Ausstellung im Gropius Bau Berlin: Mit Platanen atmen
Wie politisch sind Pflanzen? Und was können wir Menschen von ihnen lernen? Zheng Bo, Artist in Residence am Gropius Bau, sucht nach Antworten.
Beim Einatmen, erklärt Zheng Bo mit ruhiger Stimme, sollten wir uns vorstellen, wir würden an Blumen riechen. Entsprechend langsam sollten wir den Atem durch die Nase ziehen und dann bis zum letzten Lufthauch wieder aus dem Körper herauslassen.
Eine kleine Gruppe von Journalist*innen hat sich am Montag während der Pressevorbesichtigung von Zhengs Ausstellung „Wanwu Council“ im Gropius Bau zu einer sogenannten „Ecosensibility Exercise“ zusammengefunden.
Solche Übungen, bei denen der Künstler gemeinsam mit geneigten Besucher*innen Tai Chi mit Bäumen macht, Sonne trinkt, Unkraut zeichnet oder Pflanzen Lieder vorsingt, eben die Sensibilität für unsere grüne Umgebung schärft, stehen täglich während der Laufzeit der Ausstellung auf dem Programm. Zu diesem Zweck hat sich der Gropius Bau in den Außenraum ausgedehnt. Wo sonst ein Parkplatz ist, steht eine bühnenähnliche Plattform zwischen den Platanen.
Von seinem Studio im obersten Stock des Museums hatte Zheng die Bäume gesehen, wie ein Wäldchen sahen sie aus dieser Perspektive aus, „Gropius Hain“ hat er sie entsprechend genannt. Fraglos viel hübscher klingt das als Parkplatz, nur beim Aufsichtspersonal hat sich die neue Bezeichnung noch nicht etabliert.
Jeden Tag eine Zeichnung
Zheng war 2020 der dritte Artist in Residence im Gropius Bau. Durch die Pandemie verspätete sich sein Einzug, ein Teil der Arbeiten, die in der Schau zu sehen sind, entstand noch auf der Insel Lantau in Hongkong, wo der Künstler eigentlich zu Hause ist. Um einen Jahreszyklus zarter Zeichnungen von Pflanzen handelt es sich dabei. Zheng fertigt davon jeden Tag eine an.
Zheng Bo: Wanwu Council 萬物社, bis 23. August, Gropius Bau Berlin
In der Ausstellung sind sie zeitlich und damit auch thematisch nach dem Lunisolarkalender sortiert, sie zeigen Pflanzen während der „Großen Hitze“, unter „Weißem Tau“ oder zur „Herbst-Tagundnachtgleiche“. Vor jedem der niedrigen Tische liegt ein helles Kissen parat, auf das man sich zur genaueren Betrachtung niederlassen kann.
Zum Beispiel, um sich die Unterschiede zwischen den Zeichnungen aus Hongkong und denen aus Deutschland anzusehen: „Bevor ich nach Berlin gekommen bin, habe ich keinen einzigen Baum gezeichnet“, erklärt Zheng im Gespräch nach der Pressekonferenz. Auf Lantau seien die Pflanzen so sehr ineinander verwoben, dass man sie nicht isoliert betrachten oder zeichnen könne. Und es seien eben andere. In Berlin zeichne er solche, die in der Stadt wüchsen: Unkraut etwa.
An dem hat Zheng besonders Gefallen gefunden. Unkraut werde meist übersehen, dabei zeichne dieses eine besondere Stärke aus, schließlich schafften solche Pflanzen es, auf Straßen allen Widrigkeiten zum Trotz zu gedeihen. „24 Stunden am Tag ist es laut und verschmutzt – ich würde dort nicht überleben.“ Ehrlich bewundernd klingt er, als er davon spricht. Zheng plädiert für einen anderen Blick auf und für mehr Empathie mit den Gewächsen, für weniger Straßen etwa, um Pflanzen in der Stadt mehr Raum und Erde zu geben, spontan zu wachsen.
Kunst als ökologischer Aktivismus
Zhengs Kunst lässt sich als eine Form des ökologischen Aktivismus verstehen. Stets geht es um einen neuen, gleichberechtigteren Umgang zwischen den Lebensformen, besonders zwischen Menschen und Pflanzen. Bekannt geworden ist der Künstler vor ein paar Jahren vor allem mit seiner Videoserie „Plant Porn“, die Männer beim Sex mit Farnen zeigt. In der Gruppenausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau war diese unter anderem zu sehen.
Der Fokus in der neuen Ausstellung ist ein anderer. In der zentralen Videoarbeit spricht Zheng mit den Wissenschaftler*innen Matthias Rillig und Roosa Laitinen über das politische Leben der Pflanzen und darüber, was Menschen von diesem lernen könnten. Um Symbiose geht es dabei und darum, wie Pflanzen, die ja gezwungen sind, am selben Ort zu bleiben, ihr Überleben sichern, welche Entscheidungen sie treffen, wie sie sich eben notgedrungen physisch auf neue Situationen und Bedingungen einstellen, mit größeren oder kleineren Blüten etwa.
Der Gedanke, den Zheng daraus ableitet, ist bemerkenswert: Ist es vielleicht das, was uns daran hindert, uns zu verändern und auf Krisen angemessen zu reagieren? Unsere Mobilität? Ziemlich einleuchtend klingt jedenfalls, wie er im Interview argumentiert: „Die Pandemie war das perfekte Beispiel dafür, wie wir gelernt haben, uns an veränderte Umstände anzupassen, gerade weil wir uns nicht fortbewegen konnten.“
Noch konkreter sollen solche Fragestellungen im August diskutiert werden, wenn der tatsächliche „Wanwu Council“ zusammenkommt, eine Gruppe von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, unter denen jede*r eine andere Lebensform oder Materie vertritt.
„Wanwu“ übrigens ist ein daoistischer Begriff, der so viel wie „zehntausend Dinge“ oder „mehr als menschlich“ bedeutet. So zu verstehen ist auch der Satz, der aus Weizen aus dem Hof der Schering Stiftung wächst, die mit dem Gropius Bau kooperiert. Er bringt die Unwichtigkeit des Menschen im Gesamtgefüge auf den Punkt: „You are the 0.01%“.
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