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Attacke auf betriebliche MitbestimmungKuschelfirma spielt falsch

Der Hamburger Spieleentwickler Goodgame feuert 28 Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollten. Für Ver.di ist das idyllische Image nur Fassade.

Ein Hauch von Silicon Valley: Wer braucht da schon Mitbestimmungsrechte? Foto: Goodgame

HAMBURG taz | 28 Rausschmisse auf einen Schlag, queerbeet durch alle Bereiche. Der Aufschrei der Gewerkschaft Ver.di kam prompt – aber nicht wegen der Zahl der Kündigungen selbst, die sich da abspielte beim Hamburger Online-Spiele-Entwickler Goodgame Studios. Sondern weil die entlassenen Software-Entwickler, Spieldesigner und Marketingspezialisten allesamt zu den Mitarbeitern zählten, die zusammen mit Ver.di eine Betriebsratswahl in dem Unternehmen vorbereiteten. „Das spricht eine deutliche Sprache“, sagt die Ver.di-Fachbereichsleiterin Gabriele Weinrich-Borg. „.Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Branchenriese die betriebliche Mitbestimmung attackieren will.“

Nach außen vermittelt das Unternehmen gerne das Image einer intakten Firmen-Familie, in der man sich duzt – wobei freilich ohnehin Englisch gesprochen werde – und in der man sich wohl fühlt: eigener Pool im Garten, Freibier am Abend, Öko-Frühstück in der Cafeteria, Events mit Feuerwerk.

Ein Hauch von Silicon Valley in Hamburg-Bahrenfeld also. Einst wurde sogar eine Feelgood-Managerin angeheuert, um die insgesamt 1.200 Mitarbeiter zu motivieren und ihnen das Gefühl zu vermitteln, die Zeit im Büro sei ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Es sei einfach „cool“ gewesen, zu einer solchen Gemeinschaft von „Gleichgesinnten“ zu gehören, schwärmten Mitarbeiter.

„Feelgood“ für gerade einmal Mindestlohn

Goodgame Studios

Gegründet haben die Internet-Spiele-Firma Goodgame im Jahr 2009 die Brüder Kai und Christian Wawrzinek sowie Fabian Ritter mit zunächst 12 Mitarbeitern. Heute beschäftigt Goodgame etwa 1.200 Menschen aus 50 Nationen.

Das Unternehmen boomt und ist heute Marktführer in Deutschland. Im vergangenen Jahr erzielte Goodgame einen Gewinn von 30 Millionen Euro.

Goodgame betreibt mehr als zehn Online-Spiele in 25 Sprachen und hat über 270 Millionen registrierte Nutzer

Ein Betriebsrat in einem Unternehmen dieser Größe besteht regelhaft aus 15 Mitgliedern

Heute denken viele der Beschäftigten wohl eher, dass sie sich blenden ließen und von ihrem Arbeitgeber ausgenutzt werden. „Das positive Image dieses Unternehmen deckt sich nicht mit dem Umgang zu seinen Beschäftigten“, sagt Gewerkschafterin Weinrich-Borg. „Vier Wochen Jahresurlaub, viele zeitliche Befristungen und bei einigen gibt es gerade mal den Mindestlohn – und jetzt die Entlassungen.“

18 der 28 davon Betroffenen, darunter ein Schwerbehinderter, haben beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage eingereicht. Ein Zusammenhang zwischen den Kündigungen zum Jahresende und der Betriebsratswahl sei schwer nachzuweisen, sagt Weinrich-Borg, aber die Anzeichen seien „sehr eindeutig“.

Die Geschäftsführung bestreitet das: „Nach eingehender Prüfung hat das Unternehmen entschieden, sich aus betrieblichen Gründen, wie zum Beispiel Leistungsdefiziten, von 28 Mitarbeitern aus unterschiedlichen Abteilungen mit umgehender Wirkung zu trennen“, sagte ein Goodgame-Sprecher dem Hamburger Abendblatt.

Wahl wird trotzdem vorbereitet

Die Betriebsratswahl bereitet Ver.di trotzdem vor: Für den 19. Januar lädt die Gewerkschaft zu einer Betriebsversammlung ein, um einen Wahlvorstand zu küren. Der zunächst geplante Termin Ende 2015 habe nicht stattfinden können, berichtet die Gewerkschaftern – das Unternehmen konnte keine ausreichend großen Räumlichkeiten zur Verfügung stellen.

