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Außengastronomie in HamburgSchluss mit lustig

Restaurants im Stadtteil Ottensen dürfen bald wohl weniger Tische und Bänke rausstellen. Der Bezirk hat andere Pläne für den öffentlichen Raum.

In Hamburg-Ottensen müssen die Wirte wohl bald einpacken – zumindest ihre Tische auf der Straße Foto: DanielBockwoldt/dpa

Hamburg taz | In Ottensen, dem alternativ-bourgeoisen Vorzeigestadtteil im Hamburger Westen, sieht es an vielen Ecken so aus, als wäre Corona noch nicht vorbei. Schlendert man durch die Straßen, sieht man überall Holztische, an denen gegessen und getrunken wird. Oft stehen sie in ehemaligen Parkbuchten, geschützt von einem Bretterverschlag und Blumenkübeln, meist gibt es ein Zeltdach gegen den Regen und im Winter Heizpilze.Seit Corona hat sich die Außengastronomie auf diese Weise ausgebreitet. Jahr für Jahr gab es dafür eine Ausnahmegenehmigung vom Bezirksamt. Doch es könnte sein, dass sich diese Zeit ihrem Ende nähert.

„Es ist unglaublich“, sagt Ioannis Angelidis, als er aus seinem Restaurant kommt. Vor zwei Wochen habe ihm das Bezirksamt geschrieben, es tue ihnen leid, aber er dürfe auf dem Platz vor seinem Restaurant keine Tische mehr aufstellen. Der Platz sei als „Feuerwehraufstellfläche“ eingetragen und müsse frei bleiben.

Dabei ist der Platz erst während der Coronazeit neu gestaltet worden, im Zuge der Umbaumaßnahmen für eine Veloroute, die bis in die Elbvororte führt. Der Straßenraum wurde verkleinert, auf dem Platz wurden Blumenrabatten gepflanzt und Fahrradbügel einbetoniert.Und das Restaurant durfte seine Tische nach draußen stellen, geschützt von Sonnenschirmen.

Von der Feuerwehraufstellfläche wusste niemand, aber Vorschrift ist Vorschrift. Nur zwei kleine Tische direkt an der Hauswand stehen noch. Immerhin scheint Bewegung in die Sache zu kommen, im Hauptausschuss der Bezirksversammlung haben alle Parteien (außer der AfD) das Bezirksamt und die Hamburger Innenbehörde aufgefordert, mit der Feuerwehr zu sprechen und nach einer Lösung zu suchen.

Die Stadt als Flaniermeile

Ganz anders sieht es dagegen beim Projekt „Freiraum Ottensen“ aus, einem Herzensanliegen der grünen Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg. Es wird erhebliche Auswirkungen auf die Außengastronomie im Stadtteil haben. Und das soll auch so sein.

Bereits 2019 gab es vor Corona das Pilotprojekt „Ottensen macht Platz“. Bei der Eröffnung standen überall auf der Straße Stände, Tischtennisplatten waren aufgebaut. Die Straße war ohne Autos nicht mehr gefährlich, kleine Kinder konnten überall herumlaufen. Es war auch eine Werbemaßnahme des Bezirks, um die Bevölkerung für die Pläne zu begeistern: Die Stadt als Flaniermeile, wie schön.

Der Versuch, das Politprojekt auf Dauer zu stellen, wurde zwar gerichtlich gestoppt, aber von Berg machte weiter. Bürgerstunden wurden abgehalten, Proteste von An­woh­ne­r*in­nen und Gewerbetreibenden aufgenommen. Liefer- und Anwohnerverkehr waren jetzt okay, aus „autofrei“ wurde „autoarm“. Das Projekt heißt jetzt „Freiraum Ottensen“, 2025 sollen die Bauarbeiten beginnen.

Aber was macht man dann mit der Freifläche? Außengastronomie jedenfalls nicht. Der gesamte Straßenraum werde „neu zugeschnitten“, um mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger zu schaffen, sagt Mike Schlink, Sprecher des Bezirksamtes Altona. Man sei mit den Gastronomen im Gespräch, „aber dass sie sich auf Gehwegen und Parkbuchten ausbreiten, wird so nicht mehr funktionieren“.

Fahrrad fahren statt flanieren

Die Parkbuchten fielen sowieso weg, sagt Schlink, dafür gebe es versenkbare Poller für die Anwohner und Ladezonen für die Geschäfte. Die Gehwege würden zwar breiter gemacht, aber in dem frei werdenden Raum sollen Bäume gepflanzt und Bänke aufgestellt werden. „Wir werden viel Platz brauchen, um das Konzept umzusetzen“, sagt Schlink. Die Gastronomie dürfe ihre Flächen behalten – „aus der Zeit vor Corona“.

Entsprechend schlecht ist die Stimmung unter den Gastronomen. Sie sei „total genervt“, sagt Manuela Morgenstern, Inhaberin der Tapasbar Mar y Sol in der Ottenser Hauptstraße. Sie wisse immer noch nicht, wie viele ihrer Tische sie draußen halten könne. Außerdem werde einen Sommer lang das Kopfsteinpflaster abgeschliffen, was einen Höllenlärm machen werde.

