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Palästina-Proteste in BerlinPalästina-Demo für grenzenlosen Humanismus

Zahlreiche NGOs rufen am Freitag zum Protest gegen den Krieg in Gaza und deutsche Waffenlieferungen auf – ohne in die üblichen Fettnäpfchen zu treten.

Trotz einem Klima der Angst auf der Straße: Ein Mann auf einer Palästina-Demo Foto: imago / xBabakxBordbarx

Berlin taz | Es ist ein Demoaufruf, der eine Lücke füllt. Am Freitag findet um 17 Uhr auf dem Washingtonplatz am Hauptbahnhof ein Protest unter dem Motto „Für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel“ statt. Gefordert werden der Schutz der dortigen Zivilbevölkerung und ein Stopp deutscher Waffenlieferungen an Israel. Fast 40 Organisationen rufen zur Demo auf, darunter namhafte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und Medico, palästinensische und israelische Gruppen sowie bewegungslinke Organisationen wie die Interventionistische Linke (iL) Berlin.

Es ist einer der ersten Demoaufrufe zum Nahostkonflikt, der in keinen der Fettnäpfe tappt, für die andere Palästina-Proteste nun seit über einem Jahr gegeißelt werden. Bedingungslos werden die zivilen Opfer auf allen Seiten betrauert. Eindeutig alle Kriegsverbrechen verurteilt, egal ob sie von Hamas, Hisbollah oder Israel begangen werden. Im Mittelpunkt steht dennoch Deutschlands Mitschuld am Leid der Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen. Die Bundesregierung schweige zu den Kriegsverbrechen Israels, heißt es im Aufruf – und kriminalisiere im Inneren die Palästina-Proteste.

„Wir wollen ein Demoangebot machen, das einen bedingungslosen Humanismus in den Mittelpunkt stellt, der um alle zivilen Opfer trauert und sich trotzdem klar gegen die Bundesregierung richtet“, sagt Laura Beckmann von der iL Berlin zur taz. In der deutschen Staatsräson-Debatte fehle es oft an Empathie für palästinensische und auch libanesische Menschen. Doch Menschenrechte seien universell. „Es liegt deshalb an uns, der Regierung ein Zeichen zu setzen: Dieser Krieg und deutsche Waffenexporte müssen enden. Sofort“, sagt Beckmann.

Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen sehen „Klima der Angst“

Der Protest spricht ein politisches Spektrum an, das auf Palästina-Demos bisher oft nicht repräsentiert wurde: diejenigen, die sich solidarisch mit Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen fühlen, gegen Staatsräson und deutsche Waffenlieferungen sind – ohne aber Israel als gänzlich koloniales Konstrukt zu sehen oder sich gar antizionistisch positionieren zu wollen. Zahlenmäßig gibt es hier durchaus Potenzial. Umfragen zufolge ist knapp die Hälfte der Deutschen für ein Verbot von Waffenlieferungen nach Israel, über 60 Prozent lehnen Israels Kriegsführung ab.

Das Demobild ist dagegen häufig eher von Extremen dominiert, wie zuletzt die Proteste rund um den 7. Oktober, den Jahrestag des Hamas-Massakers, gezeigt hatten. Antiimperialistische Gruppen hatten ausgerechnet am Jahrestag unter dem dem Motto „Glory to the resistance“ auf die Straße mobilisiert. Und auf der anderen Seite hielten es einige De­mons­tran­t:in­nen für linken Aktivismus, hinter einer großen Fahne der israelischen Streitkräfte aufzulaufen.

Dass das moderate Spektrum bisher kaum präsent ist, dürfte also auch daran liegen, dass diese Positionen auf Palästina-Protesten bisher wenig bis keinen Raum bekommen. Dazu kommt die Repression. Palästinasolidarität zu zeigen, sei oft mit enormen Anfeindungen im öffentlichen Raum verbunden, sagt Beckmann. „Die Leute haben Angst, dass ein Foto von ihnen auf einer Demo sie den Job kosten kann.“ Ihre Hoffnung sei, dass die Namen der großen NGOs nun mehr Menschen die nötige Sicherheit geben, sich auf die Straße zu wagen.

