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Linksparteitag in HalleDer große Knall bleibt vorerst aus

Auf ihrem Bundesparteitag in Halle hat sich die Linke nach langem Ringen hinter den Kulissen auf einen Kompromiss im Nahost-Streit verständigt.

Die Delegierten auf dem Linksparteitag in Halle brauchen eine gute Kondition: Getagt wird bis tief in die Nacht Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Halle (Saale) taz | „Die Stimmung ist angenehm, ich bin überrascht“, sagt eine Genossin, dann beißt sie vor der Messehalle in Halle an der Saale beherzt in ihre Bockwurst. In der Stadt in Sachsen-Anhalt findet bis Sonntag der Bundesparteitag der Linkspartei statt. „Angenehm“ – dieses Wort hätten die meisten Linken-Mitglieder wohl vorab nicht zur Beschreibung des Events auf ihre Bingo-Karte geschrieben. Die Partei kämpft gegen den Fall in die Bedeutungslosigkeit, das Treffen in Halle gilt vielen als letzter verzweifelter Versuch der Erneuerung.

Und doch war die Stimmung am Freitagnachmittag nicht panisch, sondern zunächst ungewöhnlich zuversichtlich. „In der Vergangenheit haben wir uns immer so beharkt, das ist unser Problem“, meint eine Delegierte aus Nordrhein-Westfalen. Das sei jetzt nach der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihres Anhangs anders.

Die Abspaltung des BSW hätte nicht verhindert werden können, hatte zuvor die scheidende Parteivorsitzende Janine Wissler in ihrer Abschiedsrede vor den 470 anwesenden Delegierten gesagt. „Es musste diese Trennung geben“, so Wissler. Es sei „richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind“. Denn eine linke Partei dürfe „sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“. Die dramatische Rechtsverschiebung derzeit fühle sich an wie ein „AfD-Look-Alike-Contest“.

Die Linke müsse eine Partei der klaren Haltung in Fragen von Asyl und Menschenrechten sein, sich der Rechtsentwicklung entgegenstellen und sich dem Aufrüstungskurs verweigern, so Wissler. Wie am Donnerstag bekannt geworden war, unterstützt sie als erste Parteivorsitzende die Initiative für ein AfD-Verbotsverfahren im Bundestag.

Die 43-jährige Hessin steht seit 2021 der Partei vor, seit 2022 zusammen mit dem 49-jährigen Berliner EU-Abgeordneten Martin Schirdewan. Beide treten nicht erneut zur Wahl an. „Es ist nicht immer leicht und auch nicht nur eine Freude, Parteivorsitzende der Linken zu sein, aber es war mir immer eine Ehre“, sagte Wissler am Ende ihrer Rede.

Mit stehendem Applaus wurde sie verabschiedet. Ihr und Schirdewan werden nun voraussichtlich die 35-jährige Berliner Publizistin Ines Schwerdtner und der 63-jährige Hamburger Ex-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken nachfolgen. Am frühen Samstagnachmittag stellen sich die beiden den Delegierten zur Wahl.

Nahost-Debatte endet mit Kompromiss

Die anschließende Generaldebatte am Freitag war eine Aneinanderreihung aktueller linker Diskussionen – manchmal versöhnlich, manchmal fragend, manchmal wütend. Themen waren die Rente, der Kampf gegen steigende Mieten, die Rechtsverschiebung, das Desaster bei den letzten Landtagswahlen und immer wieder der Krieg. Jener in der Ukraine und vor allem der in Gaza, Israel und Libanon.

Erst am vergangenen Wochenende führte im Berliner Landesverband eine Debatte über linken Antisemitismus zum Eklat. Nicht unberechtigt war die Angst groß, dass der Streit um den richtigen Umgang mit dem Nahostkonflikt auch den Bundesparteitag sprengen könnte. Auf den Fluren und in Hinterzimmern wurde fieberhaft um eine Lösung gerungen, mit der so viele wie möglich in der Partei leben können. Und tatsächlich gelang am späten Freitagabend das Wunder.

Der designierte Vorsitzende Jan van Aken präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee. Israel und Palästina hätten „ein Recht auf Selbstbestimmung und auf Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals Terror und Kriegsverbrechen.

Die Kernbotschaft: „Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den israelischen, palästinensischen und libanesischen Opfern.“ Eine weitere Kernbotschaft: „Als Linke stehen wir gemeinsam und entschieden gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus – unabhängig davon, von welcher politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht.“

„Wir haben damit den Nahostkonflikt nicht gelöst“, sagte van Aken in der Debatte. Aber zumindest konnte eine gefährliche Bombe für den Parteitag entschärft werden. „Wir sind als Partei wirklich einen großen Schritt weitergekommen“, zeigte er sich zufrieden. Der Antrag wurde mit nur wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen beschlossen. Erleichterung war in vielen Gesichtern zu sehen, als um 22:36 Uhr der Themenkomplex ohne Knall abgeschlossen war.

Erste Highlights des Parteitages

Eindringlich gegen Antisemitismus und Rassismus hatte sich bereits am frühen Freitagabend Ismet Tekin in einer berührenden Gastrede ausgesprochen, einer der Überlebenden des antisemitischen Anschlags von Halle vor fünf Jahren. „Egal woher wir kommen, wir alle haben die Pflicht, für die Menschlichkeit einzustehen“, sagte er unter großem Beifall. „Wir sind alle dafür verantwortlich.“

Ein Highlight am Freitagnachmittag war die Ankunft Bodo Ramelows, des ersten und einzigen linken Ministerpräsidenten. Er war direkt von einer Bundesratssitzung aus Berlin angereist. „Ich wünsche uns die notwendige Kraft, uns neu zu sortieren“, sagte Thüringens Nochregierungschef in seiner 18-minütigen Rede.

Es gehe ihm „auf die Ketten, wie wir uns mit uns selber beschäftigen“. Er habe auch „keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten“. Da müssten klare Grenzen gezogen werden, forderte Ramelow. Trotzdem sei er „froh ein Linker zu sein“ und „stolz darauf, mit erhobenen Haupt in dieser Partei zu sein“. Die Delegierten hörten es gerne.

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17 Kommentare

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  • "Der designierte Vorsitzende Jan van Aken präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee."

    -->Diese Äquidistanz ist ein ordentlicher Antisemitismus-Skandal: Auf der einen Seite stehen mit Hamas und Hisbollah zwei erwiesene Terror-Organisationen, die Terror verbreiten und auf der anderen Seite ein angegriffener Staat, bei dem Kriegsverbrechen vermutet, aber derzeit nicht nachgewiesen sind. Es gibt eine Klage Südafrikas, die vor unverhohlenem Antisemitismus trieft, und einen Beschluss des Gerichtshofs, dass sämtliche Punkte der Klage - zumindest derzeit - gerade nicht beweiskräftig nachgewiesen sind. Der Gerichtshof rief Israel "nur" auf, keine Kriegsverbrechen zu begehen.

    Hier von "Völkerrechtsverbrechen" noch dazu im Indikativ und nicht im Konjuktiv zu sprechen zeigt, dass die Die Linke nicht gewillt ist gegen den Antisemitismus in den eigenen Reihen (der sich ja neulich in Berlin überdeutlich zeigte) vorzugehen. Man will eben weiterhin die linken Antisemiten in den eigenen Reihen behalten.

  • "... präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee. Israel und Palästina hätten „ein Recht auf Selbstbestimmung und auf Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals Terror und Kriegsverbrechen."



    Wieso ist das ein Kompromiss und nicht selbstverständlich? Wer davon ausgeht, dass das humanitäre Völkerrecht gilt, kann sich nicht auf eine der beiden Seiten stellen.