Das Bezirksamt führe die Öffentlichkeit in die Irre. „Das soll keine Flaniermeile werden, sondern eine Fahrradschnellstraße“, sagt sie missmutig, während ihre Leute hinterm Tresen das Frühstück für die Gäste vorbereiten.

Tatsächlich sind die betroffenen Straßen in den vom Bezirks­amt vorgelegten Plänen alle als „wichtige Fahrradverbindung“ eingetragen, mit Spuren in beiden Richtungen. Das hat Folgen, denn in der Mitte der Straße fährt dann wieder der Verkehr, der schneller ist als die Fußgänger. Übergänge sind notwendig.

Sorge vor der Partymeile

„Hier, schau mal“, sagt Stefan Schmitz, Inhaber der Rehbar in der Ottenser Hauptstraße. Er zeigt auf die Südseite des Eckhauses, wo jetzt noch eine ganze Reihe Tische in der Sonne stehen. Dort soll ein Fußgängerüberweg entstehen, der auch für Blinde funktioniert, vier Meter breit, mit Markierungen für den Blindenstock. Für seine Bar hieße das: Nicht nur die Tische auf der Straße müssten weg, sondern auch die Bank an der Hauswand, die schon lange vor Corona dort stand.

Schmitz sagt, er überlege, ein Bürgerbegehren zu starten, er habe schon einen Anwalt kontaktiert. Auf der anderen Seite gebe es natürlich auch Lärmbeschwerden, sagt Schmitz („bei mir sind es genau drei Leute, die kenne ich“), und auch die Grünen-Fraktion in Altona berichtet davon.

In der Bezirkspolitik wird die Stimmung gegenüber der Außengastronomie kritischer. „Wir wollen nicht, dass die Ottenser Hauptstraße eine Partymeile wird“, sagt Sven Hielscher von der CDU, dessen Fraktion gemeinsam mit den Grünen für das Projekt Freiraum Ottensen gestimmt hat. Eine solche Entwicklung gehe zu Lasten der kleinen Geschäfte. Als warnendes Beispiel sieht er die Sternschanze, da sei es wohl schon zu spät.

Und in Ottensen? Manche sagen, da auch.

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6 Kommentare

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  • In meinem Viertel in München dienen die Tische in den Parkbuchten dazu die Radfahrer zu schützen. Die nunmehr in zweiter Reihe parkenden Autos dienen der Verkehrsberuhigung, sehr löblich vom Bezirksausschuß und der Verkehrsüberwachung.

  • in Hamburg entwickelte sich in der Tat eine Art Wildwuchs was Aussengastronomie angeht. Es gibt in der Innenstadt Fußwege ,die keine zwei Meter breit sind, auf denen ich als Fußgängerin mit Aussengastronomie und Radfahrer*innen konkurriere. Das sollte in der Tat mal eingefangen werden. Das Bezirksamt Altona geht da mit gutem Beispiel voran. Mein Dank gilt Frau von Berg.

  • Schade, dass Frau von Berg nicht nach Berlin kommen wird.

    Die Privatisierung des öffentlichen Raums durch Gastronomen hat hier in manchen Ecken bereits skurrile Züge angenommen.

    Oft ist es das Gegenteil von inklusiv.

    Besonders hoch anzurechnen ist Frau von Berg, dass sie Menschen mit Behinderung mitdenkt.

    Die fallen mittlerweile bei den Maßnahmen für Radfahrer oft hintenrunter.

    Der Gehweg muss ein Safe Space für die schwächsten Verkehrsteilnehmer sein.

    Mehr Lebensqualität entsteht nicht durch mehr Konsum.

    Am krassesten sind die Heizpilze.

    Als gäbe es keine Klimaerhitzung.

    • @rero:

      In Berlin wird generell nie an Fußgänger gedacht. Da verlaufen Fußwege auch mal zwischen Straße und Radweg - so etwa an der Spree im Tiergarten. Man muss als Fußgänger zwischen Autos und Radfahrern gehen. Völlig bekloppt.

  • Als Anwohnerin gehört die Gastronomie mit Außenflächen genauso zu einer autofreien Stadt, wie Fussgänger*innen, Radfahrer*innen etc. Wenn man etwas neues probiert, wo Menschen auf Gewohnheiten verzichten müssen, muss man alle mitnehmen und allen etwas geben. Schon das Anwohnerparken wurde so rigide durchgesetzt, dass es mittlerweile für alle ein Ärgernis ist. Anfangs waren die meisten dafür. Bis es Strafzettel hagelte. So wird von Bergs Projekt wieder einmal vor den Gerichten landen. Diese spiessige rigide Politik passt so garnicht zum toleranten Altona.

    • @cat:

      Tolerantes Altona?



      Der Bezirk ist groß und die Elbvororte gehören auch dazu - die Leute dort sind alles andere als tolerant.



      Mittlerweile gehört Ottensen auch zu diesen intoleranten Stadtteilen. Ist schon länger her, dass hier das ungeschriebene Gesetz galt "Leben und leben lassen".



      Heute ist dort alles nur noch schick und teuer!