Asylbewerberleistungsgesetz: Grüne helfen bei Verschärfung

Die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen stimmen für das umstrittene Groko-Gesetz – und blamieren die Bundespartei. Die Basis protestiert.

Winfried Kretschmann (l-r, Bündnis90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, auf einer Pressekonferenz.

Winfried Kretschmann (links) sieht die Dinge manchmal anders als seine ParteifreundInnen Foto: dpa

BERLIN taz | Die Grünen hatten sich im Bund stets klar gegen die drohende Asylrechtsverschärfung positioniert. Sven Lehmann, der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, nannte das Gesetz vor gut drei Wochen eine „Schikane von Asylsuchenden“. Die Bundesregierung erkläre Zimmernachbarn in Gemeinschaftsunterkünften zu einer „Zwangsgemeinschaft, um deren Leistungsanspruch künstlich abzusenken“, sagte Lehmann.

Doch der Protest half nichts, genau so ist es nun gekommen. Der Bundesrat hat am Freitag das umstrittene Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Peinlich für die Grünen ist, dass ihre eigenen Ländervertreter der Großen Koalition über die Hürde geholfen haben. Baden-Württemberg und Hessen votierten für das zustimmungspflichtige Gesetz und sicherten der Großen Koalition die Mehrheit. In Baden-Württemberg regiert Winfried Kretschmann in einer grün-schwarzen Koalition, Hessen wird von einem schwarz-grünen Bündnis regiert.

Das Asylbewerberleistungsgesetz war Teil eines großen Migrationspakets, zu dem unter anderem auch das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz von Innenminister Horst Seehofer (CSU) gehört. Es enthält Verbesserungen für AsylbewerberInnen, aber auch relevante Verschärfungen.

So werden zum Beispiel die Zuwendungen für in Sammelunterkünften untergebrachte Menschen um zehn Prozent gekürzt. Das Argument der Regierung: Da sie als Einzelpersonen mit anderen AsylbewerberInnen zusammenlebten, könnten sie Wohnraum und Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen und hätten weniger Ausgaben.

Wildfremde als Bedarfsgemeinschaft

Wildfremde Menschen werden also wie eine Art Bedarfsgemeinschaft behandelt. Für die Betroffenen ist diese Sparmaßnahme hart, da AsylbewerberInnen jetzt schon weniger Geld bekommen als Hartz-IV-EmpfängerInnen. Ihre Leistungen liegen also faktisch unter dem Existenzminimum. „Die Kür­zun­gen sind nicht zu recht­fer­ti­gen“, urteilte etwa die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. „Schon jetzt sind die Beträ­ge auf das Äußers­te redu­ziert.“

Grünen-Chefin Annalena Baerbock machte am Montag deutlich, dass sie das Abstimmungsverhalten Baden-Württembergs und Hessens nicht gut heißt. Die Leistungssenkung in Sammelunterkünften sei verfassungsrechtlich höchst problematisch, sagte sie. Der Grünen-Vorstand, die Bundestagsfraktion und die Mehrheit der Länder-Grünen seien sich einig, dem Gesetz nicht zuzustimmen. „Die Länder Hessen und Baden-Württemberg haben das anders entschieden“, sagte Baerbock. Diese Entscheidung sei „in letzter Minute“ gefallen. Heißt übersetzt: Die Parteispitze wurde kalt erwischt.

Mit ihrem Votum im Bundesrat konterkarierten die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen nicht nur die gängige Parteilinie. Sie schlugen auch einen Rat in den Wind, den der Bundesratsausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik gegeben hatte. Jener hatte im Vorfeld empfohlen, das Gesetz „grundlegend“ zu überarbeiten.

„Die Annahme, beim Zusammenleben fremder erwachsener Menschen in Gemeinschaftsunterkünften ergäben sich im Alltagsleben Synergieeffekte, die der Situation einer ehelichen […] Bedarfsgemeinschaft entsprächen […], entbehrt jeder empirischen Grundlage“, argumentierte der Ausschuss. Und: Bei Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Sprache und sozialen Hintergründen sei gemeinschaftliches Wirtschaften nicht nur unrealistisch, sondern auch geeignet, mehr Konfliktpotential in Unterkünften zu schaffen. Vorsitzender des Ausschusses ist Hessens Sozialminister Kai Klose, ein Grüner.

„Handlanger Seehofers“

ExpertInnen aus der Grünen-Basis protestierten scharf gegen das Ja im Bundesrat. Svenja Borgschulte ist die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht. Die BAGs sind innerparteiliche Thinktanks, die unterschiedliche Themen bearbeiten. Borgschulte verschickte einen Brandbrief, der der taz vorliegt, an die beiden Landesverbände und die Bundesvorsitzenden.

Mit ihrer Zustimmung hätten sich Baden-Württemberg und Hessen „zum Handlanger der Groko und Seehofers menschenverachtender Politik gemacht“, schreibt Borgschulte darin. Das Zustimmungshoch der Grünen basiere auch auf progressiver Asyl- und Flüchtlingspolitik. Ein paar wenige hätten die Glaubwürdigkeit der Partei aufs Spiel gesetzt und Fakten geschaffen, „die mit unseren Werten nicht vertretbar sind“. Die Hoffnung, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufe, habe sich dank Baden-Württemberg und Hessen zerschlagen.

Baerbock verwies auf Verbesserungen in dem Gesetz, für die die Grünen lange gekämpft hätten. So steigen etwa die Leistungen für Kinder im Schulalter. Außerdem schließe das Gesetz eine Lücke in der Bafög-Förderung, betonte Baerbock. Asylbewerber, die ein Studium oder eine Berufsausbildung absolvieren, konnten bisher ab einem bestimmten Zeitpunkt ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern. Sie sollen in Zukunft aufgefangen werden. Baerbock sagte, dass man im Bundesrat oft die „Wahl zwischen Pest und Cholera“ habe. Das Paket habe überfällige Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen enthalten.

Kurz: Die Parteichefin mühte sich, den Schaden zu begrenzen. Vielen Grünen stieß die überraschende Entscheidung der beiden Länder dennoch sauer auf. „Ärgerlich“ nannte sie ein wichtiger Grüner eines anderen Landesverbandes. Die Bereitschaft, wegen der Asylrechtspolitik in den Konflikt zu gehen, sei leider „unterschiedlich ausgeprägt“.

Innergrüne Irritationen

Auch in Baden-Württemberg gab es innergrüne Irritationen. Der Landesvorstand hatte sich nach taz-Informationen vor der Bundesratssitzung bei Kretschmanns Staatsministerium erkundigt, was von der Abstimmung zu erwarten sei. Wie die Gespräche im Wortlaut liefen, ist unklar. Aber bei der Landespartei ging man danach davon aus, dass in dem Migrationspaket kein einziges Gesetz zustimmungspflichtig sei – und höchstens eine Verweisung in den Vermittlungsausschuss, also eine Verschiebung, möglich gewesen wäre. Die Gründe für die Kommunikationspanne müsse man erst recherchieren, hieß es im Landesverband.

Das heißt: Nicht einmal die Landesgrünen in Baden-Württemberg waren rechtzeitig vorgewarnt, dass Kretschmanns Regierung dem umstrittenen Gesetz der Groko zustimmt.

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