  • Ich gratuliere der Linken. Zwei hamburgische Großstadt-Akademiker, die eine mit der Gunst der späten Geburt nach Hamburg gekommen, beide im tertiären Bereich, angestellt bei Organisationen wie GEW oder Greenpeace, beschäftigt, dann in die Bundespolitik nach Berlin. Die ewige Großstadt, die immer gleiche Art der Politik: fernab von den realen Zuständen im Land und bei Leuten, ahnungslos im Zusammenhang von Arbeitsmarkt und internationalem Wettbewerb, ideologisch früh festgelegt… Alter Wein in neuen Schläuchen!

  • Der Linke steht frei, welche Themen sie wie besetzt. Nur bezweifle ich schwer, dass sie mit der aktuellen Einstellung die 5% Hürde erreichen wird. Sie ist die Partei eines winzigen Klientel geworden, wie die FDP jetzt auch.

    • @Rudi Hamm:

      Das Klientel der Linken ist nicht winzig 90% der Deutschen würden von der Linken Steuerpolitik profitieren.



      Das Klientel ist nur zu blöd um die Linke zu wählen.

  • "Und tatsächlich gelang am späten Freitagabend das Wunder"



    Ich hoffe doch sehr, das es sich um ein Diskussionsergebnis handelt und es prinzipiell auch sehr logisch nachzuvollziehen ist, wie diplomatisch die Worte abgewogen und gesetzt wurden. An Wunder glauben eher die Eiferer und Gläubigen anderer "Provenienz".



    /



    www.humanistische-...ligioesen-herzens/

  • Die Linke wird die Kriege nicht beenden. Zerfällt sie deshalb unter dem Beifall aller Rechten? Nein. Unendliche Erleichterung.



    Die Linke ist die einzige Partei, die sich um Arme kümmert, sie nicht in unterstützenswerte und weniger unterstützenswerte einteilt. Frau Rakete und Herr Trabert als Europawahl-Kandidaten standen genau dafür.



    Nur wenige sind noch links. Links sein heißt: Internationale Solidarität, die unterstützen, die Hilfe brauchen, ohne Dankbarkeit zu erwarten, Leute nicht für Merkmale verurteilen, für die sie nichts können.



    Je öfter eine Botschaft wiederholt wird, desto mehr Leute glauben sie. Davon wird sie nicht wahrer. Sie kennen die Botschaft, daher werde ich sie nicht wiederholen. Glauben Sie nicht alles. Es gibt immer menschliche Lösungen. Wenn Sie links waren, bitte, bleiben Sie es.

  • "Die Partei kämpft gegen den Fall in die Bedeutungslosigkeit"

    Tja, woran das wohl liegt...Alleine wegen ihrer Ukraine Politik ist die Partei unwählbar

    "...Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung gegen den Angriff Russlands....Wir sagen: Raus aus der Eskalation! Die Bundesregierung hat nun entschieden, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Die ukrainische Regierung wünschte sich das. DIE LINKE lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab."

    Übersetzt:

    "Die Ukraine ist auf jeden Fall im Recht und darf sich verteidigen! Aber mehr als leere Phrasen werden wir nicht in die Ukraine schicken. Wir wissen nämlich besser was die Ukraine braucht als die Ukraine selbst"

    Fällt niemandem in der Partei der Widerspruch auf? Wenn der Ukrainekrieg diplomatisch zu lösen wäre, wäre er längst gelöst. Und auf Russlands maximalforderungen einzugehen ist keine Lösung.

    Ganz zu schweigen von den Genossen die zusammen mit der AfD und BSW Russland ohnehin im Recht sehen...

    • @Pawelko:

      Sehr gut zusammengefasst. Den mangelhaften Umgang mit Antisemiten und deren Verharmlosern in der eigenen Partei ist ein weiterer Punkt, den man ergänzen könnte.Dies bezüglich glänzt die Linke auch eher nur mit Lippenbekenntnissen denen sie allerdings keine Taten folgen lässt.

      Zudem bleibt der bittere Nachgeschmack dass gerade in den Regionen , wo die Linke traditionell stark gewählt wurde, sie einen guten Teil ihrer Wähler*innen ans BSW verloren hat. Sprich sie war gerade wegen diesen autoritären/ reaktionären Kräften in diesen Regionen so stark.

