Aufarbeitung der Proteste: Blockupy griff Flüchtlinge an
Die Demo-Organisatoren entschuldigen sich für Steinwürfe gegen ein Flüchtlingsheim in Frankfurt. Mischten Rechte bei den Blockaden mit?
BERLIN/ROM taz | Unschöne Szenen gab es einige während der Blockupy-Proteste. Diese blieb besonders im Gedächtnis: Am Mittwochmorgen warfen Vermummte die Scheiben eines Jugendwohnhauses des katholischen Kolpingwerks im Frankfurter Ostend ein. Die Bewohner: 20 teils traumatisierte jugendliche Flüchtlinge. Eine Mitarbeiterin, die einen in Brand gesteckten Müllcontainer löschen wollte, sei durch Drohungen daran gehindert worden, so das Kolpingwerk.
„Nicht hinnehmbar“, sagte dazu der Bundessekretär des Kolpingwerkes, Ulrich Vollmer. „Die Ansicht, dass der Zweck jedes Mittel heiligt, ist eindeutig demokratiefeindlich.“ Er verlangte eine „Distanzierung und Entschuldigung“.
Ausgerechnet ein Flüchtlingswohnheim – solcherart Randale ist selbst in hart linksradikalen Kreisen nicht vermittelbar. „Es gibt Aktionen, die verletzen ganz klar den Aktionskonsens, es ist bei uns völlig unstrittig, dass das nicht okay war“, sagte der Blockupy-Sprecher mit dem Pseudonym Thomas Occupy der taz. „Wenn ein Flüchtlingsheim angegriffen wird, kann ich nichts tun, als mich im Namen von Blockupy zu entschuldigen.“ Ob man nicht doch mehr tun kann, etwa Schadensregulierung anbieten, darüber berät das Bündnis am Sonntag.
Indes gibt es Hinweise, dass auch Rechtsextreme in Frankfurt mitgemischt haben. Die Nazigruppe Freies Netz Hessen veröffentlichte auf ihrem Twitter-Account Bilder von Autonomen Nationalisten mit Anti-EZB-Transparenten. Sie sollen bei den Blockupy-Protesten aufgenommen worden sein. Auch die Nationalrevolutionäre Alternative aus den Niederlanden behauptet, bei Blockupy dabei gewesen zu sein und „militanten antikapitalistischen Widerstand“ geleistet zu haben. Blockupy-Anmelder Ulrich Wilken, ein hessischer Linke-Abgeordneter, sagte Spiegel Online, er habe Rechtsextreme bei Blockupy beobachtet, die nationalistische Parolen gerufen hätten.
Auch italienische Aktivisten waren nach der Randale als Übeltäter in Verdacht geraten. Kurz nach 9 Uhr am Mittwochmorgen kesselte die Polizei fast 300 von ihnen ein, die im sogenannten Blauen Block an den Blockaden teilgenommen hatten. Aus ihren Reihen seien „gewalttätige Aktionen gegen Polizisten“ verübt worden, so die Polizei.
Keine Festnahmen
Von Anfang an beim Blauen Block mitgelaufen war Nicola Fratoianni, Abgeordneter für die radikal linke Partei SEL im italienischen Parlament. Er legt die Hand dafür ins Feuer: „Wir haben blockiert, wir haben Aktionen des zivilen Ungehorsams begangen – aber aus unserem Block heraus erfolgte keine einzige gewalttätige Attacke auf die Polizei.“
Mitglieder der SEL, dazu Aktivisten aus diversen Centri Sociali quer durch Italien: Sie stellten das Gros im von der Polizei eingekesselten Block. Stundenlang wurden die Demonstranten festgehalten. Fratoianni versuchte mithilfe von Abgeordneten der Linkspartei zu vermitteln. Die Polizei ließ sich am Ende zu einer stundenlangen Identifikationsprozedur herbei – gab aber nach Fratoiannis Auskunft das Versprechen, dass keiner der Demonstranten festgenommen werde. So kam es denn auch: Alle Teilnehmer wurden zwar umständlich mit Videoaufnahmen und allem Drum und Dran identifiziert, durften dann aber gehen.
Ob andere italienische Demonstranten in die Ausschreitungen verwickelt waren, vermag Fratoianni nicht zu sagen. Gleich fünf verschiedene Aufrufe gab es aus Italien zum Protest in Frankfurt. Sie reichen von den mit der deutschen Interventionistischen Linken verbündeten Kräften aus den Centri Sociali über die sogenannten Strikers bis zur Metallgewerkschaft und der SEL.
Sicher ist, dass auch Aktivisten aus dem Susatal angereist waren, die dort auch mit militanten Methoden gegen die Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke kämpfen. Und gewiss ist auch, dass sich die dem militanten Lager zuzurechnende Website „Radio Onda d’Urto“ am Mittwoch über die „direkten Aktionen“ und die „Sanktionen gegen Bank- und Versicherungsschaufenster“ freute.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“