Ausbau erneuerbarer Energien: Hühner unter Strom
Unten Landwirtschaft, drüber Solarenergie: Die Grünen wollen Agri-Photovoltaik-Anlagen fördern. Brandenburgs größte Anlage ist in Steinhöfel geplant.
Wer vom malerischen Steinhöfel Richtung Neuhardenberg fährt und links nach Tempelberg abbiegt, steht kurz hinter dem Waldrand vor einem Feld. Ein abgeernteter Maisacker, der noch nicht wieder bestellt wurde. Warum auch: Schon im kommenden Jahr könnte hier im Brandenburger Landkreis Oder-Spree eine so genannte Agri-Photovoltaik-Anlage entstehen. Unten Landwirtschaft, oben Solarenegie. Ein neues Kapitel der Landnutzung.
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„Klimapark“ nennt die Firma Sunfarming aus Erkner das Vorhaben. Neben der Fläche in Tempelberg sollen in sieben weiteren Ortsteilen von Steinhöfel Agri-PV-Anlagen entstehen. „Insgesamt planen wir mit einer Fläche von 550 Hektar“, sagt Sunfarming- Geschäftsführer Martin Tauschke der taz. Fast 500 Megawatt Energie sollen die Photovoltaik-Anlagen erzeugen. Das ist mehr als das Heizkraftwerk Mitte in Berlin, das mit 440 Megawatt bis zu 600.000 Haushalte mit Strom versorgen kann.
Der Clou dabei: Die Landwirte sollen die Felder weiter bestellen. „Bei unseren Agri-PV-Anlagen steht die Doppelnutzung im Vordergrund“, betont Tauschke. „Entweder extensiv, zum Beispiel mit Blühstreifen, oder intensiv mit Viehhaltung oder dem Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse.“
Inzwischen sind die ersten Vorentwürfe der Bebauungspläne ausgelegt worden. „Wir arbeiten gerade die Einwände ab und wollen dann den finalen Bebauungsplan erarbeiten, der danach in den Ortsbeiräten und im Gemeinderat beraten wird“, sagt Tauschke.
Wenn alles gut gehe, könne der Ende des Jahres beschlossen werden. Für das kommende Jahr ist dann der erste Spatenstich in Tempelberg und auf den anderen Flächen geplant.
Attraktiv für Landwirte
Brandenburg ist Windland: Laut dem Wirtschaftsministerium sind im Land derzeit 3.890 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 7.320 Megawatt in Betrieb. Allerdings stockt der Ausbau: Die meisten Regionalpläne, die den Bau neuer Windräder regeln, sind vor Gericht gescheitert.
Aber Brandenburg ist auch Solarland, wenngleich bisher eher in kleinem Maßstab. Mit mehr als 38.700 Photovoltaik-Anlagen und einer Leistung von 3.703 Megawatt lag das Land 2018 auf dem fünften Platz nach Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Da ist also noch mehr möglich, zumal die meisten der Anlagen laut Energie- und Klimaschutzatlas nur Leistungen von unter zehn Megawatt vorweisen können. Der Klimapark in Steinhöfel wäre nicht nur Brandenburgs erste Agri-PV-Anlage, sondern auch die leistungsstärkste PV-Anlage im Land.
Ausbau Russlands Krieg in der Ukraine macht erneuerbare Energien umso dringlicher. Mit einem Osterpaket will die Bundesregierung deren Ausbau massiv vorantreiben. Diese Woche soll das Gesetzespaket von der Bundesregierung beschlossen, nach Ostern soll es dann im Bundestag beraten werden.
Umdenken Die Vorlage kommt von den drei grünen Ministerien in der neuen Ampel-Koalition für Wirtschaft und Klimaschutz (Robert Habeck), Umwelt und Naturschutz (Steffi Lemke) sowie Ernährung und Landwirtschaft (Cem Özdemir).
Solarenergie Neben der Beschleunigung von Planungsverfahren soll auch der Ausbau der Solarenergie durch Agri-Photovoltaik-Anlagen vorangetrieben werden. Vor allem "benachteiligte Gebiete", also ertragsschwache landwirtschaftliche Flächen, können so auch zur Stromerzeugung genutzt werden. (wera)
Einen Teil der Flächen für den Klimapark hat die Steinhöfeler Agrarbetriebsgesellschaft zur Verfügung gestellt. „Wir haben in Ostbrandenburg schwache Böden“, sagt Geschäftsführer Fabian Meise der taz. „Über die letzten Jahre haben wir Stück für Stück an Ertragskraft verloren.“ Solange gedüngt werde und Regen falle, sei eine Bewirtschaftung noch möglich, so Meise. „Aber jetzt fällt beides weg. Das eine politisch, das andere wegen dem Klimawandel.“
Anders als andere Landwirte im Landkreis Oder-Spree, die ihre Flächen für die Aufforstung des „Tesla-Waldes“ zur Verfügung stellen und nun hoffen müssen, dass der neue Wald nicht vertrocknet, geht Meise mit der Verpachtung seiner Flächen an Sunfarming nicht ins Risiko. „Ein Photovoltaik-Park ist eine Einnahmequelle, die klimaunabhängig funktioniert“, sagt der Landwirt. „Wir haben durch die Pacht einen höheren Ertrag pro Hektar als durch die landwirtschaftliche Nutzung, und das für eine Dauer von 30 Jahren.“ Und wenn die Sonne scheint, sagt Meise, „bekommen wir noch was dazu“.
Große Akzeptanz
Janina Messerschmidt ist vor einigen Jahren von Berlin nach Steinhöfel gezogen. Im Ortsteil Heinersdorf saniert sie mit drei weiteren Familien das ehemalige Gemeindegebäude. Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage installiert.
Messerschmidt, die für die Linke in der Gemeindevertretung sitzt, ist vom Fach. Als promovierte Klimaforscherin beschloss sie, die Wissenschaft zu verlassen und die Bürgerenergiegenossenschaft BEOS eG in Steinhöfel aufzubauen, um erneuerbare Energien in die Region zu bringen. „So wie bisher“, ist Messerschmidt überzeugt, „können wir nicht weitermachen.“
Dem Klimapark von Sunfarming steht sie positiv gegenüber: „Dort, wo es besonders trocken ist, können Agri-PV-Anlagen sogar gut sein für die Ernte.“ Wichtig sei „eine Diskussion, die nicht auf den alten Streit Energie oder Landwirtschaft hinausläuft, sondern beides verbindet“. Deshalb sei eine Agri-PV-Anlage etwas anderes als eine PV-Freiflächenanlage.
Und sie bringt Vorteile für die Gemeinde, die finanziell am Klimapark beteiligt wird. Pro Kilowattstunde erzeugter erneuerbarer Energie, so will es das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sollen bis zu 0,2 Cent an die Kommunen gehen. Das bedeute für Steinhöfel zusätzliche Einnahmen von rund einer Million Euro im Jahr, hat Janina Messerschmidt ausgerechnet.
Auch deshalb stoße das Vorhaben von Sunfarming in Steinhöfel auf viel Akzeptanz. Hinzu kommt das Angebot eines Bürgerstromtarifs für die Bewohnerinnen und Bewohner sowie Ladesäulen für Elektroautos in allen beteiligten Ortsteilen. Die Anlagen selbst sollen hinter Hecken versteckt oder in kaum einsehbaren Senken gebaut werden, so dass das Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird.
„Die Sunfarming ist gut in ihrer Kommunikation“, sagt Messerschmidt. „Und sie reagieren auch. So ist eine Fläche herausgenommen worden, die sich an einer Hanglage befand, auf die man vom Dorf schauen konnte.“
Mehr Solarstrom gefordert
32 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Brandenburg sollen bis 2030 aus erneuerbaren Energien kommen. So sieht es die Energiestrategie der Landesregierung vor. 2045 soll das Land sogar klimaneutral sein. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. 2019 lag der Anteil der Erneuerbaren bei 22 Prozent, größtenteils Windkraft und Biomasse. Die Solarenergie rangierte mit zwei Prozent am Ende der Skala.
