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Artenschutzabkommen von MontrealKlimawandel und Artensterben

Ziel 8 von 23 des neuen Abkommens ist der Klimaschutz. Denn nur wenn man beide Krisen zusammen angeht, gibt es die Chance, dass sich etwas verändert.

Erneuerbare Energien durch Windkraft vs. Vogelsterben: Klima- und Artenschutz gehören zusammen Foto: H. Duty/imago

Berlin taz | Auf ihren Schildern sind Vögel und durchgestrichene Windräder zu sehen: An vielen Orten Deutschlands gibt es Initiativen, die verhindern wollen, dass in ihrer Nähe Strom aus Windenergie produziert wird. Die Begründung lautet oft: Die Rotorblätter der Windräder sind eine Gefahr für Vögel – und damit für den Artenschutz.

Kann es gelingen, nur eine von zwei planetaren Großkrisen aufzuhalten, die Klima­krise oder das Massenaussterben der Arten? Beides wäre dramatisch, denn beide Krisen haben das Potenzial, die Menschheit zu gefährden. Das neue Artenschutzabkommen von Montreal soll die Krisenherde zusammenbringen. Ziel 8 von 23 ist der Klimaschutz. „In die Natur zu investieren bedeutet auch, den Klimawandel zu bekämpfen“, freute sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Montag.

So sehen das auch der Weltklimarat IPCC und der Weltbiodiversitätsrat IPBES. Die beiden Gremien bestehen aus den führenden Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in aller Welt und sammeln regelmäßig den Wissensstand der Menschheit zu ihren Fachbereichen. Im vergangenen Jahr legten sie erstmals einen gemeinsamen Bericht vor. Das Ergebnis: Klimawandel und Artensterben sind „Zwillingskrisen“, gehören zusammen.

Die Welt steht vor dem sechsten Massenaussterben – und zwar durch Kahlschlag und Klimakrise. Lebensräume vernichtet der Mensch nicht nur mit der Kettensäge, sondern auch durch seine Treibhausgase. Es wird heißer, an vielen Orten auch trockener. Brände, Stürme und Überschwemmungen zerstören nicht nur die Häuser und Straßen der Menschen, sondern auch Wälder und Landschaften. Manch eine Art kann sich anpassen. Viele nicht. Zu etwa 15 Prozent trägt der Klimawandel zum aktuell erkennbaren Verlust der biologischen Vielfalt bei, er ist damit der drittwichtigste Faktor nach dem Roden der Regenwälder sowie der Wilderei.

Gesunde Lebensräume sind auch fürs Klima gut

Die Feststellung der Zwillingskrisen bedeutet aber auch: Man kann keines der beiden Probleme erfolgreich lösen, wenn man nicht beide zusammen angeht.

Aktuell ist die Welt schon um 1,2 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Die Marke von 1,5 Grad Erderhitzung könnte schon in den kommenden Jahren erstmals temporär geknackt werden. Das dauerhafte Überschreiten dieser Grenze wird derzeit für die frühen dreißiger Jahre prognostiziert. Soll es danach nicht weiter nach oben gehen, müssen die CO2-Emissionen weltweit noch vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen und sich bis 2030 praktisch halbieren. Zur Hälfte des Jahrhunderts soll dann die Klimaneutralität herrschen. Nur: Bislang ist das nicht in Sicht. Auch in diesem Jahr sind die CO2-Emissionen erneut gestiegen.

IPBES und IPCC mahnten im vergangenen Jahr zusammen an: Mehr Fokus als bisher sollte auf naturbasiertem Klimaschutz liegen. Gesunde Lebensräume, wie sie der Artenschutz traditionell verfolgt, sind schließlich auch fürs Klima gut: Böden und Wälder binden Kohlenstoff, der dann nicht mehr als Kohlendioxid die Atmosphäre aufheizt. Die Zwillingskrisen haben also auch Zwillingslösungen.

Auch für die Windräder, die für die Energiewende zentral sind, gibt es Hoffnung. Sie sind für den Erhalt der Arten nämlich gar nicht schlechter als viele andere Bestandteile des Alltags. Deutlich mehr Vögel sterben durch Kollision mit Glasscheiben, Autos und Stromleitungen. Und die allergrößten mit dem Menschen verbundenen Vogelkiller sind selbst Teil der Artenvielfalt: Nach Schätzungen des Nabu fressen deutsche Hauskatzen zwischen 20 und 100 Millio­nen Vögel.

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12 Kommentare

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  • Ein guter Artikel.



    Schön auch, dass hier verdeutlicht wird, dass Fensterscheiben für deutlich höhere Zahlen beim Vogelsterben sorgen, als Windkraftanlagen.



    100.000 tote Vögel durch die Rotoren stehen hier 100 Millionen toten Vögeln durch Glasscheiben gegenüber(Zahlen für Deutschland).