Die Verspätung hat unter anderem den Nachteil, dass die Gekündigten an der Betriebsversammlung nicht mehr teilnehmen können; kandidieren allerdings können sie für den Betriebsrat noch: Das Arbeitsgericht hat über die Kündigungen noch nicht abschließend entschieden.

Trotz der Wahlversammlung und den Kündigungen, welche die Goodgame-Selbstdarstellung erschüttern, hält die Geschäftsführung am Widerstand gegen einen Betriebsrat fest. Die Firmengründer Kai und Christian Wawrzinek sollen sich auf einer internen Versammlung als Opfer dargestellt und gefordert haben, niemand solle „Feinde“ von außen unterstützen, die die „Goodgame-Familie zerstören“ wollten.

„Der Arbeitgeber hat argumentiert, ein Betriebsrat sei old-fashioned“, sagt Ver.di-Frau Weinrich-Borg. „Gerade in einer jungen Branche“, mahnt sie, „muss den Beschäftigten klar sein, dass sie ohne die Wahl eines Betriebsrates darauf verzichten, bei wichtigen Anliegen wie Arbeitszeiten oder Kündigungen ein Wörtchen mitzureden.“

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13 Kommentare

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  • Jetzt beginge ich zu verstehen, warum die immer so viele Stellen zu vergeben haben..

  • Das Gefühl dabei zu sein macht satt.

  • Nun ja, das wird sich klären, aber ich frage mich langsam, welcher Mensch freiwillig bei diesen Firmen arbeiten will? -> "eigener Pool im Garten, Freibier am Abend, Öko-Frühstück in der Cafeteria, Events mit Feuerwerk"

    = Du gehörst der Firma, wer eine Scheidung hat, der bekommt Trost in noch mehr Überstunden und eventuell kann die Firma auch bald Plätze auf dem Friedhof reservieren, für die, die alles gaben und nie mehr ein Privatleben hatten. Da steht dann auf dem Grabstein: Er gab alles für uns - die Umsätze werden es ihm ewig danken.

     

    Solche Buden sind einfach Verführung und in Wirklichkeit ungefähr das, was Friedrich Engels in der Schrift die arbeitenden Klassen in Bahrenfeld beschrieb. Wer dann gefeuert wird oder mit Burnout raus muss, der hat dann keien Freunde und keine Familie mehr - der ist durch und kann nach einem Jahr den ALG-II-Antrag abgeben. P.S. Der wird auch kein Begräbnis mehr auf Firmenkosten bekommen, das gibt's nur für Tod im Dienst (IRONIE!)

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Tja, die Herren Unternehmer halten halt nichts von Wirtschaftsdemokratie und von Menschenrechten halt nur dann etwas, wenn es Eigentumsrechte und Gewinnmaximierung betrifft. Bei Arbeitnehmerrechten hört der Spaß dann auf.

  • genau das selbe wie bei star bucks. knochenjob für mindestlohn, und eine firmenphilosophie die sich darüber noch lächerlich macht. naah danke.

  • Die Frage ist, wer wird sich angesichts solcher existenzbedrohender Firmenmethoden noch an der Versammlung und der Wahl des Betriebsrats beteiligen?

     

    Die Trends im zeitgenössischen Kapitalismus nehmen offenbar schon esoterisch-sektiererische Züge an. Die ideologische Verteidigung des kapitalistischen Systems ist ja seit jeher religiös und beruht auf Glaubenssätzen und Dogmen, die durch Mantras in den Medien in die Köpfe der Menschen gepflanzt werden.

     

    Aber scheinbar gilt das auch für die Betriebsführung, da wird ein herzerwärmendes Familien-Feeling verbreitet, während die gewerkschaftliche Verteidigung von Rechten als "bedrohlich" und gar "feindlich" markiert wird.

     

    Kapitalismus ist Krieg, was keine neue Erkenntnis ist. Heute ergänzen die Vorstandsetagen ihre Clausewitz-Lektüre durch esoterische Wohlfühlseminare, um die Mitarbeiter zu binden. Bei der Schaffung eines Scientology-artigen "Wir-"Gefühls, das dazu dient, enge Beziehungen zwischen Chef und Arbeiter herzustellen und die Solidarität zwischen den Arbeitern zu beschädigen, haben "Nestbeschmutzer" wie Gewerkschafter natürlich keinen Platz.

