Ausbeutung in der Landwirtschaft: Bittere Ernte
Osteuropäer*innen ernten bald wieder deutschen Spargel – teils unter miserablen Bedingungen. Arbeiter werfen einer Baumschule Ausbeutung vor.
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„Wir wurden respektlos behandelt, beschimpft, an der Kleidung gezogen und geschüttelt, wenn wir die Arbeit angeblich nicht gut gemacht haben“, erzählt der 20-Jährige in einem Videotelefonat mit der taz. Der stämmige Mann mit kurz geschorenen schwarzen Haaren will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen – zu groß ist die Angst, sonst keine Jobs mehr zu bekommen. Denn er ist auf die befristeten Einsätze in Deutschland angewiesen. In Rumänien, sagt er, würde er noch weniger verdienen. Gerade hat er Mittagspause bei seinem neuen Arbeitgeber, einem Gemüsehof in Rheinland-Pfalz. Er sitzt vor einer Wand, die mit einem billigen braunen Holzimitat verkleidet ist.
Für zwei Wochen Arbeit habe der Landarbeiter 635 Euro ausgezahlt bekommen, sagt Catalina Guia, die für „Arbeit und Leben“, einer unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund getragenen Weiterbildungseinrichtung, Wanderarbeiter berät. Guia, die selbst aus Rumänien stammt, übersetzt das Gespräch mit der taz. Sie hat dem Mann und 9 weiteren Rumänen geholfen, die Baumschule zu verlassen.
Wenn der Landarbeiter – wie er sagt – 108 Stunden gearbeitet hat und zu dem Auszahlungsbetrag noch 130 Euro für die von der Baumschule übernommene Anfahrt aus Rumänien und 71 Euro für die laut Sozialrecht geltende Unterkunftspauschale hinzukommen, betrug der Stundenlohn nur knapp 8 Euro. Das liegt weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 9,50 Euro. Abrechnungen habe ihm die Baumschule nicht gegeben, erzählt der Mann. Das ist typisch: So können Arbeiter*innen schwer nachweisen, dass sie ausgebeutet wurden.
Harte Arbeit, wenig Lohn
Für seinen Lohn leistete der Rumäne sehr harte Arbeit: „Ich habe täglich 250 Bäume in ein Verpackungsmaterial eingewickelt und dann auf einen Lkw geladen“, sagt der Mann. „Jeder Baum wog 30 bis 40 Kilogramm, wenn er trocken war, wenn er nass war noch mehr, und meistens waren sie nass.“ Auf dem Feld habe er Setzlinge gepflanzt, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.
Den Arbeitsvertrag auf Deutsch habe er unterschreiben müssen, obwohl er ihn nicht verstanden habe, erzählt der Rumäne weiter. „Ich habe auch keine Kopie bekommen.“
Ein Kollege des 20-Jährigen berichtet der taz, er habe für zwei Wochen nur 750 Euro ausgezahlt bekommen. Das würde bei 126 Stunden und Zuschlägen für Anfahrt und Unterkunft lediglich einen Stundenlohn in Höhe von 7,55 Euro bedeuten – rund ein Fünftel weniger als der vorgeschriebene Mindestlohn.
Der 23-Jährige bestätigt auch die Vorwürfe, die Pässe seien einbehalten, die Arbeitsverträge nur auf Deutsch geschrieben und nicht in Kopie ausgehändigt, die Arbeiter beschimpft sowie tätlich angegriffen worden. Er ergänzt: „Die Chefs waren sehr aggressiv zu uns.“ Der Inhaber der Baumschule habe einem Rumänen gedroht, ihn mit einem Messer oder einer Pistole zu verletzen, wenn er schlecht arbeite. Die Wohncontainer seien kaum geheizt gewesen. Anti-Corona-Masken hätten sich die Arbeiter selbst besorgen müssen.
Bei Beschwerde fristlos gekündigt
Die taz erreicht den hochgewachsenen Mann auf einer Baustelle in seiner Heimat. Da arbeitet er, der keine formelle Berufsausbildung hat, nach seinem Aufenthalt in Deutschland jetzt wieder. Die Beschäftigung in der Baumschule sei bereits sein zweiter Job in der deutschen Landwirtschaft gewesen – auch beim ersten Mal seien die Arbeiter schlecht behandelt worden, sagt er.
Beraterin Guia erzählt, dass auch mehrere andere Rumänen die Vorwürfe bestätigt hätten. Als sie sich beschwerten, sei ihnen fristlos gekündigt worden. Sie hätten den Betrieb und die Wohncontainer sofort verlassen müssen. „Sie saßen stundenlang vor dem Werkstor, ohne Pässe und ohne Geld und in der Kälte“, so Guia. Erst als die Polizei anrückte, habe die Baumschule die Pässe herausgegeben, und nur nach Intervention der Beratungsstelle hätten sie ihren Lohn bekommen.
Die Baumschule wies die Vorwürfe als falsch zurück. Belege führte sie nicht an. Das Unternehmen schrieb der taz lediglich, es könne nicht auf Details eingehen, weil die Behörden sich mit dem Fall befassten. Die zuständige Staatsanwaltschaft Krefeld teilte mit, sie prüfe, ob ein Anfangsverdacht vorliege.
300.000 Saisonkräfte, die vor allem aus Osteuropa kommen, reisen in normalen Jahren ein. Die Landwirte brauchen sie etwa für die in wenigen Wochen beginnende Spargelernte. Danach holen Erntehelfer zum Beispiel Erdbeeren vom Feld. Um die Zahl der reisenden Helfer*innen und somit das Coronarisiko zu reduzieren, diskutiert die Bundesregierung derzeit, ob Landwirt*innen die Arbeitskräfte wie im Coronajahr 2020 bis zu 115 Tage ohne reguläre Sozialversicherung beschäftigen dürfen sollen. In den Jahren ohne Pandemie hatte die Schwelle bei 70 Tagen gelegen.
