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Raum für BestattungenFriedhofsunruhe in Berlin

Lange sah es so aus, als könne die Stadt auf viele Bestattungsflächen verzichten. Doch es wird wieder mehr gestorben und der Platz könnte knapp werden.

Platz gibt es, aber wie lange noch? Alter St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Gestorben wird immer, lautet eine alte Binse, die die Zukunftssicherheit des Bestattungswesens belegen soll. Aber was passiert, wenn einer Großstadt der Raum ausgeht, auf dem ihre Toten beerdigt werden können? Eine solche Knappheit droht aus Sicht der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg: Sie kritisiert die fortschreitende Umwandlung bestehender Friedhofsflächen – insbesondere in Bauland. Wenn der Senat nicht umsteuere und ausreichend Flächen vorgehalten würden, träte laut Gennburg irgendwann ein Zustand ein, der die Alltagsweisheit zu widerlegen scheint: „Im schlimmsten Fall kann nicht mal mehr gestorben werden.“

In einer parlamentarischen Anfrage an den Senat wollte die Politikerin wissen, wie viele Menschen in Berlin in den vergangenen Jahren gestorben sind, wie viele auf welche Art in der Stadt bestattet wurden und wie sich im selben Zeitraum die Gesamtfläche der Friedhöfe entwickelt hat. Überraschend ist dabei schon die folgende Erkenntnis: Nahmen die Sterbezahlen in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich ab und erreichten ein Minimum in den Nullerjahren, wachsen sie seitdem wieder, zuletzt sogar deutlich. Im Jahr 2007 registrierten die Behörden 30.980 Todesfälle in Berlin, 2015 waren es 34.278 und 2022 sogar 39.572.

Für das Jahr 2023 gibt die von der zuständigen Senatsumweltverwaltung gelieferte Tabelle bislang die Zahl von 37.588 Todesfällen an, weist aber darauf hin, dass die Statistik noch nicht vollständig ist. Erklärungsansätze für die ansteigende Kurve liefert die Behörde auch gleich mit: So sei einerseits die EinwohnerInnenzahl durch Zuzug deutlich gestiegen und werde weiterhin steigen. Auf der anderen Seite habe sich die Bevölkerungsstruktur der Stadt verändert: Es gebe aktuell wieder viele hochaltrige Menshen, sodass auch die Sterbefallzahlen wieder zunehmen. Allerdings, so Staatssekretärin Britta Behrendt, präge das heutige Bestattungsverhalten die immer häufigere „Wahl von Grabstätten mit wenig Platzbedarf oder außerhalb Berlins und kürzere Nutzungszeiten“.

Urne statt Sarg, der Friedwald im Umland statt des Kirchhofs im Kiez also. Die Senatsverwaltung kommt daher zu dem Schluss, dass sich das Mehr an Toten „nicht wesentlich auf den Friedhofsflächenbedarf auswirken“ werde. Ein politisch fast schon notwendiger Schluss, denn die Antwort auf Gennburgs Anfrage zeigt gleichzeitig den Verlust an Friedhofsflächen seit der Aufstellung des Berliner Friedhofsentwicklungsplans (FEP) im Jahr 2006 auf: Sie sind von 1.174 Hektar im Jahr 2006 auf 1.094 Hektar im Jahr 2023 geschrumpft.

30 Jahre Warten

Der FEP sollte mehrere Probleme auf einmal lösen: Einerseits wurden bei den Trägern der Friedhöfe, also den Kirchen oder den Bezirken, durch den sinkenden Bedarf an Bestattungsfläche die Einnahmen knapp. Andererseits sollten mehr öffentliche Grünflächen entstehen – und Flächen für Bauprojekte. Dabei hat die Entwidmung eines Friedhofs einen relativ langen Vorlauf: Erst 20 Jahre nach der letzten Bestattung kann er geschlossen und beispielsweise als Park genutzt werden, gebaut werden darf sogar erst nach 30 Jahren.

Allzu viele Neubauprojekte anstelle ehemaliger Gräber sind darum bislang noch nicht zustande gekommen, die prominenteste und umstrittenste aktuelle Planung bezieht sich auf den ehemaligen Emmausfriedhof in Neukölln, den heutigen „Emmauswald“. Dagegen wurden schon mehrere Dutzend Friedhofs-Teilflächen in der ganzen Stadt zu Grünanlagen umgewandelt. In einigen Fällen dienen Flächen heute auch als Schulhoferweiterung, Gemeinschaftsgarten oder Gastronomiestandort.

Zwar geht die Senatsverwaltung weiterhin davon aus, dass langfristig 800 Hektar Friedhof für Berlin ausreichen. Katalin Gennburg weist aber darauf hin, dass die Zahl der Erdbestattungen mit ihrem höheren Platzbedarf gar nicht so stark gesunken ist, wie anzunehmen wäre. Das liegt insbesondere an der Zunahme von Bestattungen nach dem islamischen Ritus, der Verbrennung und Urnenbestattung ausschließt. Immer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte entscheiden sich mittlerweile, die letzte Ruhe in Berlin zu finden, was die Bilanz zunehmend ausgleicht: So ist die Zahl aller Erdbestattungen von 6.735 im Jahr 2006 nur auf 6.040 im Jahr 2022 zurückgegangen.

Grüne Flächen schützen

Gennburg kritisiert, dass der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 mehr als 20 Hektar Friedhofsfläche für Bauprojekte vorsieht. Die Stadt müsse aber schon im Sinne der Klimaresilienz grüne und freie Flächen gegen Verwertungsinteressen schützen. Gebe es bürgerschaftliches Engagement gegen den Neubau, wie im Fall des Emmauswalds, werde dieses „unter Verweis auf bürgerliche Gesetze und Bebauungsrechte weggewischt“. „Die Friedhofsfrage wird drängender, aber an der Friedhofspolitik hat sich nichts geändert“, kritisiert die Linken-Abgeordnete den Status quo.

Tatsächlich wurde der FEP bis heute nicht aktualisiert, es gab auch lediglich einen einzigen Umsetzungsbericht im Jahr 2014. Immerhin: Die Senatsumweltverwaltung teilt auf Anfrage der taz mit, eine Überarbeitung des FEP sei bereits in Planung. Dabei würden dann auch neue Anforderungen berücksichtigt, die „mit einer multikulturellen Gesellschaft als auch der notwendigen Anpassung an den Klimawandel“ zusammen­hingen.

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4 Kommentare

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  • Da inzwischen die Mehrheit der Bewohner Berlins gar nicht aus Berlin stammt, und ein sehr großer Teil Single ist, kann man wohl davon ausgehen, dass viele gar nicht hier bestattet werden werden. Viele wollen dann wohl doch in ihrer Heimat - in Deutschland oder im Ausland - ruhen, da, wo ihre Angehörigen auch leben.

  • Berlin hat doch schon mal einen Riesenfriedhof mit eigener S-Bahn in Stahnsdorf gebaut. Brandenburg dürfte noch reichlich Gegend haben.

    • @festus:

      Im übrigen werden die meisten heutzutage doch verbrannt. Urnen kann man wunderbar in Kolumbarien bestatten, und die können durchaus mehrgeschossig sein. Der Platz ist definitiv vorhanden.

  • Kann man die Prognose nicht aus den demografischen Daten ableiten?



    Wir haben statistisch einen "Bauch" an Älteren, in dieser Gruppe ist die Sterblichkeit sicher höher als bei den Jüngeren und die teilweise Untersterblichkeit während der Pandemie ist auch nicht mehr da.