Auswege aus dem Corona-Shutdown: Kein Ende in Sicht

Forscher fordern, dass hochautomatisierte Fabriken den Betrieb wieder aufnehmen sollen. Damit ist der Industrie aber noch lange nicht geholfen.

Ein einzelnes Auto steht auf einem großen Parkplatz

Fertigungsroboter in der Autoindustrie Foto: Panthermedia/imago

BERLIN taz | Noch will niemand in der Bundesregierung über ein Ende des Lockdowns reden – zumindest offiziell nicht. Doch hinter den Kulissen laufen die Debatten über eine schrittweise Rückkehr zur Normalität längst auf Hochtouren.

Vor allem die Wirtschaft steht unter Druck. Allein der Einzelhandel im No-Food-Bereich verliert mit jedem Tag Schließung über eine Milliarde Euro, in der Woche summiert sich der Verlust auf sieben Milliarden Euro. Sollte sich der Shutdown über zwei Monate hinziehen, würden dies die meisten Geschäfte nicht überstehen, warnte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE).

Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel forderte am Dienstag im Deutschlandfunk, dass alle Geschäfte wieder öffnen dürfen. „Ich habe nicht ganz so viel Verständnis dafür, dass man einen Supermarkt aufmachen kann und eine Boutique nicht“, sagte der SPD-Politiker.

Die führenden Forschungsinstitute rechnen in diesem Jahr denn auch mit einer schweren Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde voraussichtlich um 4,2 Prozent einbrechen, heißt es vorab. Die Gemeinschaftsdiagnose soll am Mittwoch offiziell vorgestellt werden. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund hat sich auch der Virologe Alexander Kekulé aus Halle für eine baldige Lockerung ausgesprochen. Es sei „keine Option, Europa ein Jahr lang oder auch nur sechs Monate im Lockdown zu halten“, sagte Kekulé der Zeit. „In drei bis vier Wochen könnte man beginnen zu öffnen. Bis dahin brauchen wir eine Strategie.“

Experten: Einzelne Regionen sollen vorangehen

Genau einen solchen Plan haben Forscher des Münchner Ifo Instituts um Präsident Clemens Fuest zusammen mit Medizinern der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNA) bereits ausgearbeitet. Sie schlagen vor, dass zuerst Sektoren mit geringer Ansteckungsgefahr wie hochautomatisierte Fabriken wieder den Betrieb aufnehmen. Aufgehoben sollen die Beschränkungen vor allem in all jenen Branchen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen. Sektoren, wo Mitarbeiter auch gut zu Hause arbeiten könnten, sollen hingegen weniger Priorität haben.

Zudem schlagen die Experten vor, dass Regionen mit niedrigen Infektionsraten beim allmählichen Neubeginn vorangehen können. Das Gleiche könne für Gegenden gelten, wo bereits viele Menschen eine Immunität gegen das Virus gebildet hätten. Das Positionspapier wurde von insgesamt 14 Wissenschaftlern deutscher Universitäten und Forschungsinstitute verfasst. „Weil wir damit rechnen müssen, dass die Pandemie uns noch viele Monate beschäftigt und letztlich nur unser Immunsystem uns schützen kann, brauchen wir eine flexible, nach Risiken gestaffelte Strategie, fordert GDNÄ-Präsident Martin Lohse. Ein genereller Shutdown sei „keine langfristige Lösung“.

Industrie hat noch andere Probleme

Für einen schrittweisen Neustart des öffentlichen Lebens bereits nach den Osterferien spricht sich der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, aus. Er rechnet damit, dass ab Anfang Mai wieder ein geordnetes Leben beginnen könne. Insbesondere die Schulen müssten wieder geöffnet werden, damit die Beschäftigten ihrer Arbeit nachgehen könnten.

Doch ob der Industrie damit wirklich geholfen ist? Ihr Problem sind gar nicht die Beschränkungen – es gibt sie für sie in Deutschland gar nicht. „In der Industrie ist die Entscheidung über die Produktion grundsätzlich den Unternehmen überlassen“, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sind Sache der Länder. Unternehmen müssten lediglich die Sicherheitshinweise des Robert-Kochs-Instituts beachten, etwa den Sicherheitsabstand.

Nachfrage und Zulieferer fehlen

Schwer getroffen sind die Automobilindustrie, der Maschinenbau oder Haushaltsgerätehersteller aber trotzdem. Ihre beiden größten Probleme: Die Lieferketten sind unter- und ihre Absatzmärkte weggebrochen. Wann die Unternehmen die Produktion wiederaufnehmen, hängt davon ab, wann die Nachfrage und das Angebot an Zulieferungen wieder in Gang kommen. „Wann das der Fall ist, wird individuell von Unternehmen abhängen“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsunternehmen. „Das lässt sich nicht über einen Kamm scheren.“

Allerdings hängt die Herstellung bestimmter Produkte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke durchaus an politischen Entscheidungen für ein Ende des Shut down ab. Denn solange die Läden geschlossen sind, finden etwa Haushaltsgeräte kaum AbnehmerInnen.

Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter 15.000 Unternehmen sehen über alle Branchen hinweg 43,5 Prozent aller Unternehmen im „Stillstand der Geschäftstätigkeit komplett oder zu großen Teilen“ ihr derzeit größtes Problem. Von den Industriebetrieben sind es mit 26 Prozent vergleichsweise wenig. „Wir können im Wochentakt messen, wie sich die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe verschlechtert“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Das Verständnis für den Shutdown sei in der Wirtschaft groß. „Um aber rechtzeitig in einen anderen Modus umschalten zu können, brauchen die Unternehmen möglichst bald klare Kriterien dafür, wie sie künftig – jenseits der konkreten Terminfrage – ihre Geschäftstätigkeit an die höheren Vorgaben des Gesundheitsschutzes anpassen können“, sagte Schweizer. „Es darf kein Dauerzustand werden, dass sonntags verkündet wird, was ab Montag gilt.“

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