Aufarbeitung des documenta-Skandals: Woran lag es denn nun?
Auf der documenta werden jetzt strukturelle Änderungen gefordert. Klar ist, dass jemand Verantwortung für das Desaster übernehmen muss.
Noch immer suchen die Beteiligten der documenta fifteen nach Erklärungen, wie es zur Aufstellung eines Protestbanners des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi mit offen antisemitischen Motiven auf dem zentralen Friedrichsplatz in Kassel kommen konnte.
Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Grüne), und der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Jacob Gutmark, haben die Aufarbeitung angemahnt. „Wir sind uns einig, dass antisemitische Inhalte nicht gezeigt und nicht reproduziert werden dürfen, und dass dieses Bild abgehängt werden musste“, erklärten Dorn und Gutmark am Montag.
„Wichtig ist nun, dass wir miteinander im Dialog bleiben darüber, aus welcher Weltsicht diese Bilder entstanden sind.“ Der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, ergänzte: „Hierbei müssen wir auch über Verantwortlichkeiten sprechen.“
Zersplitterte Verantwortlichkeiten
Dabei sind die Verantwortlichkeiten sehr zersplittert. Die künstlerische Leitung der documenta hat eine Gruppe inne, das indonesische Kollektiv ruangrupa. Träger der Kunstschau ist die gemeinnützige documenta und Museum Fridericianum gGmbH. In ihrem Aufsichtsrat sitzen Vertreter vom Land Hessen, etwa Ministerin Angela Dorn, und von der Stadt Kassel.
Vorsitzender ist der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD). Die Ebene darunter bilden die Geschäftsführung mit Sabine Schormann und die künstlerische Leitung. Zudem berät eine achtköpfige Documenta-Kommission, die auch 2019 ruangrupa zur künstlerischen Leitung ernannt hat.
Die Verantwortlichkeiten für den Antisemitismus-Eklat innerhalb dieser doch recht verworrenen Struktur genau zu klären, hatte auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in ihrem 5-Punkte-Plan zur documenta letzte Woche gefordert. Dabei hatte sie auch formuliert, den Bund mehr Einfluss auf die Entscheidungsprozesse der documenta nehmen zu lassen.
Dass strukturelle Änderungen nötig sind, sieht jetzt ebenfalls Ministerin Dorn: „Das Ziel muss sein, Strukturen zu schaffen, wie wir auch Kulturinstitutionen besser für Antisemitismus und seine Gefahren sensibilisieren können“, sagte sie am Montag.
Die Expertensichtung
Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, ist einer von mehreren Experten, die laut documenta nun alle weiteren Werke der Kunstschau auf antisemitische Inhalte prüfen. Er kritisierte den Zeitpunkt der Begutachtung in der Frankfurter Rundschau als „natürlich komplett falsch“. Dieser Prozess wäre in der Zeit der Vorbereitung notwendig gewesen. Aber „jetzt 1.500 Künstlerinnen und Künstler als Antisemiten darzustellen, das ist grob falsch“, sagte Mendel weiter.
Im schlimmsten Fall könnten Werke entfernt oder auch Künstlerinnen und Künstler ausgeladen werden, erläuterte er – und unterstrich zugleich: „Wir wollen nicht den Zensor spielen, sondern versuchen, die verschiedenen Perspektiven in Betracht zu ziehen und mit den Künstlern zu sprechen. Und im besten Fall einvernehmlich eine Lösung finden.“ (dpa, epd, taz)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu