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Auskunftsrecht von AdoptivkindernSchweigen ist feige

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Adoptivkinder haben ein Recht auf Kenntnis ihrer leiblichen Eltern, so der Bundesgerichtshof.

Für viele Kinder ist es wichtig zu wissen, wer ihre leiblichen Eltern sind Foto: YAY Images/imago

D ie meisten Menschen haben in ihrem Leben zwei bis fünf Sexualpartner:innen. Nur etwa 2 Prozent der Frauen nennen einer Statistik zufolge mehr als 30 Liebhaber. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass man sich ganz gut erinnert, mit wem man im Bett war.

Diese Erinnerung forderte eine mittlerweile erwachsene Tochter, die nach ihrer Geburt zur Adoption frei gegeben worden war, von ihrer leiblichen Mutter ein. Sie möchte wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Dessen Identität konnte bislang aber nicht geklärt werden, weil die Mutter sich nicht erinnern will.

Aber das muss sie. Der Bundesgerichtshof stellte am Mittwoch in einem Urteil zu diesem etwas verworrenen Fall fest, dass Adoptivkinder selbstverständlich ein Recht darauf haben, zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. In dem verhandelten Fall, wer der biologische Vater der jungen Frau ist.

Dieser Beschluss ist ein weiterer in einer Reihe unterschiedlicher Entscheidungen zum Kindschaftsrecht in den vergangenen Jahren. Er ist so nötig wie richtig. Nötig, weil andere Kinder dieses Recht längst haben, beispielsweise jene aus Samenspenden. Richtig, weil jedes Kind wissen sollte, woher es kommt, wer seine leiblichen Eltern sind.

Kein Grund, das eigene Kind zu belügen

Das Wissen um die biologische Herkunft ist zwingend für die eigene Identität. Viele Menschen, denen diese Auskunft verwehrt bleibt, sind ihr Leben lang damit beschäftigt, sich selbst zu finden. Folgen können sein: ständige Unruhe, Unsicherheit, Aggressivität. Nicht selten sind sie sogenannte Mittelpunktsmenschen.

Es mag Gründe geben, warum Mütter ihren Kindern den Namen des leiblichen Vaters verweigern. Peinlicher One-Night-Stand, beschämender Erzeuger, bedrückende Erinnerung. Alles verständlich. Aber kein Grund, das eigene Kind zu belügen. Erst recht nicht, wenn die Mutter – so wie im vorliegenden Fall – nicht einmal mit dem Kind zusammenlebt.

Die Zeiten, in denen Frauen mit Kindern aus dubiosen Beziehungen gesellschaftlich geächtet werden, sind längst vorbei. Jedenfalls in westlichen Ländern. Das Schweigen ist nicht mehr als Feigheit.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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7 Kommentare

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  • Vielen Dank Simone Schmollack für diesen Kommentar!

    Für mich war es ein so beglückendes Erlebnis, meine leibliche Mutter zu treffen. Einmal für zwei Stunden hat gereicht: Es ist jetzt gut, an diesem Punkt ist Ruhe in mein Leben gekommen. Eine solche Begegnung würde ich sehr gerne auch mit meinem Vater erleben - doch diese Auskunft verweigert mir meine Mutter. Dabei will ich einfach nur wissen, woher ich komme.

    @Jim Hawkins:



    Völlig OK, wenn der Mann Dich nicht interessiert. Menschen haben halt unterschiedliche Bedürfnisse.

    @Boandlgramer:



    "Ignorance is Bliss", um es mit Cypher zu sagen. Darf mensch aber auch anders sehen ;-)

    @Julianm:



    Doch. Irgendwann ändert sich das. Es dauert lange, und vielleicht erleben wir es auch nicht mehr, aber zumindest Menschen nach uns werden es erleben!

  • "Das Wissen um die biologische Herkunft ist zwingend für die eigene Identität."

    Ist das so? Mein biologischer Vater wohnte bis zu seinem Tod in der Nachbargemeinde.

    Er hatte unsere Familie kurz nach meiner Geburt verlassen, um gleich noch eine Familie zu gründen.

    Warum sollte ich mich für den Mann interessieren?