Auch in vielen NGOs habe lange ein „Klima der Angst“ geherrscht, erzählt Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International der taz. Schon länger wollten viele aus der NGO-Szene in der Sache lauter werden. Doch viele Organisationen befürchteten, öffentlich delegitimiert zu werden und informelle Zugänge zu politischen Entscheidungsträgern zu verlieren. Als Schritt, aktiv zu werden, sei im August bereits eine Petition gegen deutsche Waffenexporte entstanden. Nun, zum Protestaufruf, habe sich bei vielen NGOs die Stimmung durchgesetzt: „Wenn alle dabei sind, sind wir es auch“, sagt Beckmann.

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19 Kommentare

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  • Grundsätzlich ja, Bärchen der Nebensatzteil „ Israel als gänzlich koloniales Konstrukt“ läßt mich wieder mal an der eigentlich gebotenen Neutralität zweifeln. Ein echter humanistischer Ansatz würde eben nicht hier einer Begründung suchen, sondern wenn schon, dann auch über den gerade in dieser Region seit Jahrtausenden üblichen „Kolonialismus“ aller Stämme, Völker und Staaten sprechen. Komischerweise wird das Thema aber immer nur im Zusammenhang mit der Wiedergründung des jüdischen Staates beschrieben. Das sollte allen Humanisten echt zu denken geben.

  • Also eine Demo, auf der die Wehrlosigkeit Israels gegen islamistische Terrororganisationen gefordert werden soll, aber man sich immerhin dazu herbeilassen will, diese Terrororganisationen genauso zu verurteilen wie Israel - und damit beide Seiten auf dieselbe Stufe zu stellen. Und, ganz wichtig: Man will sich von den extremistischen "propalästinensischen" Demos distanzieren, aber zugleich beklagen, dass diese "kriminalisiert" würden, also fordern, dass man die Hamas offen bejubeln darf.

    Hinweis an den Autor: Es ist kein Tappen ins Fettnäpfchen, wenn Terrororganisationen und ihre Untaten verherrlicht werden. Es ist eine ernstgemeinte politische Position, die an Eindeutigkeit nichts vermissen lässt.

    • @Budzylein:

      niemand unter den demonstrationsveranstalter*innen fordert die wehrlosigkeit israels gegen islamistische terrororganisationen. das ist wirklich eine öbszöne verzerrung von stichhaltigen argumente gegen waffenlieferungen durch die deutsche regierung, in einer situation, in der erwiesenermaßen wiederholt kriegsverbrechen und verletzung des völkerrechts begangen worden sind.

      ebenso fordert niemand, dass auf demonstrationen in berlin die hamas bejubelt werden darf – die forderung lautet, nicht pauschal alle demonstrationsteilnehmer*innen unter den verdacht zu stellen, sie würden die hamas bejubeln.

  • Wird eigentlich auch der Antisemitismus der Palästinenser erwähnt und verurteilt? Wird der grenzenlose Judenhass in weiten Teilen der arabischen Welt benannt? Wird der Aufruf, die Waffen niederzulegen, auch an die Hizbollah, Huthis, Iran, Hamas gerichtet? Wird die UNO verurteilt, die die Hizbollah und die Hamas gewähren lässt? Wird der Elefant im Raum, der Islamismus, endlich mal von linken und emanzipatorischen Gruppen angesprochen und verurteilt? Wird die Freilassung der Geiseln gefordert? Oder geht es wieder nur gegen Israel? Wer Waffenlieferungen gegen Israel ablehnt, ist nicht für Humanismus, sondern dafür, dass Israel vernichtet wird. Wer das nach dem 7.10. nicht verstanden hat, dem ist wahrscheinlich nicht mehr zu helfen.

