Aufwärmen für den kommenden Winter: Eine Schulddebatte? Bitte schön
Nein, nicht alle haben von billigem Gas aus Russland profitiert. Und die treibenden Kräfte hinter unserer Abhängigkeit heißen Wintershall und BASF.
W ir hatten diese Woche kein Warmwasser. Grund war ein spät entdeckter Rohrbruch, durch den die Gastherme kaputtging. Ärgerlich – aber nun denn, auch ein kleiner Testlauf für den Winter, dachte ich. Wie man sich halt die Dinge immer so schön- beziehungsweise warm redet.
Oder, um den damaligen Chef des Energieunternehmens Wintershall, Rainer Seele, zu zitieren: „Wir produzieren gemeinsam, wir investieren gemeinsam, und wir lernen gemeinsam.“ Er sprach von Gazprom, und zwar 2014, als Russland gerade die Krim besetzte. Die EU überlegte, welche Sanktionen sie gegen Russland verhängen würde, was Seele verhindern wollte. Denn bei der BASF-Tochter Wintershall war man just dabei, seine Öl- und Gasgeschäfte noch enger mit Gazprom zu verschränken.
Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Verständnis und fand auch, dass Gas und Öl bei den Sanktionen keine Rolle spielen sollten. Wenig später unterschrieb Gabriel eine staatliche Milliardenbürgschaft, damit Wintershall den mittlerweile berühmt gewordenen Gasspeicher in Rehden, den größten Europas, mit Gazprom gegen Gasfelder in Sibirien tauschen konnte.
So hat es vor wenigen Tagen das Fernsehmagazin „Monitor“ noch einmal wunderbar herausgearbeitet, samt Bild von Gabriels handschriftlichem Vermerk „Ich unterstütze den Antrag“. Aktuell verdient Wintershall – das heute als Wintershall Dea immer noch zu rund drei Vierteln BASF gehört, den Rest hat ein russischer Oligarch – sehr gut mit westsibirischem Gas. Denn, Sie erinnern sich, Gas wird derzeit ausgesprochen teuer verkauft.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wenn Sie all dies längst wissen, entschuldigen Sie bitte. Mir erschien es zuletzt so, als sprächen wir zu wenig darüber, wie und von wem wir in diese ganze krasse Lage gebracht wurden.
Es reicht halt nicht zu sagen: „Klar ging es da um wirtschaftliche Interessen, ist doch immer so, aber wir haben ja alle profitiert“ – und dann twittern alle weiter ganz aufgeregt über irgendeine unwichtige Einlassung von Sahra Wagenknecht. Es haben eben nicht alle profitiert. Es geht immer um kurzfristige und langfristige Gewinne – oder eben auch Verluste, und siehe da, Stand heute ist beides wieder einmal höchst ungleich verteilt. Außerdem sind Schuldfragen in der Wirtschaftspolitik wichtig. Alles aufs „System“ zu schieben, hilft niemandem außer den AktionärInnen von BASF.
Ich halte es für spektakulär, dass BASF-Chef Martin Brudermüller es wagt, sich seit Kriegsbeginn in Gasdingen als Schutzpatron der deutschen Volkswirtschaft aufzuspielen, nachdem BASF und Wintershall erkennbar die Treiber hinter dem Wahnsinnskonzept waren, die deutsche Energieversorgung von Wladimir Putin abhängig zu machen.
„Wir machen Vorschläge an die Politik“, sagte er jüngst treuherzig im Spiegel. In der Art, wie Brudermüller dabei auch gleich Subventionen fürs CO2-Sparen und Investitionsgarantien fürs Chinageschäft verlangte, wirkte er allerdings wie der Brandstifter, der erst das Haus anzündet, dann behauptet, dass nur er imstande sei zu löschen, dafür dann allerdings Geld will. Soll alles heißen: Eine Übergewinnsteuer kann hier eigentlich nur der Anfang sein.
Gestern durfte ich bei der Nachbarin warm duschen. Ich weiß nicht, ob das ein nachhaltiger Plan für den Winter ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!