Das wollen die Landesgrünen ändern. Schon 2020 haben sie in einem Positionspapier gefordert: „Der Ausbau der Photovoltaik ist ein wichtiger Baustein zur angestrebten vollständigen Versorgung von Brandenburg und Berlin aus erneuerbaren Energien und ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.“ Um den Flächenentzug für die Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft zu minimieren, „sollen bevorzugt Agri-Photovoltaikanlagen mit einer Mehrfachnutzung für Stromerzeugung und landwirtschaftliche bzw. gartenbauliche Nutzung zum Einsatz kommen“.
Mehr Agri-PV-Anlagen brauchen aber mehr Flächen, die Landwirte wie Fabian Meise zur Verfügung stellen. Deshalb fordert die grüne Landtagsabgeordnete Isabell Hiekel, dass die landwirtschaftlichen Betriebe die Flächenprämie der EU pro Hektar auch für Agri-PV-Anlagen bekommen. Nur die tatsächlich mit Solarmodulen bestanden Flächen müssen aus den Prämien im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) herausgerechnet werden. „Schließlich wird bei Agri-PV unter oder zwischen den Solarmodulen weiter Landwirtschaft betrieben“, sagt die Sprecherin für Umwelt und Landwirtschaft der bündnisgrünen Landtagsfraktion.
Damit die bis zu fünf Meter hohen Agri-PV-Anlagen wie in Steinhöfel auch andernorts akzeptiert werden, hat Hiekel mit den anderen Autoren des Positionspapiers Ausschlusskriterien formuliert. Für Nationalparks, Natur- und Landschaftsschutzgebiete sowie kleinräumige Schutzgebiete sollen die Anlagen tabu sein, ebenso für „landschaftsprägende Hänge und Kuppen.
Und noch etwas könnte Brandenburgs Aufbruch zum Solarland voranbringen. Anders als beim Bau von Windparks sind bei der Errichtung von PV-Anlagen keine Regionalpläne erforderlich. Die Genehmigung liegt, wie in Steinhöfel, bei den Kommunen.
Doppelte Förderung
Startet Brandenburg nun also durch in Richtung solare Landwirtschaft? Zumindest das mit der Flächenprämie ist nicht so einfach, sagt Fabian Meise von der Steinhöfeler Agrarbetriebsgesellschaft. „Bisher hieß es immer, dass die Prämien nicht möglich wären, weil die Flächen für die Dauer der Verpachtung Bauland wären“, sagt er. Inzwischen ist aber Bewegung in die Sache gekommen. Ein Gericht in Augsburg hatte zuletzt einem Schäfer Recht gegeben, dessen Schafe unter einer Solaranlage weideten. Er bekommt nun zusätzlich auch die Flächenprämie der EU.
Auch die drei grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz, Landwirtschaft sowie Umwelt bauen auf den Erhalt der Flächenprämie für Agri-PV-Anlagen. In einem Eckpunktepapier vom Februar heißt es: „Die Förderung mit GAP-Mitteln ist weiterhin möglich, sofern die landwirtschaftliche Nutzung nur bis zu 15 Prozent durch die Stromerzeugung beeinträchtigt ist.“ Das Eckpunktepapier ist die Grundlage der Grünen für ein so genanntes Osterpaket, dass die Bundesregierung in dieser Woche beschließen soll.
Hoffen auf Osterpaket
Auch Sunfarming-Chef Martin Tauschke setzt auf dieses Paket. Allerdings nicht wegen der Flächenprämien für die Landwirte, sondern wegen einer möglichen Vergütung der in Steinhöfel geplanten Energieerzeugung: „Im Osterpaket ist auch ein Agri-PV-Bonus für die Einspeisung des Stroms im Rahmen des EEG geplant“, sagt Tauschke. Der sei aber aus seiner Sicht noch zu gering. „Wir haben deshalb unsere Stellungnahmen auch an die Ministerien von Herrn Habeck und Herrn Özdemir gestellt.“
Grüne, Landwirte, Solarindustrie und Kommunen ziehen an einem Strang. Im malerischen Steinhöfel ist das keine Wunschdenken, sondern Realität. „Wir müssen innovativ sein“, sagt Gemeindevertreterin Janina Messerschmidt. „Mit dem Klimapark kann ich die Region entwickeln und auch mal groß denken. Bisher ging das nicht.“
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