    • @Rudeboy:

      Mich würde es nicht mal wundern, wenn da tatsächlich Scientologen am Werk sind.

    • @Rudeboy:

      Aber es geht hier nicht um die Kapitalisten. Die meisten Großkonzerne haben doch hervorragend aufgestellte und organisierte Betriebsräte. Das Feindbild geht hier völlig fehl, zumal die Realität inzwischen so aussieht dass man als Arbeitnehmer in den klassischen Großkonzernen deutlich besser vertreten wird als im Mittelstand oder in den ach so beliebten jungen innovativen Unternehmen die auf den Markt drängen.

       

      Hier vorsätzlich alle in einen Topf zu schmeißen oder bestimmte Exemplare einfach als repräsentativ für das gesamte System zu definieren bringt einem nur Beifall von den Gläubigen der eigenen Seite, bei allen anderen gibt es nur Kopfschütteln.

      • @Questor:

        Feelgood Management-Light birgt Risiken, wie der Fall Goodgame zeigt. Professionelles Feelgood Management hingegen schafft die Rahmenbedingungen für eine humane Arbeits- und Feelgood Kultur im Unternehmen, in der die Bedürfnisse der Mitarbeiter proaktiv wahrgenommen werden. Erfolgsentscheidend für die Implementierung ist die aktive Unterstützung der Geschäftsführung - zeitlich wie monetär. Beispiele von Firmen, die auf professionelles Feelgood Management setzen gibt es hier: http://www.goodplace.org/blog/ein-bisschen-feelgood-management-und-die-unberechenbaren-folgen/

      • @Questor:

        Leider erschließt sich mir nicht, was Ihr kritischer Einwand mit den Argumenten in meinem vorherigen Posting zu tun hat...

         

        Zu Ihrem Posting: Zweifellos hat es mit dem Kapitalismus zu tun, denn dieser besteht ja nicht nur aus "Großkonzernen". Die Größe des Betriebes ist eigentlich unerheblich, es kommt vor allem darauf an, wie der Betrieb funktioniert, welche Strukturen und Eigentumsverhältnisse die Firma hat. Und da zeigt sich, dass egal ob Großkonzern oder Kleinbetrieb oder innovatives Startup alle diese Firmen kapitalistisch funktionieren. Die Produktionsmittel liegen in privaten Händen und ihr Zweck ist allein die Profitmaximierung.

         

        Außerdem ist es unwahr, pauschal zu behaupten, dass "Großkonzerne" über "hervorragend aufgestellte und organisierte Betriebsräte" verfügen. Die Tendenz geht seit vielen Jahren zur Beseitigung von Gewerkschaften.

    • 2G
      27741 (Profil gelöscht)
      @Rudeboy:

      Genau deswegen sollten sich jedem Arbeitnehmer heutzutage die Haare sträuben, wenn sein Chef davon faselt, dass alle Mitarbeiter eine große Familie sind. Dann ist Vorsicht geboten.

      • @27741 (Profil gelöscht):

        Weil ja alle Chefs gleich sind....

         

        He - wir hatten gestern nen Bericht über nen kriminellen Ausländer. Sind die jetzt alle kriminell?

        Oh halt, Chef ist ja keine Ethnie - da sind dümmliche Verallgemeinerungen

        natürlich zulässig.

         

        Aber vielleicht ist das ein gutes Beispiel dafür das diese ganze Start-up-Internet-Szene per se nicht besser ist nur weil Google Kitaplätze hat und das ganze gehypte Image nicht ganz so staubig wie der klassische 8-Stunden Tag ist.

        • @Thomas_Ba_Wü:

          Die Gesetze der Marktwirtschaft gelten letztlich für alle Chefs. Und werden auch, spätestens in Krisenzeiten, angewandt. Es sei denn, das Unternehmen soll tatsächlich vor die Wand gefahren werden.

           

          Primäres Machtgefälle und der basale Interessengegensatz von Kapital und Arbeit lassen sich nicht durch Gefasel von einer "Familie Unternehmen" aufheben. Wo so geredet wird, soll lediglich der Betriebsfrieden zugunsten der ArbeitgeberInnen-Seite gewahrt werden.