Asylbewerberleistungsgesetz: Landesgrüne verteidigen ihr Ja
Grüne aus Baden-Württemberg und Hessen verweisen auf Verbesserungen in umstrittenem Gesetz. Pro Asyl kritisiert sie als „Steigbügelhalter“ Seehofers.
Die von Grünen mitregierten Länder Baden-Württemberg und Hessen hatten am Freitag im Bundesrat dem umstrittenen Asylbewerberleistungsgesetz der Groko zugestimmt. Im Bund lehnen die Grünen das Gesetz strikt ab, auch andere von Grünen mitregierte Länder stimmten dagegen. Baden-Württemberg und Hessen brachen also mit der gängigen Parteilinie (die taz berichtete).
Besonders ein Punkt wird von den meisten Grünen scharf kritisiert: Das Gesetz kürzt die Zuwendungen für in Sammelunterkünften untergebrachte Asylbewerber um zehn Prozent. Sie könnten Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen, so das Argument. Wildfremde Menschen unterschiedlicher Nationalität, Herkunft und Sprache werden also wie eheliche Bedarfsgemeinschaften behandelt. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte dies am Montag als „verfassungsrechtlich problematisch“ bezeichnet.
Gleichzeitig sieht das Gesetz aber Verbesserungen vor. So standen bisher Asylbewerber, die ein Studium oder eine Berufsausbildung absolvieren, ab einem bestimmten Zeitpunkt ohne Unterstützung da. Dies wird nun geändert. Auch Hessens Grünen-Chefin Sigrid Erfurth verwies auf diese Reform. „Dies ist eine wichtige Neuerung, die es Geflüchteten ermöglicht, so früh wie möglich ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen“, sagte sie.
„Streit auf Rücken der Betroffenen ausfechten?“
Außerdem werden die Leistungen für viele Asylbewerber angehoben. Die Koalition setzt damit etwas um, was das Verfassungsgericht schon vor Jahren angemahnt hatte. „Die vom Verfassungsgericht geforderten Erhöhungen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend der aktuellen Verbrauchsstichprobe konnten nur durch eine Verabschiedung des Gesetzes durchgesetzt werden“, sagte Erfurth weiter. „Davon werden insbesondere Familien mit Kindern profitieren.“
Ratzmann argumentierte, dass Asylbewerber im Falle einer Blockade im Bundesrat weiter mit zu niedrigen, de facto verfassungswidrigen Leistungen hätten leben müssen. „Durften wir diesen politischen Streit noch weiter auf dem Rücken der Betroffenen ausfechten?“ Das sei umstritten gewesen. „Ich finde nein.“
Am Ende geht es um eine Abwägung. Die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen finden die Verbesserungen in dem Gesetz wichtiger als die Verschlechterungen. Die allermeisten Grünen sehen es anders. Auch die Regierungsbündnisse spielen eine Rolle. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann regiert in einer grün-schwarzen Koalition, Hessen wird von einem schwarz-grünen Bündnis regiert. Die CDU fährt bekanntlich eine rigidere Linie in der Flüchtlingspolitik als die Grünen.
Scharfe Kritik von Pro Asyl
Die Hessin Sigrid Erfurth räumte ein, Probleme mit den Kürzungen in Sammelunterkünften zu haben. „Die Leistungseinschränkungen für alleinstehende Asylsuchende in Gemeinschaftsunterkünften sehen wir hingegen kritisch und halten sie sogar für verfassungsrechtlich bedenklich.“ Die Kürzungen seien „realitätsfern und unangemessen.“ Hessens Grüne haben also einem Gesetz zur Mehrheit verholfen, das sie in Teilen für verfassungsrechtlich bedenklich halten.
Bei vielen Grünen kam das Ja von Baden-Württemberg und Hessen schlecht an. „Chance verpasst, auf Humanität zu setzen“, twitterte die niedersächsische Fraktionsvorsitzende Anja Piel. Parteichefin Baerbock hatte sich am Montag um Schadensbegrenzung bemüht und betont: Der Grünen-Vorstand, die Bundestagsfraktion und die Mehrheit der Länder-Grünen seien sich einig, dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Scharfe Kritik kam von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. „Die Grünen in Baden-Württemberg und Hessen haben sich zu Steigbügelhaltern für Seehofers Ausgrenzungspolitik gemacht“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt der taz. Hätten sich ihre Regierungen im Bundesrat enthalten, hätte man wertvolle Zeit gewonnen. „Dann hätten die drastischen Verschärfungen im Vermittlungsausschuss in Ruhe und Abwägung aller Argumente beraten werden können.“ Stattdessen hätten die Grünen das Gesetz aktiv beschlossen – und die Debatte beendet.
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