Ausbildungsplatzmangel in Berlin: Fake-Politik ersetzt keine Konzepte
Gegen die niedrige Ausbildungsquote in Berlin hat der schwarz-rote Senat kein Konzept. Dabei liegt die Lösung bereits auf dem Tisch.
J edes Jahr, wenn die Ausbildungszahlen vorgestellt werden, ist es das gleiche Spiel: Dass in Berlin Tausende junge Menschen ohne berufliche Perspektive bleiben, erklären die Unternehmen damit, dass die Ausbildungswilligen eben zu dumm seien: Die Schulqualität sei zu schlecht und die Menschen brächten nicht die nötigen Qualifikationen mit, heißt es unisono.
Im Prinzip ist zwar richtig, dass die Schulqualität in Berlin angesichts eklatanten Lehrer*innenmangels und überfüllter Klassen besser sein könnte. Das trifft aber nicht den Kern des Problems. Vielmehr ist es eine willkommene Ausrede, um von eigenen Fehlern und von strukturellen Missständen in den Unternehmen abzulenken: Denn dass so viele junge Menschen keinen Ausbildungsplatz bekommen, liegt in erster Linie daran, dass in der Hauptstadt zu wenig ausgebildet wird.
So liegt die Ausbildungsquote in Berlin mit 11 Prozent weit unter dem Bundesdurchschnitt von 19,1 Prozent – und der ist schon viel zu niedrig. Und wo ausgebildet wird, ist die Qualität oft nicht gut: Geringe Löhne, hohe Arbeitsbelastung und viele Überstunden gehören für viele Azubis zum Alltag.
Statt die jungen Menschen weiterzubilden, werden sie allzu häufig als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Gastronomie und Hotellerie sind hier negative Spitzenreiter und entsprechend unbeliebt bei den Jugendlichen. Das erklärt nicht nur die hohe Abbrecher*innenquote, sondern auch, dass alljährlich Hunderte Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben – trotz des Überangebots an Ausbildungswilligen.
Ausbildungsplatzumlage ist eine gute Lösung
Eine Lösung für das Problem liegt bereits auf dem Tisch: die Ausbildungsplatzumlage. Damit wollte Rot-Grün-Rot diejenigen Betriebe unterstützen, die überproportional ausbilden, und diejenigen zur Kasse bitten, die dies zu wenig oder gar nicht tun. Eine gute Idee, die diejenigen belohnt, die etwas für die Allgemeinheit tun, und diejenigen bestraft, die dies in ihrem Profitmaximierungsdenken eben nicht tun.
Doch im neuen unternehmerfreundlichen Senat aus CDU und SPD hält man nichts davon, die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Die kurz vor der Einführung stehende Umlage wurde gekippt und stattdessen setzt man auf die gute, alte Selbstverpflichtung der Unternehmen. Dass das schon bei den Immobilienkonzernen in Sachen bezahlbarer Wohnraum nicht klappt, geschenkt. Konstruktive Ideen, wie dem Problem wirksam begegnet werden kann, sucht man indes vergeblich.
Aber das scheint ja generell die Maxime von Schwarz-Rot zu sein: Erst mal alles stoppen (Radwegeausbau, Sozialprojekte, Vergesellschaftung), aber keine neuen Konzepte vorlegen. So kann man auch Handlungsfähigkeit suggerieren. Die Berliner*innen haben von dieser reaktionären Fake-Politik allerdings wenig – im Gegenteil. Denn die Lebensqualität der Menschen bemisst sich nicht an den Gewinnen der Konzerne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin