will man internationalen Druck mindern? Das einzige was man damit tut, ist ein weiteres Aushungern der Bewohner anzukündigen. 60 Lastwagen am Tag wird kaum reichen um die über eine halbe Million Kinder in Gaza adäquat zu versorgen. Mangelernährung bei Kindern auch nur für einen kurzen Zeitraum kann zu massiven körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen führen und langfristig zu Wachstumsstörungen, Entwicklungsverzögerungen und einem geschwächten Immunsystem. Da sind Kinder im Krankenhaus die nur noch Haut und Knochen sind, die heute Hilfe brauchen aber unsere Politiker schauen weg oder geben wirkungslose Appelle von sich.



    Wenn man die Vertreibungspläne der israelischen Regierung mit einbezieht, kann man davon ausgehen, dass hier Bedingungen für die Menschen geschaffen werden sollen, damit sie "freiwillig" gehen. Mal abgesehen davon, dass nicht nur Nahrungsmittel unter den 60 Lastwagen sein müssen, sondern auch eine immense Anzahl an medizinischen Hilfslieferungen inkl. Geräte um das vor dem Kollaps stehende Gesundheitssystem wieder aufzubauen. Nur gibt es glaub ich südlich von Khan Younis kein Krankenhaus das noch in Betrieb ist.

    • @Momo Bar:

      Naja 60 > 0 , also ja Druck mindern.

      Von den wichtigsten internationalen Unterstützer:innen hat Israel, wie man sieht auch mit der aktuellen 0 kaum/kein Druck, so traurig und erstreckend das auch ist.

  • Bin gespannt, was mit Deutschland passiert, wenn der internationale Gerichtshof befindet, dass dort schwere Kriegsverbrechen oder sogar Völkermord geschieht. Deutschland unterstützt die israelische Regierung nach wie vor bei ihren Verbrechen. Kommen wir dann vor Gericht?

  • Unsere Kinder werden den Preis für unsere Billigung der Vorgehensweise gegen das palästinensische Volk zahlen müssen. Die globalen Machtverhätnisse werden sich in den nächsten 20 oder 30 Jahren in Richtung jener Länder verschoben haben, die mehr als nur besorgt sind, wenn auf dicht besiedelte Wohngebiete über Monate hinweg tonnenschwere Bomben abgeworfen werden.

    • @Schmil Jan:

      Solange die nicht gleichermaßen besorgt darüber sind, dass eine klerikalfaschistische Terrororganisation über Jahre hinweg mit internationaler/n Hilfe, Geldern und Wohlwollen gepäppelt wird, über dieses dicht besiedelte Gebiet unumschränkt und diktatorisch herrscht und aus diesem Gebiet heraus einen genozidalen Angriffskrieg auf Israel führt, sind diese Sorgen nichts weiter als Krokodilstränen.

      Im Übrigen sind die Machthaber diverser Länder heilfroh, dass Israel ihnen die Arbeit abnimmt und den Muslimbrüderableger Hamas sowie den Iran zurechtstutzt. Das wagt nur keiner, laut auszusprechen.

  • Die Hamas hatte am 07.10.2023 mit exzessiver Grausamkeit den Krieg gegen Israel eröffnet.

    Dies war die strategische Provokation Israel in den Krieg zu ziehen, zumal Sinwar diese nur als "Generalprobe" bezeichnete und ein "wieder und immer wieder" ankündigte.

    Die Hamas hatte die palästinensische Bevölkerung mit keinerlei Lebensmittel auf den Krieg vorbereitet. Die Palästinenser:innen wurden in den nächsten eineinhalb Jahren durch Israel versorgt. Die Versorgung unterbrach israel vor zwei Monaten um der Hamas keine weitere Gelegenheit zu bieten israelische Versorgungs-LKWs zu kapern und die Lebensmittel zu weit überhöhten Preisen an die Bevölkerung zu verkaufen. Neben ihrem Söldnerlohn aus Teheran finanzierte sich die Hamas darüber.