    Die Zahlen sind vom NaBu, daher halte ich sie für recht zutreffend. Der Nabu verweist allerdings auch auf eine schwierige Datenlage. Allerdings ist der Abstand der Schäden schon deutlich.



    Zudem setzt sich der NaBu auch für die richtige Standortwahl ein.



    Das Alles ist richtig und wir sollten auch alles Mögliche tun ( Abschaltungszeiten, abschreckende Schallwellen etc.) um so wenig Vögel wie möglich zu töten.



    Aber ohne Windkraft gelingt ein Einstieg in überwiegend Erbeuerbare nicht.

  • Es klingt immer "furchtbar" wissenschaftlich, wenn vom drittwichtigsten Faktor die Rede ist. So als ließen sich Zusammenhänge quantifizieren. Wenn vom Artensterben in Deutschland (eigentlich in ganz Europa) die Rede ist, dann sind 3 Ursachen herausragend: der flächendeckende Einsatz von Pestiziden und anderen Giften, die einhergehen mit der industriellen Land- und Forstwirtschaft, sowie der Flächenfraß und die Zerstörung von Lebensraum. Man/frau muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass zwei Drittel aller höheren Lebensformen aus Insekten bestehen, die die Grundlage für das ökologische Netz darstellen. Und gerade in diesem Bereich finden die dramatischsten Verluste statt. Wenn die Autorin von der Wilderei spricht, dann ist das allemal ehrenwert, betrifft aber "nur" einige charismatische Arten an der Spitze der Nahrungskette. D.h. wenn es nicht gelingt, "unser" Wirtschaftssystem zu maximaler Nachhaltigkeit umzubauen und Land- und Forstwirtschaft völlig neu zu konzipieren, dann werden leider auch keine 30% Schutzgebiete helfen. Es ist zum Greifen: in einem Land wie Deutschland ist die "konventionelle" Landwirtschaft Artenkiller Nr. 1 und im hochgelobten Schweden die industrielle Forstwirtschaft. Fatalerweise haben Wohlstandsländer wie Deutschland und Schweden ihre Praktiken inzwischen in alle Himmelsrichtungen exportiert.

    • @Berndt Fischer:

      Stimme dir voll zu! Und es gibt viele Länder auf dieser Welt in denen dieser Zusammenhang noch nicht einmal nennenswert diskutiert wird.

  • Wenn man ehrlich ist, ist der Artenschutz doch immer nur solange wichtig, bis es wirtschaftliche Nachteile dadurch gibt. Solange die Politik immer den Fokus auf die Wirtschaft legt, wird es niemals ernst gemeinten Klima-, Umwelt- oder Artenschutz geben.

  • Artensterben hat vor allem mit dem Verbrauch von Landschaft/Natur zu tun. Ergo spielt dabei u.a. auch eine Rolle, dass sich seit den 70ern die Weltbevölkerung verdoppelt hat. Hinzu kommen die illegale industrielle Abholzung von Regenwäldern in Afrika (auch durch China) und Südamerika. Das sind Dinge, die wir hier nicht kontrollieren können, sondern nur unsere eigenen "Sünden". Artenschutz und Klimaschutz können sich jedoch auch gegenseitig behindern, wie AXEL DONNING (unten) dargestellt hat. Ich wäre also vorsichtig mit solchen Verknüpfungen. Im übrigen ist die USA einmal wieder außen vor - für die gibt es anscheinend keine "Weltgemeinschaft".

  • Ja, ich stimme den meisten Aussagen zu, stelle aber sehr entsetzt fest, dass auch hier in der TAZ mit unzulässig vereinfachten Aussagen gearbeitet wird: Die Biologen, die sich mit dem Thema "Windkraft und Artenschutz" befassen, müssen ständig in ihren Tisch beissen. Der Vergleich mit den Hauskatzen, die mehr Vögel töten oder die Stromleitungen , an denen mehr Vögel verunglücken etc. tragen dazu bei, den Preis für den Ausbau der Windkraft für bestimmte, (sich nicht stark reproduzierende) Arten unter den Vögeln und für die sich sehr langsam reproduzierenden Fledermäuse zu verschleiern. Das wiederum führt nicht etwa dazu, dass die Akzeptanz für Windkraft steigt, sondern dazu, dass keine Maßnahmen zum Schutz der Fledermäuse und Vögel mehr getroffen werden müssen. Das ist nicht gut für den Ausbau der Windkraft, sondern für die Betreiber, die noch mehr Geld verdienen, wenn keine Auflagen mehr gefordert werden (z.B. fledermausfreundliche Betriebsalgorithmen). Die Betreiberverbände lobbyieren sehr erfolgreich mit den oben erwähnten, undifferenzierten Vergleichen (Glasscheiben, Stromleitungen, Hauskatzen etc.); ich wünschte mir, dass die TAZ so etwas nicht einfach übernimmt.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Axel Donning:

      Bis zu welcher Höhe über Grund fliegen Fledermäuse? (Keine Scherzfrage. Es interessiert mich wirklich.)