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Als Pflegevater zweier Söhne habe ich da einen sehr ambivalenten Zugang - denn im Rahmen der Vollzeitpflege ist in der Regel und wenn möglich ein sehr konsequenter Umgang mit den leiblichen Eltern ein fester Bestandteil. Und da stehe ich auch absolut dahinter.

    Allerdings ist die Bandbreite der Probleme, die sich daraus ergeben können fast genauso groß. Nur als Beispiel: Der Vater einer meiner Söhne - der zu dem Zeitpunkt 19 war - hat sich aus dem Drogenmillieu nie lösen können und ist letztes Jahr dann unter nicht näher geklärten Umständen, aber am Konsum verstorben. Der Sohn hat jetzt das Problem, dass im Prinzip damit rechnet, dass genug von seinem leiblichen Vater in ihm stecken könnte, was ihn irgendwann aus der Kurve tragen könnte. Es gibt da unzählige sehr schwierige Konstellationen, die fast immer mit den leiblichen Eltern zu tun haben.

    Angesichts dessen und in Anbetracht des Umstands, dass es auch ein Selbstbestimmungsrecht der Eltern gibt, das mit der Adoptionsfreigabe recht zweifelsfrei geäußert wurde, bin ich eher gegen dieses universelle Recht auf Kenntnis der biologischen Eltern - auch bei Samenspenden.

    Ich hielte es für ausreichend, dass es ein Verfahren gibt, in dem ein Familienrichter nach Einzelfallprüfung so ein Auskunftsrecht ausprechen kann - aber generelles und allem Anderen übergeordnetes Auskunftsrecht halte ich für falsch und sogar für kontraproduktiv.

    Ich glaube, dass diese Argumentationslinie - wieder mal - dem deutschen Glauben an Blut und Boden entspringt. Der Biologismus der Bourgeoisie überhöht die biologische Eltern-Kind-Verbindung, um den Glauben an die Erblinie aufrecht erhalten zu können. Und aus dieser Blickrichtung wäre eine universales Auskunftsrecht sogar vehement abzulehnen.

    In der Güterabwägung muss nicht immer das Kind stechen.

  • Das gleich Recht gilt auch für Kinder, die aus einer künstlichen Befruchtung von einem Samenspender stammen.

  • Es ist zweifellos wünschenswert, dass jede das Recht hat, ihre leiblichen Eltern zu kennen. Viele Kuckuckskinder leben da in einer Scheinwelt.



    Trotzdem ist der Fall etwas komplizierter und nicht einfach mit Wahrscheinlichkeiten zu lösen. Schliesslich ist es auch wahrscheinlich, das jemand seine Eltern kennt.



    Die Mutter war 16 als das Kind geboren wurde, brach die Schule ab, lebte in einer Pflegeeinrichtung. Also alles andere als einfach. Ein Vaterschaftsverfahren brachte schon 1985 keine Klarheit. So könnte es vielleicht durchaus möglich sein, dass die Mutter sich nicht erinnern kann (oder will, um ihr eigenes Befinden zu schützen (was sie aber nicht im Verfahren geltend gemacht hat)). Passiert ja bei erwachsenen Politiker auch dauernd. Ob sie das Kind belügt? Wer kann das entscheiden?



    Es gibt wohl ein paar "Verdächtige" - aber der Staat sucht nicht die Aufklärung (warum auch, ist rein zivilrechtlich), sondern die Mutter soll daran arbeiten.



    Wenn sie das nicht macht, was bleibt dann? Beugehaft? Geldstrafe? Im Endeffekt scheinen beide zu leiden.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @fly:

      Geht ja wohl auch um Grundsätzliches.

      Unsere Identität hängt sehr stark von den leiblichen Eltern und das nicht subjektiv.

  • Ich glaube, das ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich etwas zu den Rechten adoptierter Kinder lese. In den zeitgenössischen Debatten tauchen wir normalerweise nur als Besitzgegenstände auf, auf die andere angeblich ein Recht hätten. Ich denke auch trotzdem nicht, dass da wirklich ein Mentalitätswechsel eintreten wird.