    Die Hamas hat sich auch im letzten November geweigert die damals noch 97 lebenden Geiseln für fünf Millionen Dollar pro Geisel an Israel auszuliefern. Für 500 Millionen Dollar hätten die Palästinenser auf dem Weltmarkt 2 200 000 Tonnen Weizen kaufen können.

    Es wird kein Nebeneinander von Israel und Hamas geben können. Auch nicht bei 30 Meter hohen Mauern.

    Die Hamas opfert die palästinensische Bevölkerung. Die die Hamas 2006 selbst gewählt hat.

    • @shantivanille:

      Wie so oft: nicht Israel hat für humanitäre Hilfe gesorgt, sondern die internationale Staatengemeinschaft, Israel hat nur die Einfuhr genehmigt. Da waren nie "israelischen Versorgungs-LKW´s".



      Und zu sagen das die Palästinenser tonnenweise Weizen hätten kaufen können, wenn sie überhaupt gar keine Kontrolle über ihre Grenzen haben, ist absurd. Alles was sie kaufen würden, bräuchte immer noch die Genehmigung von Israel zur Einfuhr. Israel hat wiederholt Hilfsgüter von diversen internationalen Hilfsorganisationen an der Grenze abgewiesen, selbst Sachen wie Wasserreinigungstabletten und Milchpuver, aber dann lassen sie Sachen von Palästinensern gekauft durch? Und noch mal alle Hilfsorganisationen haben immer wieder bestätigt, dass sie diverse Kontrollmechanismen haben, damit Hilfe nicht entwendet wird und haben auch immer wieder gesagt, das hier nicht im großen Stil, wie sie es behaupten, ständig ganze Lastwagen entwendet wurden.



      Und dann noch die kollektive Bestrafung der gesamten Bevölkerung mit einer Wahl vor 20 Jahren zu rechtfertigen... über 70% der Bevölkerung Gazas ist unter 35 über 50% sogar Minderjährig.

  • Und wie so oft in diesem Forum die Frage: Wer stellt sich diesen Verbrechen entgegen? Wer besteht auf der Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte? Wer subventioniert diese Untaten mit Waffenlieferungen?

  • Alte koloniale Taktik (Frankreich in Algerien, Italien in Libyen). Die Bevölkerung in Konzentrationslager zur Trennung von den Kämpfern treiben - dort dürfen sie dann dahinvegetieren. Neu: elektronische Identifikation, dann 'freiwillige' Deportation der bereits identifizierten aus den Lagern ohne Rückkehrrecht und Kolonisierung der geräumten Landstriche. Man ist in Verhandlungen - so die Regierung - mit Drittländern, u.a. Sudan und Somaliland (so berichtet Haaretz).

    • @hamann:

      War es nicht Israel, die die Palästinenser seit eineinhalb Jahren mit Lebensmitteln versorgte?

      Die Hamas hatte Israel am 07.10.2023 den Krieg erklärt aber keine strategischen Lebensmittellager angelegt. D. h. die palästinensische Bevölkerung dem Hunger preisgegeben bzw. dem Mitgefühl Israels.

      Wurde leider von der Hamas ausgenützt, die Lieferungen kaperte und zu Wucherpreisen an die Bevölkerung verkaufte.

      Israel macht das seit zwei Monaten nicht mehr mit. Jetzt hungert die Bevölkerung. Dem bösen Israel wird international die Schuld gegeben. Israel politisch diskreditiert.

      Ziel erreicht. So dient Hunger als Waffe.

  • Vor 5 Jahren erhielt die Welthungerhilfe/World Food Program den Friedensnobelpreis mit der Begründung "as a driving force in efforts to prevent the use of hunger as a weapon of war and conflict." Seit Ende März kann WFP keine Nahrungsmittel mehr heranschaffen. Und Hunger wird als Kriegswaffe gegen die Zivilbevölkerung benutzt.