      Aber Hauptsache sich selbst kräftig auf die kranke Schulter klopfen und die alten klassenkampf Parolen hinterm Ofen rausholen. Der Rotbarsch stinkt vom Kopf.

  • Die Partei der Linken agiert wie immer. Sie versuchen, die Erwartungen von CDU, SPD, BILD und FAZ zu erfüllen und bloß nichts Linkes zu beschließen, das den links denkenden Menschen gefallen würde. Schließlich will man ja koalitionsfähig bleiben, mit 3%.

    Wo bleiben denn die Beschlüsse, wo bleibt die Opposition gegen Krieg und Sozialabbau ohne Wenn und Aber? Wo bleibt denn die Erkenntnis, dass beides nicht voneinander zu trennen ist?

    Harmonie ist nicht alles. Und dann noch Ramelow als "Linker". Nee, das sieht nicht gut aus.

  • Das sind gute Botschaften.



    Die Formulierung des Kompromisses zum Nahost-Konflikt klingt ausgewogenen, denn anders, als Manche suggerieren, bleibt es kompliziert und ein Leid kann nicht gegenüber einem anderen aufgewogen werden.



    Die klaren Ansagen Ramelows sind sympathisch. Wenn die Linke so weitermacht, hat sie sich moralisch wenig vorzuwerfen. Dass genügend WählerInnen das zu honorieren wissen, bleibt zu hoffen.



    Das BSW erbt von der Linken zwar viele WählerInnen, scheint inhaltlich allerdings eine andere Richtung einzuschlagen.



    Auch wenn die SPD sich im Vorwahlkampf, frei von Koalitionsketten, deutlich linker positioniert, ist für meinen Geschmack noch Platz auf der linken Seite...

  • Die Zusammenfassung wirkt wenig produktiv, eher wie eine Selbstbeweihräucherung.

  • Der Nahostkonflikt erlaubt keine einseitige Parteinahme, zu komplex ist er und so wenig kann eine Seite das „Gute“ für sich reklamieren. Terror der Hamas ist ebenso abzulehnen wie das einseitig militärische Vorgehen der israelischen Regierung. Wer die israelische Regierung kritisiert ist noch kein Antisemit, wer die Hamas kritisiert ist noch kein verrückter Islamhasser. Wichtig ist es, die Religion außen vor zu lassen und endlich die Probleme der Menschen zu adressieren. Es muss zu einer Koexistenz kommen, wie diese am Ende aussehen wird, muss man sehen. Hier sind auf beiden Seiten Zugeständnisse erforderlich.



    Die Schrillheit auf beiden Seiten, der Diskurs der von den Extremisten bestimmt wird macht eine wirkliche Debatte so schwierig. Das wird die Linke auch nicht sofort ändern, dennoch ist der Beschluss ein richtiges Zeichen.

  • „Egal woher wir kommen, wir alle haben die Pflicht, für die Menschlichkeit einzustehen" - genau so kennt man die Linke. Und bei diesen Sprüchen bleibt es dann...

    • @BierzeltLeitkultur:

      Jetzt, da Sarah weg ist, besteht eine reelle Chance....

  • Untergang in Ruinen !

  • Das hört sich gut an. Nun gilt es abzuwarten, ob das auch so von der neuen Führungsriege, der Gesamtheit der Parteibasis und der Fraktion so umgesetzt wird. Es wäre bitter nötig, auf der linken Seite eine wirksame Kraft zu haben. Die SPD ist bestenfalls noch mattrosa, rot sicher nicht. Die GRÜNEN haben leider !! einen Trend dazu, die Kleinsten und Schwächsten der Gesellschaft zu vernachlässigen. Und das BSW? Das bietet keine linke Politik, die eifern viel zu sehr den Faschisten und deren Parolen nach - aus populistischen Gründen und aus persönlicher Eitelkeit der Chefin.