Corona-Behandlungskosten bitte selbst übernehmen
Mit Folgen für die Aushilfen: Auf diesem Weg angestellte Osteuropäer*innen müssen laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beispielsweise bei einer Corona-Erkrankung die Behandlungskosten mitunter selbst zahlen. Zudem würden der deutschen Sozialversicherung hohe Summen an Beiträgen verloren gehen.
60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen Aushilfskräfte in der deutschen Landwirtschaft hatten eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung, wie eine statistische Auswertung zeigt, die die Bundesagentur für Arbeit auf taz-Anfrage erstellt hat. Auch die Baumschule in NRW stellte Helfer*innen auf diesem Weg ein.
Berichte über mutmaßliche Ausbeutung von Landarbeiter*innen in Deutschland gibt es immer wieder. Doch für Nicole Spieß, Geschäftsführerin des Gesamtverbands der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände, sind das nur Einzelfälle. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls habe in der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Branchen nur wenige Verstöße gegen das Mindestlohngesetz festgestellt, sagt sie.
„Nachweise für die geringe Zahl an gravierenden Verstößen gegen Infektions- und Arbeitsschutzmaßnahmen“ habe zum Beispiel die Arbeitsschutzverwaltung von Nordrhein-Westfalen geliefert. Es sei auch unter den im vergangenen Jahr schätzungsweise 250.000 Saisonkräften „nur in wenigen Fällen zu größeren Infektionsgeschehen gekommen“. Die meisten Betriebe würden eine private Krankenversicherung für ihre Saisonkräfte abschließen.
250 Coronafälle auf Gemüsehof
„Die meisten sind aber nicht alle“, erwidert Harald Schaum, Vize-Vorsitzender der IG BAU. Und die privaten Versicherungen deckten nicht alle Risiken ab. „Vergangenes Jahr etwa ist ein Kollege nach einem während der Arbeitszeit erlittenen Herzinfarkt auf den Krankenhauskosten sitzen geblieben“.
Eine genaue Zahl der Infizierten oder Coronausbrüche kann weder der Arbeitgeberverband noch das Bundesagrarministerium nennen. Fest steht jedoch, dass ein Gemüsehof im bayerischen Mamming mit 250 Fällen laut Robert-Koch-Institut im Sommer zeitweilig der größte Infektionsherd bundesweit war. Eine Ukrainerin musste auf der Intensivstation behandelt werden. In Baden-Württemberg starb ein infizierter Spargelstecher aus Rumänien. Schon die wenigen Medienartikel zum Thema, die die taz für eine Stichprobe ausgewertet hat, berichten von insgesamt mehr als 400 Infizierten.
Und es gibt mehr Indizien, die auf systematische Ausbeutung von Landarbeiter*innen hindeuten. Bei den Kontrollen in NRW zur Einhaltung der Corona-Arbeitsschutzstandards gab es im vergangenen Jahr immerhin mehr als 170 Beanstandungen überwiegend „kleinerer und mittlerer Mängel“, wie etwa ein zu geringer Abstand der Betten in den Unterkünften. In drei Unternehmen fanden die Kontrolleure nach eigenen Angaben „gravierende Mängel“. Rund 250 Betriebe mit 5.800 Saisonarbeiter*innen wurden überprüft.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit leitete nach eigenen Angaben 2017 bis 2019 jeweils mehr als 500 Bußgeld- und Strafverfahren etwa wegen Mindestlohnverstößen oder Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen in der Landwirtschaft ein.
Mehr als nur Einzelfälle
„Angesichts dieser Zahlenverhältnisse kann man unseres Erachtens nicht nur von Einzelfällen reden, zumal die Kontrollwahrscheinlichkeit nicht sonderlich groß ist“, sagt Gewerkschafter Schaum. „Es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die sich illegal verhalten“. Diese hätten einen „illegalen Dumpingvorteil“ im Wettbewerb mit den Höfen, die sich korrekt verhalten.
Dennoch will der Arbeitgeberverband, dass die Branche die Aushilfen noch länger ohne reguläre Sozialversicherung beschäftigen darf, und begründet das mit dem Infektionsschutz. Gewerkschafter Schaum aber sagt, dass das Infektionsrisiko geringer wäre, wenn die Landarbeiter für eine kürzere Zeit unter den beengten Bedingungen in Deutschland lebten.
Der Bauernverband verweist auf „weitreichende Infektions- und Arbeitsschutzmaßnahmen“. Erntehelfer aus Risikogebieten wie Polen oder Rumänien müssten spätestens 48 Stunden nach der Einreise einen negativen Coronatest nachweisen. Andere Regeln seien jedoch teils „wachsweich formuliert“, kontert Schaum. Tatsächlich ist beispielsweise die Unterbringung in Einzel- statt Mehrbettzimmern laut Bundesagrarministerium nur „anzustreben“. Zwar müssen die Erntehelfer in feste Gruppen eingeteilt werden, die sich bei der Arbeit nicht begegnen sollen. Aber in einem Zimmer dürfen doch Mitglieder verschiedener Teams schlafen.
Die Gewerkschaft sieht auch keine Gefahr, dass Deutschland mehr Gemüse importieren muss, falls die hiesigen Bauern etwas mehr für ihre Aushilfen zahlen müssten. Wenn ein Erntehelfer stündlich etwa 10 Kilogramm Spargel sticht und den Betrieb 3 Euro je Stunde mehr kostet, würde das den Preis nur um 30 Cent pro Kilo verteuern, sagt Schaum. Der deutsche Spargel würde dadurch kaum unattraktiver.
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