Aufklärung von Hanau-Anschlag: Angst vor den Unfehlbaren
Solange die Polizei nicht gegen sich selbst ermittelt, muss man sich vor ihr fürchten. Für die Wahrheit kämpfen nur die Angehörigen der Opfer von Hanau.
I ch habe Angst vor der deutschen Polizei. Manche würden das sicher irrational nennen. Ich glaube, es ist sehr vernünftig. Denn bei der Polizei kommen zwei Dinge zusammen: Sie besitzt im Namen des Staats das Gewaltmonopol. Und: Dieser Staat zieht sie nicht zur Rechenschaft, wenn sie Fehler macht. Das ist keine gute Mischung.
Am Freitag letzter Woche sprach der Comedian Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ über das Verhalten beziehungsweise über verhängnisvolle Fehler der hessischen Polizei im Zusammenhang mit den rassistischen Anschlägen von Hanau. Zwar waren einige neue Details dabei. Gleichzeitig bestätigte die Sendung vor allem: Polizei und Behörden helfen nicht bei der Aufklärung der Tat, sondern behindern sie.
Die Angehörigen der Ermordeten von Hanau kämpfen seit Jahren darum, dass endlich aufgeklärt wird, was in dieser Nacht passiert ist. Warum Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sterben mussten. Man könnte denken, dass es das größte Anliegen der Polizei sei, bei dieser Aufklärung zu helfen.
Zwei Tage nach der Sendung gab die Bildungsinitiative Ferhat Unvar eine Stellungnahme heraus. Serpil Temiz Unvar gründete nach dem Tod ihres Sohnes in seinem Namen diese Bildungsinitiative. In ihrer Stellungnahme schreibt die Initiative, dass es die Familien der Opfer nicht überrascht, erst durch Medien von neuen Erkenntnissen zum Versagen der Behörden zu erfahren.
Wer die Polizei kritisiert, gilt sofort als linksradikal
Dabei sollten sie solche Informationen eigentlich von den Ermittlungsbehörden erhalten. Ein Satz, der besonders schmerzt: „Als Familien können wir nicht über die Medien erfahren, wie offensichtlich unsere Kinder ermordet wurden.“
Nein, wer einen geliebten Menschen verloren hat, sollte nicht am späten Freitagabend in einer Comedysendung erfahren, dass dieser Mensch vielleicht noch leben würde, wenn nicht ein BKA-Beamter den ohnehin schon völlig überlasteten Notruf besetzt hätte.
Oder dass der Täter Jahre vor den rassistischen Morden dem Generalbundesanwalt eine Mail mit rassistischen Fantasien geschrieben und sogar eine Antwort erhalten hat – aber die Behörden ihn trotzdem legal eine Waffe tragen ließen. Der Polizeinotruf funktionierte nicht – der dafür verantwortliche Beamte wurde danach sogar befördert. Der Notausgang in einem der Anschlagsorte war verschlossen, was vermutlich mehrere der Opfer das Leben kostete – keine Konsequenzen.
Warum kommt diese Aufklärung nicht von den Behörden? Weil die Polizei in Deutschland als unfehlbar gilt. Und auch weiterhin gelten soll. Wer die Polizei kritisiert, gilt als Linksextremist oder als Anarcho. Dass es Ausdruck demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrolle ist, Fehlverhalten in der Polizei zu untersuchen und zu sanktionieren, wird dabei von der Politik sehr erfolgreich weggewischt.
Behörden verhindern Studien zur Polizei
Strafwürdiges oder falsches Verhalten hat in polizeilichen Strukturen nur in seltenen Fällen Konsequenzen. Diese postulierte Unfehlbarkeit, die sonst nur dem Amt des Papstes zugestanden wird, ist eine Katastrophe für einen Rechtsstaat. Weil es bedeutet, dass vor dem Recht nicht alle gleich sind.
Natürlich gibt es dazu kaum Statistiken. So verhindern Landes- und Bundesinnenminister:innen seit Jahren umfassende Studien zur Polizei. Der Nimbus der Unfehlbarkeit darf keinen Kratzer bekommen. Wie antidemokratisch eine solche Haltung ist, scheint nicht zu stören. So kann man sich nur an Annäherungen orientieren, zum Beispiel durch wissenschaftliche Untersuchungen zu Polizeigewalt.
Im Jahr 2019 veröffentlichte die Ruhr-Universität Bochum einen solchen Bericht. Einige Zahlen: In 86 Prozent der Fälle wurde ein Strafverfahren gar nicht erst angestrengt. Nur 9 Prozent der Befragten erstatteten überhaupt Anzeige. Und das Dunkelfeld schätzten die Forscher:innen auf etwa sechsmal höher als das Hellfeld.
Für die Polizei gelten ganz offenbar andere Regeln als für den Rest der Bevölkerung. Denn bei Verdacht auf rechtswidriges Verhalten werden im Falle von Polizist:innen keine normalen Ermittlungen geführt. Das ist auch gar nicht möglich. Denn die Polizei ermittelt gegen sich selbst. Solche Ermittlungen sind nicht unabhängig und entsprechen damit nicht den gängigen rechtsstaatlichen Prinzipien. So verwundert es nicht, dass in der Untersuchung der Ruhr-Universität viele Betroffene als Grund dafür, keine Anzeige erstattet zu haben, angaben, dass sie ohnehin kaum Chance hätten, zu gewinnen.
Angst vor der Polizei ist eine rationale Reaktion
Das ist korrekt. Denn, nochmal: Für die Polizei gelten andere Regeln. Allein dadurch wird jedes Problem bei der Polizei systematisch. Die Theorie der „Einzelfälle“ wird folglich irrelevant. Egal, wie viele oder wie wenige „Einzelfälle“ es gibt.
Ich habe Angst vor Menschen, die sich für unfehlbar halten. Oder die sagen: „Ja, ich mache auch mal Fehler“, nur um sich dann nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Fehler sind unschätzbar wertvoll. Sie sind wie Wegweiser. Sie zeigen uns, woran wir arbeiten müssen. Sie zeigen uns, wo wir besser werden können.
Wer stolz darauf ist, keine oder nur wenige Fehler zu machen: Herzlichen Glückwunsch. Das bedeutet aber auch, dass man nicht lernt, nicht wächst, nicht dazugewinnt. Wie arm jene, die alles „richtig“ machen. Wie verloren jene, die lieber wegschauen.
Wer der Institution der Polizei am meisten schadet, sind jene, die sie für unfehlbar erklären. Dieser Staat sollte den Angehörigen der Ermordeten von Hanau die Füße dafür küssen, dass sie so unermüdlich, so unerbittlich und trotz großen Schmerzes im Herzen für Aufklärung kämpfen. Sie sind die Einzigen, die die Polizei verbessern wollen. Sie sind die Einzigen, die noch dafür kämpfen, Vertrauen in einen Staat zu erschaffen, der vertuscht, anstatt aufzuklären. Solange das aber anhält, wird es weiterhin vernünftig sein, Angst vor der Polizei zu haben.
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