  • Der gefeierte Demonstrationsaufruf beklagt den Tod von 42.000 Menschen in Palästina und 1200 Menschen in Israel. Da Hamas keine Differenzierung bei den 42.000 Toten vornimmt und demnächst wohl auch den Terroristenchef Sinwar dazurechnen wird, muss man auf die Zahlen des israelischen Militärs zurückgreifen, die im Frühjahr angaben, dass 14.000 Terroristen getötet wurden. Also beklagt der Demoaufruf den Tod von 14.000 Terroristen und 28.000 Zivilisten in Palästina.

    In Israel werden ausschließlich die Toten beklagt, die am 7. Oktober 2023 ermordet wurden. Die Soldaten der IDF, die bei dem Einsatz in Gaza gefallen sind, ich hatte etwas von 700 Gefallenen gelesen, werden in dem Aufruf nicht erwähnt.

    Also wird in der Veranstaltung der toten Hamasterroristen gedacht aber nicht der toten israelischen Soldaten.

    Ignoranz oder Absicht?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      der gesunde menschenverstand sagt mir, dass das insgesamt 43.900 leben sind, die unter anderen umständen hätten gelebt werden können, und dass es deshalb alles zu tun gilt, für solche anderen umstände einzutreten. die demonstration scheint mir ein richtiger aufruf in genau dieser sache zu sein.

  • Hoffen wir, dass keine von Putin bezahlten Provos herumspringen.

    Freuen wir uns, dass eine universale Menschenliebe über die Nur-gut/Nur-böse-Denkfaulheit einiger auch mal triumphieren könnte.



    Netanyahu (oder der Hamas) alles ungestraft durchgehen lassen, hätte es wirklich nicht sein können.

  • "ohne in die üblichen Fettnäpfchen zu treten. "



    Fettnäpfchen.



    Netter Euphemismus.

  • Was können wir tun, wenn wir nicht bei der Demo dabei sein können oder wollen? Ich kann nicht in Berlin sein. Ich kann aber spenden, Mut machen, schreiben, die engagierten NGOs unterstützen.



    Für morgen habe ich viel Glück gewünscht: Es wäre schlimm, wenn der Frieden schon während der Demo mit Füßen getreten würde.

  • Wieder mal sind die Geiseln keine Erwähnung wert.

    • @Desti:

      Im oben verlinkten Aufruf von Amnesty werden die Geiseln genannt.

    • @Desti:

      Siehe: gerechter-frieden.org/aufruf/ : Erst lesen, dann kritisieren. 3.Satz des Aufrufs: „Etwa 100 Geiseln befinden sich noch immer in Gaza.“

    • @Desti:

      Es geht um alle Opfer. Was ist daran so schwer zuverstehen?

    • @Desti:

      Doch werden sie. Im Aufruf von Amnesty ganz explizit und im Artikel auch (Opfer auf beiden Seiten).

    • @Desti:

      'Bedingungslos werden die zivilen Opfer auf allen Seiten betrauert. Eindeutig alle Kriegsverbrechen verurteilt, egal ob sie von Hamas, Hisbollah oder Israel begangen werden'

      Also wenn man jetzt nicht explizit nach dem Begriff Geisel sucht, sollten obige zwei Sätze eigentlich alles sagen. Wenn man es verstehen will.

    • @Desti:

      Richtig. Die Geiseln und der anhaltende Beschuss Israels werden gerne unter den Teppich gekehrt um Israels Reaktion als Aggression darstellen zu können. Beängstigend, wie das Kalkül der Hamas, Hezbollah und anderer Handlanger des Iran weltweit aufgeht.

      • @Nesliyah Love:

        wie Sei den oben stehenden kommentaren und links entnehmen können, ist diese unterstellung gegenüber den organisator*innen der o.g. demonstration nicht zutreffend.