Asylpolitik in Deutschland: Die nächste Krise kommt bestimmt
Die Regierung streitet weiter über ihre Asylpolitik. Soll Deutschland einer umstrittenen „Krisenverordnung“ zustimmen?
Grünen-Parteichef Omid Nouripour antwortete nur wenige Stunden später bei seiner Pressekonferenz, die Grünen hätten gezeigt, dass sie bereit seien, über „ihren eigenen Schatten zu springen“. Zugleich bat er, zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukehren. „Es gibt auch für eine Partei, die um die Fünf-Prozent-Hürde kämpft keine Entschuldigung, wenn man die Grenze des Anstands verlässt“, sagte Nouripour an die Adresse des FDP-Generalsekretärs gerichtet.
Nouripour betonte auch, dass die „Krisenverordnung“, über die derzeit in Brüssel verhandelt wird, nicht Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sei und von den Grünen in ihrer jetzigen Form abgelehnt werde. „Das ist nicht sinnvoll und hilft in der jetzigen Situation nicht.“
Außenministerin Annalena Baerbock warb am Montagmorgen im Deutschlandfunk vehement für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS). Darauf warte Europa seit zehn Jahren, sagte die Grünen-Politikerin. An den Außengrenzen müssten klare Regeln geschaffen werden, „damit endlich Menschen geordnet in Europa verteilt werden“, sagte sie. Sie arbeite gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „hart“ daran, „dass wir in Europa endlich zu gemeinsamen Regelungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen“. Bis Jahresende solle eine Lösung gefunden werden.
Baerbock: Regeln könnten „chaotisiert“ werden
Im Juni hatten sich die Innenministerinnen und Innenminister der EU auf eine Reform des bisherigen Asylsystems geeinigt. Damit soll es an den EU-Außengrenzen in Zukunft umstrittene Schnellverfahren geben, die regulären Asylverfahren vorgeschaltet werden. Die Reform soll außerdem raschere Abschiebungen erlauben. Bevor es in Kraft treten kann, müssen aber erst noch das EU-Parlament und die EU-Kommission dem Asylsystem zustimmen. Das EU-Parlament hat in der vergangenen Woche die Verhandlungen ausgesetzt, weil es noch Streitpunkte gibt.
Scharf wendet sich Baerbock gegen die geforderte „Krisenverordnung“. Es könne nicht sein, dass dadurch die anderen Regelungen wieder „chaotisiert“ würden, sagte Baerbock. In einer Krise brauche es klare Regeln: gerade dann dürfe nicht jedes Land an der Außengrenze machen, was es wolle. Baerbock fürchtet, dass die Standards für Schutzsuchende per „Krisenverordnung“ massiv herabgesetzt werden könnten. Im Falle einer Krise sollen laut Entwurf längere Fristen gelten, um Asylsuchende zu registrieren, und die Standards bei Unterbringung und Versorgung sollen abgesenkt werden können.
Auf der Plattform X, ehemals Twitter, warnte Baerbock zudem, die Krisenverordnung würde einzelnen Staaten im Krisenfall einen zu großen Ermessensspielraum einräumen und damit de facto wieder Anreize schaffen, um große Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland weiterzuleiten.
Habeck: „Moralisch schwierige Entscheidungen treffen“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Wochenende erklärt, um das Recht auf Asyl zu schützen, „müssen wir die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen – auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen.“ Er bezog sich dabei auf die Zustimmung zum Gemeinsamem Europäischen Asylsystem, das unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vorsieht. Das „war schwierig für viele Grüne“, sagte Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Zugleich sprach sich Habeck für mehr Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern aus. Diese müssten Anreize haben, durchreisende Menschen zu halten, sagte Habeck am Samstag auf einem Grünen-Landesparteitag im schleswig-holsteinischen Neumünster. Anschließend könnten Menschen aus diesen Ländern gesteuert nach Europa und nach Deutschland geholt werden. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass diese Länder – nach dem Motto „Geld gegen Gewalt“ – die Menschen mit totaler Gewalt zurückführten.
In der kommenden Woche treffen sich die Justiz- und Innenminister der EU in Brüssel. Dort wollen sie auch über die Migrationspolitik sprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW