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Kunst, Natur und PflanzenGarten als Kampfplatz

Der Gropius Bau wird zum blatt- und blumenbekränzten Idyll. Der „Garten der irdischen Freuden“ kennt aber auch Ein- und Ausschlussmechanismen.

Uriel Orlow, „The Squirrel’s Revenge“, 2017 Foto: Gropius Bau

Pflanzen sind schön. Das merken Me­tropolenbewohner*innen vor allem dann, wenn sie sich ins Umland begeben, sich dabei an Baum, Strauch und Feld erfreuen und mitunter sogar auf der eigenen Scholle das eine oder andere Pflänzchen ziehen. Das ist die idyllische Perspektive.

An ihr arbeitet sich auch so mancher Beitrag der Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ im Gropius Bau ab. Die Videokünstlerin Pipilotti Rist etwa wartet mit einer Überkopf-Projektion auf, bei der man bequem lümmelnd zwei Eva-Gestalten dabei verfolgen kann, wie die sich an paradiesischem Blattwerk zu schaffen machen. Auf ewig gestellte Schönheit ist hier ausgestellt, bar jeder dynamisierenden Dramatik, Paradiesbewohnerinnen eben, die sich noch vor dem Sündenfall befinden.

Sündiger schon ist Zheng Bos großräumige Farninstallation. Runde Kissen sind vor jedem Farn platziert. Das Publikum kann sich in 1:1-Situationen mit der Pflanze beschäftigen. Auf Videoscreens zwischen den Farnen sieht man nackte junge Männer mit den Farnen kommunizieren. Die Unschuld der Frau-Pflanze-Beziehung aus Rists Arbeit weicht hier einem begehrenden Zugriff, mal sexuell konnotiert, mal auf Energiezufuhr mittels Einverleibung ausgerichtet. Zheng Bo liefert auch ein Manual über essbares Unkraut in Taiwans Wäldern.

Der Garten als gezähmte Natur

Flugs ist man beim Vernutzungsaspekt. Gärten sind gezähmte Natur. In ihnen wird sorgfältig selektiert, was wachsen darf und was nicht. Ästhetische Kriterien spielen ebenfalls eine Rolle, der schöne Wuchs, der reizvolle Kontrast zwischen Gehölz und Blumen.

Die Ausstellung

läuft bis zum 1. Dezember im Martin Gropius Bau Berlin. Der Katalog, 325 Seiten mit über 55 Abbildungen kostet im Museum 32 Euro.

Und natürlich gehören zum Garten auch die Pflanzen, die man selbst essen kann oder an deren Früchten man sich labt. Ein Obstgarten in England mit leibhaftig Äpfel aufhebendem Dichter, der unter den Bäumen spaziert, ist Objekt von Tacita Deans Videoarbeit „Michael Hamburger“.

Das sind alles erwartbare Beiträge. Ihre Kraft und Relevanz bezieht die in den üppigen Räumen des Erdgeschosses des Gropius Baus ausgebreitete Ausstellung aber vor allem durch Arbeiten aus Südafrika. Lungiswa Gqunta legt einen ganz besonderen Garten an. Grün schimmert dieses Geviert, wie ein abgezirkelter englischer Rasen in den Reichen- und Pseudoreichen-Siedlungen allüberall auf dem Globus.

Mit zerbrochenen Glas bewehrte Mauern

Statt Gras verwendet sie aber abgebrochene Coca-Cola-Flaschen. Mit diesen scharfkantigen Objekten bewehren in Südafrika – und auch woanders – die Reicheren ihre Mauern, um unerwünschte Personen am Eindringen zu hindern. Gquntas „Lawn I“ steht in bitterem Kontrast zur sanften Arbeit von Renato Leotta. Er legte noch ungebrannte Lehmziegel unter Zitronenbäume in Sizilien.

Die herabfallenden Früchte prägten sich ein in den weichen Baustoff. Mit bloßen Füßen kann man den Abdruck der gelben Früchte erspüren. Das ist zart, poetisch, genussreich – und lässt doch die Machtverhältnisse von Eigentum, Abgrenzung und Ein- wie Ausschluss komplett außen vor.

Uriel Orlow, ein Schweizer Künstler mit längeren Aufenthalten in Südafrika, thematisiert in seinem facettenreichen Großprojekt „Theatrum Botanicum“ aber genau das: die Machtverhältnisse. Ausgehend von den lateinischen und englischen Beschriftungen der Pflanzen in Südafrikas botanischen Gärten macht er sich auf die Suche nach den Namen, unter denen diese Pflanzen in der indigenen Bevölkerung bekannt waren, bevor sie auf Englisch und Latein katalogisiert und kolonialisiert wurden.

Die große Pappel, Orientierungspunkt der ANC-Aktivisten

Orlow gräbt auch Geschichten zu Pflanzen aus, etwa zu einem enormen Mandelbaum. Der wurde 1660 von den ersten niederländischen Siedlern gepflanzt, um der indigenen Bevölkerung den Zugang zum als eigen betrachteten Gelände zu verwehren. Ein anderer Baum mit Geschichte ist der sogenannte Ruth-Fischer-Baum. Die große Pappel diente ANC-Aktivisten als Orientierungspunkt, um in Zeiten der Verfolgung den sicheren Unterschlupf im Haus von Ruth Fischer, einer Tochter des Nelson Mandela-Anwalts Braam Fischer, zu finden.

Der sogenannte Alte Sklavenbaum im Kapstädter Viertel Woodstock ist ein über 500 Jahre alter Milchbusch, in dessen Schatten einst Sklaven verkauft und jene, die sich nicht beugen wollten, an den horizontalen Ästen erhängt wurden. Auch die Biopiraterie – die Patentierung von pflanzlichen Substanzen zum Zwecke der pharmazeutischen Vermarktung – ist ein Thema von „Theatrum Botanicum“.

Orlow liefert damit das Schlüsselwerk dieser Themenausstellung. Ein zweites Schlüsselwerk, ganz am Anfang präsentiert, stammt aus der Zeit, in der die Länder, die später zu Kolonien werden sollten, gerade von Europäern „entdeckt“ wurden: Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“. Bei all diesen sonderbaren Menschenformationen, die sich baden, die mit Pflanzen, Tieren und Fantasiewesen verschmelzen, bleibt stets offen, ob Bosch hier Entgrenzung und maximalen Lustgewinn predigen, davor warnen oder vor allem den Drang danach bildgewaltig – und mit einer Spur Ironie versehen – in Szene setzen wollte.

„Garten der irdischen Freuden“ ist eine so prächtige wie kluge Ausstellung. Stephanie Rosenthal, langjährige Kuratorin der Londoner Hayward Gallery, zeigt damit, dass sie auch als neue Direktorin des Gropius Baus das Kuratieren von Komplexitäten nicht verlernt hat.

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