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Also wir (also unser Ökologenbüro) erfassen akustisch teils Fledermäuse in Nabenhöhe auf ca. 120 m - 150 m Höhe, wobei wir nicht ganz genau wissen, wo die Tiere tatsächlich fliegen, da unsere Mikrofone nach unten zeigen. Deren Reichweiten sind aber für hoch und leise rufende Arten sehr begrenzt. Zudem gibt es Wärmebildaufnahmen von Fledermäusen in Gondelhöhe. Wir selbst haben an der Gondel (120 m Höhe) Schwärm- und Erkundungsverhalten von Zwergfledermäusen festgestellt. Die hohen Flughöhen sind übrigens keine Ausnahmeerscheinung.

        In Südamerika wurden mittels Radaraufnahmen noch wesentlich höhere Flughöhen für eine Art ermittelt.

        • 9G
          95820 (Profil gelöscht)
          @Axel Donning:

          Danke für die Informationen.



          Dann ist ja wirklich zu befürchten, dass die Fledermäuse die Erkennung der Rotorblätter durch ihr eigenes Ultraschallsystem falsch deuten und für Insektenschwärme halten.



          Und - Bleiben Sie romantisch.

          • @95820 (Profil gelöscht):

            Danke! Nur kurz zur Klarstellung: Die Rotoren werden nicht für Insektenschwärme gehalten - sie sind einfach zu schnell, als das die Fledermäuse ausweichen könnten. Möglicherweise werden Insekten durch die Wärme, die WKA nachts ausstrahlen angelockt, was wiederum die Fledermäuse anlockt. Zu einem recht großen Teil haben die Fledermäuse gar keinen Kontakt zu den Rotoren, sondern der Unterdruck in der Umgebung der Rotoren bringt ganz ohne direkten Kontakt die Lunge der Tiere zum Platzen. Bisher wurde das Problem durch Abschaltzeiten zu bestimmten Nachtzeiten und zu bestimmten Jahreszeiten gelöst. Im Extremfall konnte auch mal eine einzelne Anlage wegfallen.

      • @95820 (Profil gelöscht):

        So hoch wie die Insekten fliegen, die sie jagen. Wenn Regen kommt eher tiefer...bei Hochdruck und warmen Temperaturen entsprechend höher.

        Ich glaube die zukünftige Lösung für das Problem sind intelligente Systeme, die das Tier in der Gefahrenzone identifizieren, lokalisieren und dann gezielt vergrämen. Aufkleber für Glasscheiben, ein Glöcken für freistreunende Katzen, Ultraschall gegen Fledermäuse ? Optisches oder akustisches Vergrämen von Rotmilan & Co.

        Manche Mönche legen sich morgens die Sandalen auf den Kopf und halten einen Moment inne, bevor sie sich auf den Weg machen. Sie wissen, dass sie es nicht vermeiden können, auf ihrem Weg das eine oder andere Getier zu zertreten.

        Die Windkraft, als ein sehr wichtiger Baustein der CO2-Neutralität, ist viel zu wichtig, um sich durch Rotmilan und romantische Biologen ausbremsen zu lassen. Ein Verbot von z.B. Insektengiften würde der Vogel- und Fledermaus-Welt wesentlich besser helfen. Denn was macht ein Rotmilan, wenn er in 20-30 Jahren über einer Wüste kreisen müßte...

        • @Matthias Schürle:

          Was den ersten Teil der Aussage anbelangt: Leider stecken derartige Systeme noch in den Kinderschuhen. Vergrämen führt dann eben auch zu einer Vergrämung aus den lebensnotwendigen Nahrungshabitaten.

          Was den zweiten Teil angeht: Den Biologen "Romantik" vorzuwerfen ist steil: Gute Biologen sind nämlich das Gegenteil davon. Sie verstehen im Gegensatz zu den anderen, welche Funktion große Populationen von Fledermäusen und Greifvögeln für Ökosysteme aufweisen, die wiederum für den Klimaschutz unerlässlich sind. Hier wird leider die Ökologie nicht verstanden. Zudem wäre ein für Natur- und Artenschutz verträglicher Ausbau bis gestern noch möglich gewesen: Seit gestern ist aber der EU weite Vorrang der Windenergie gegenüber dem Natur- und Artenschutz festgelegt, was dann verhindern dürfte, dass die jeweils 2% der Landesflächen in Deutschland, welche für WKA reserviert werden sollte, nach dem Kriterium der Naturverträglichkeit ausgesucht wird. Was Ackergifte etc. anbelangt: Klar, das die ebenfalls weg müssen. Aber das ist mal wieder zu einfach gedacht: Man darf bei Arten mit geringer Reproduktionsrate nicht zu viele Individuen töten. Selbst wenn Ackergifte weg sind, gilt das noch; zumal auch dann die Reproduktionsrate hoch genug, und die Mortalität niedrig sein muss. Ach was sind wir Biologen romantisch!