Aus einer griechischen Zeitung: „Plötzlicher Tod“
Die Zeitung der griechischen Linkspartei Syriza muss ihre tägliche Druckausgabe einstellen. Der Protest ist groß – und die Finanzlage mehr als prekär.
„Heute, am Dienstag, den 25. Juni 2024, um 16 Uhr, wurde uns plötzlich und ohne jede Rücksprache mitgeteilt, dass die Tageszeitung der Linken, die seit 1952 erscheint, nicht mehr an den Kiosken ausliegen wird. Das ist bisher nur einmal passiert: während der Athener Militärjunta“, erklärte die Avgi-Belegschaft in einer noch am gleichen Abend veröffentlichten Erklärung.
Eine fiktive Avgi-Schlagzeile hätte „Plötzlicher Tod“ lauten können, ätzten die Mitarbeiter. Ein Sprecher der Geschäftsleitung habe als Grund für die Schließung der täglichen Druckausgabe „die schweren finanziellen Probleme von Syriza“ angegeben, jedoch keinen Finanzbericht oder Sanierungspläne vorgelegt. Man habe dem Personal lediglich mitgeteilt, dass man „so viele Mitarbeiter wie möglich“ weiter beschäftigen wolle. Der Titel, die Webseite avgi.gr sowie die Sonntagsaugabe (Print) sollen demnach weiter bestehen bleiben.
Beruhigen konnte dies das Avgi-Personal nicht. Seit Mittwoch befindet es sich im Streik, wegen „dieses historischen und politischen Fehlers und mit einem tiefen Gefühl für unsere Geschichte“, wie sie betonen. Sie fordern die Rücknahme der Entscheidung, die Tagesausgabe zu schließen, ferner die Sicherung aller Arbeitsplätze, die Zahlung offener Löhne und Gehälter in Höhe von insgesamt über 300.000 Euro sowie ein sofortiges Treffen mit dem Syriza-Chef Stefanos Kasselakis.
Weniger Geld aus der Staatskasse
Das dürfte kurzfristig schwierig werden. Denn Kasselakis, 36, im September von den Syriza-Mitgliedern zum Parteivorsitzenden gewählt, weilt schon seit Mitte Juni in den USA. Dort hatte er bis Mitte vorigen Jahres seinen ständigen Wohnsitz. Für das Avgi-Personal ist klar: Hinter der Schließung der täglichen Druckausgabe steckt Kasselakis.
Fest steht: Ohne Kapitalspritzen von Syriza ist das Parteiblatt nicht lebensfähig. Syriza hält laut letzten eigenen Angaben 40 Prozent der Avgi-Aktien. Den Rest kontrollieren Kleinaktionäre, Mitarbeiter und Leser. Das Problem: Syriza hat in der Wählergunst zuletzt einen jähen Absturz erlitten. Daher erhält die linke Partei viel weniger Geld aus der Staatskasse. Viele Syriza-Mitglieder wollen zudem partout keine Mitgliedsbeiträge entrichten.
Ferner erlebt der griechische Zeitungsmarkt einen beispiellosen Niedergang. Seit 2018 hat sich die Zahl aller verkauften Zeitungsexemplare auf nur noch 28.203.839 Stück im Gesamtjahr 2023 fast halbiert. Das sind nicht einmal drei Zeitungsexemplare pro Grieche und Jahr. Obendrein gibt es hierzulande traditionell kaum Abonnenten. Gekauft werden die Zeitungen am Kiosk – oder eben nicht.
Syriza-Abgeordnete zögern
Die tägliche Druckausgabe von „Avgi“, die zum ersten Mal am 24. August 1952 als Presseorgan der „Vereinigung der Demokratischen Linken“ (EDA), einer Partei vor der griechischen Militärdiktaktur, erschien und nach dem Ende der Junta als Stimme der reformistischen Linken in Hellas fungierte, wurde zum Preis von 1,50 Euro pro Exemplar im Schnitt zuletzt landesweit keine 500 mal am Tag verkauft. Die Werbeeinnahmen? Marginal.
Am Freitag streikten auch die Mitarbeiter des Parteiradiosenders „Sto Kokkino“ („Im Roten“). Syriza-Chef Kasselakis wies am Donnerstag auf die dramatische Finanzlage bei Syriza und seiner Parteimedien hin. In einer SMS aus den USA bat er die 36 Syriza-Abgeordneten darum, den „größtmöglichen finanziellen Beitrag zu leisten“, um der bedrohlichen Lage Herr zu werden.„Genossinnen und Genossen, wir bitten euch, uns entweder durch eine Spende oder durch die Aufnahme eines Kredits zu unterstützen, um die Verpflichtungen für den Monat Juni für die Parteimedien in Höhe von 375.146 Euro zu decken“, heißt es darin. Er werde, so Kasselakis per SMS, „mit gutem Beispiel vorangehen und 20.000 Euro spenden“.
Doch die Syriza-Abgeordneten zögern. Griechischen Medienberichten zufolge fordern sie nun eine Aufstellung der Ausgaben von Avgi sowie der Partei, wozu sich Kasselakis öffentlich verpflichtet habe, dem aber bisher nicht nachgekommen ist. Der frühere Syriza-Finanzdirektor Thymios Georgopoulos warnte unterdessen davor, dass das Avgi-Personal fortan unbezahlt bleiben würde. Die wohl letzte tägliche Avgi-Printausgabe datiert vom 22. Juni. Es war die Ausgabe 14.990 seit Bestehen der Zeitung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen