Geburtenrate in Griechenland: Demografie-Schock in Athen
Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen kamen weniger Kinder in Griechenland zur Welt. Eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Das hat gute Gründe.
Die Anzahl der Sterbefälle im Gesamtjahr 2023 belief sich auf 128.101 und lag damit um 56.646 höher als diejenige der Geburten. Somit wurden 2023 im zehn Millionen Einwohner zählenden Land fast doppelt so viele Sterbefälle wie Geburten registriert. Zum Vergleich: Den höchsten Geburtenüberschuss verzeichnete Griechenland im Jahr 1960. Den 60.563 Sterbefällen standen 157.239 Geburten gegenüber. Das waren noch fast 100.000 Geburten mehr als Sterbefälle.
Das ist lange vorbei. Den letzten Geburtenüberschuss verzeichnete Hellas ausgerechnet im Jahr 2010, in ebenjenem Jahr, in dem Griechenland faktisch bankrott ging. Was folgte, war ein rigoroser Sparkurs in Athen – und anschließend Jahr für Jahr ein Sterbeüberschuss.
Auch erneutes Wirtschaftswachstum ändert nichts
Daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass das einstige EU-Sorgenkind wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt ist. Offenbar kommt beim Gros der Griech:innen davon nicht viel an. Seit 2021 liegt der hiesige Sterbeüberschuss bei jährlich rund 60.000 Personen.
„Das Geburtendefizit in Griechenland wird sich die nächsten Jahre fortsetzen“, sagt auf Anfrage der taz der Demografie-Experte Pavlos Baltas vom Nationalen Zentrum für Sozialforschung (EKKE) in Athen. Baltas legt den Finger in die Wunde: „Dazu hat die Massenauswanderung von etwa 600.000 meist junger Griechen in den Krisenjahren der Zehnerjahre beigetragen. Diese Griechen kriegen Kinder in Berlin, Brüssel, München und anderswo – jedenfalls nicht in Griechenland.“
Denjenigen jungen Griech:innen, die in ihrer Heimat bleiben und Kinder haben wollen, fehlt hingegen oftmals das Geld. Kein Wunder: In Griechenland herrscht – politisch gewollt – eine Trickle-down-Ökonomie („trickle down“ auf Deutsch: „nach unten rieseln“). Sie fußt auf der Überzeugung, wonach der Wohlstand der Reichsten einer Gesellschaft nach und nach durch Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchrieseln und so zu Wirtschaftswachstum führe, von dem letztlich alle profitieren. Maggie Thatcher lässt grüßen.
Negative Sparquote in Griechenland
Ein glühender Anhänger dieser Trickle-down-Ökonomie ist der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis. Mit seiner konservativen Nea Dimokratia (ND) regiert er seit Juli 2019 allein in Athen. Zwar wächst die Wirtschaft maßgeblich dank üppiger EU-Gelder wieder, aber auf niedrigem Niveau. Überdies profitieren nur wenige Griech:innen von dem jüngsten Aufschwung: Mit fast 10 Prozent bleibt die Arbeitslosigkeit weiter hoch. Ferner haben die Griech:innen wegen ihrer niedrigen Löhne und Gehälter mittlerweile die zweitniedrigste Kaufkraft pro Einwohner in der ganzen EU.
Obendrein ist die Sparquote der hellenischen Privathaushalte negativ – das findet man sonst nirgendwo in der EU. Im ersten Quartal 2024 lag die Sparquote bei –5,63 Prozent, im Schnitt der EU-27 lag sie hingegen bei +14,42 Prozent. Die Griech:innen müssen vom Ersparten zehren, falls vorhanden. Ob für die Geburt oder das Großziehen eines Kindes: Die Ausgaben dafür sind zu Füßen der Akropolis zugleich sehr hoch. Vielen Griech:innen bleibt keine andere Wahl: „Kinder? Nein, danke!“
Die Folgen sind fatal: In allen 13 griechischen Regionen übertraf die Anzahl der Sterbefälle im Jahr 2023 jene der Geburten. In Attika, also im Großraum Athen mit rund vier Millionen Einwohnern, kamen ferner im Gesamtjahr 2023 bloß 26.375 Kinder zur Welt. Ihnen standen 43.079 Sterbefälle gegenüber. Auch in der griechischen Hauptstadt wurde somit ein Sterbeüberschuss verzeichnet. Die Regierung Mitsotakis will dagegen vorgehen. Kritiker monieren mit Blick auf die geplanten Maßnahmen: „Zu wenig, zu spät.“
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