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Big Brother Award für die BahnNackt im Zug

Da­ten­schüt­ze­r:in­nen werfen der Deutschen Bahn Digitalzwang vor. Dafür erhält sie den Big Brother Award. Prämiert wird auch ein Bundesminister.

„Kann ich ein Ticket kaufen?“ – „E-Mail-Adresse bitte?“ Foto: Abisag Tüllmann/bpk

Berlin taz | Mal eben schnell ein Bahnticket am Schalter kaufen, bar zahlen und abfahren. Das wird immer schwieriger. Die Deutsche Bahn setze alles daran, „unüberwachtes Bahnfahren unmöglich zu machen“, so der Verein Digitalcourage. Am Freitag verlieh der Verein deshalb der Bahn den Negativpreis für Überwachung, den Big Brother Award. Der Verein vergibt die Auszeichnung jährlich an Unternehmen und Institutionen, die besonders negativ in Sachen Überwachung und Umgang mit persönlichen Daten auffallen.

„Die Deutsche Bahn erhebt Daten in einer Vielzahl, mit einem regelrechten Digitalzwang dahinter“, kritisiert der Künstler und Datenschutzexperte Padeluun von Digitalcourage. Das Unternehmen wisse in der Regel, wer wann von welchem Startort zu welchem Ziel reise. Aufgrund der beim Ticketkauf anzugebenden Daten sei eine anonyme Fahrt nur noch schwer realisierbar.

Eine individuelle Nachverfolgbarkeit sei gegebenenfalls bis hin zum Sitzplatz möglich. Dass auch Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf solche Daten hätten, sei besonders problematisch angesichts des Szenarios, eines Tages nicht demokratische Kräfte in politischer Verantwortung zu wissen.

Die Datensammlung ist der eine Teil, Digitalzwang der andere. Grundsätzlich ist Digitalzwang ein zunehmendes gesellschaftliches Phänomen – nicht nur bei der Bahn. So setzen etwa Arztpraxen immer stärker auf eine Terminvereinbarung per Onlineplattform, Banken machen die analoge Kontoverwaltung un­attraktiver und teurer, und teilweise braucht man sogar für den Eintritt ins Schwimmbad ein digitales Ticket.

E-Mail-Adresse ist verpflichtend

Die Bahn steht jedoch besonders im Fokus, weil ein Digitalzwang hier das Grundbedürfnis nach Mobilität einschränken kann. So gibt es etwa die Bahncard nicht mehr als Karte, das macht Kauf und Mitnahme für Menschen ohne Smartphone deutlich aufwendiger. Sparpreistickets lassen sich zwar via Website buchen, doch braucht es hier verpflichtend die ­Angabe einer E-Mail-Adresse. Selbst beim Kauf von Sparpreis­tickets am Schalter verlangt die Bahn mittlerweile eine E-Mail-Adresse.

Eine Bahn-Sprecherin sagte gegenüber der taz, die E-Mail-Adresse beim Kauf eines Sparpreistickets am Schalter sei nötig, um zum Beispiel über Verspätungen oder Gleiswechsel zu informieren. Die Bahncard akzeptiere man auch als PDF-Ausdruck – den man sich gegebenenfalls im Reisezentrum erstellen lassen könne. Daher sei niemand zur Smartphonenutzung gezwungen.

Die Zahl der Menschen, die gar keinen Zugang zur digitalen Welt haben, sei „sehr gering“, so die Sprecherin. Im Fernverkehr würden 90 Prozent aller Tickets digital gekauft, im Nahverkehr seien es 78 Prozent. In einer Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands von diesem Sommer gab jedoch knapp die Hälfte der Befragten an, sich etwas oder stark eingeschränkt zu fühlen, wenn ein Fahrkartenkauf nur noch digital möglich wäre.

Auch der hessische Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel hatte Anfang Oktober die Praxis der Bahn kritisiert. Die Digitalisierungsstrategie sei „wenig rücksichtsvoll gegenüber Menschen, die datenschutzbewusst oder wenig technik­affin sind“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Auf taz-Anfrage gab die Behörde an, dass ihr dazu „­zahlreiche Beschwerden“ vorliegen. Allerdings sei man noch in der Prüfung der Datenerhebungspraxis der Bahn.

Weitere Preisträger des Big Brother Awards sind in diesem Jahr die beiden Handelsplattformen Temu und Shein, die sächsische Polizei sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er erhält die Negativauszeichnung für seinen Einsatz für das deutsche Gesundheitsdatennutzungsgesetz und den europäischen Gesundheitsdatenraum. In dessen Rahmen sollen die Daten von europäischen Pa­ti­en­t:in­nen europaweit ausgetauscht und genutzt werden können, was unter anderem der wissenschaftlichen und industriellen Forschung zugutekommen soll.

„Die Patientendaten sollen pseudonymisiert für Dritte zugänglich sein“, sagte Thilo Weichert, Ex-Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins und Laudator Karl Lauterbachs im Vorfeld der Verleihung. „Das wäre kein Problem, wenn damit die Anonymität der Patienten gesichert wäre.“

Doch das sei nicht der Fall, kritisierte Weichert. Im Gegenteil, zahlreiche sensible persönliche Informationen blieben in den Datensätzen und ermöglichten eine Identifizierung. Besonders leicht sei das etwa bei selten auftretenden Erkrankungen oder dann, wenn sich Gendaten, die immer öfter Teil einer Diagnose seien, in den Datensätzen befänden.

Weichert kritisierte auch, dass eine Identifizierung nicht einmal verboten sei. Und im Gegensatz zu den bei den Ärz­t:in­nen befindlichen Daten könnten hier auch Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer Beschlagnahmung darauf zugreifen.

Die Bahn wisse, wer wann von welchem Startort zu welchem Ziel reise

„Es soll einen Paradigmenwechsel beim Patientengeheimnis geben“, beanstandet Weichert. Mit der Weitergabe von Daten an Dritte werde die ärztliche Schweigepflicht über Bord geworfen und das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und Patient leide.

Das Verfahren, das Unternehmen oder Institutionen Zugriff auf diese Patientendaten gibt, sei zudem nicht transparent, und wirksame Strafen für einen Missbrauch seien nicht vorgesehen. Unterm Strich sei das Gesetz daher verfassungswidrig. Das Bundesgesundheitsministerium ließ eine Anfrage der taz zu diesen Fragen unbeantwortet.

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11 Kommentare

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  • Danke an den Verein Digitalcourage.

    Die Bahn hat den Big Brother Award zu Recht bekommen.

    Ältere Menschen ohne digitale Kompetenzen, Behinderte und Arme/Obdachlose ohne digitale Endgeräte werden systematisch aus der Bahn gedrängt.

    Wichtig wäre z.B. wenigstens eine niedrigschwellige "Monats-Bahn-Card" mit nur einem Monat Gültigkeit am Fahrkarten-Automaten der DB anzubieten.

    Als "Papier-Bahn-Card" und ohne Abo Zwang.

    Na ihr schlauen Marketing Fachleute der DB. Das wär doch "der" Werbetrick, die Geldmaschine des Jahrhunderts für die Deutsche Bahn, oder?

    Müssen nur wollen... . ;-)

  • Als ob nichtdemokratische Kräfte digitale Daten bräuchten… die großen Vernichtungskriege waren auch ohne Computer möglich.

    Als Beispiel sei der 30 jährige Krieg genannt.

    Menschen schaffen es immer sich umzubringen, da braucht es keine Datenbank dazu.

  • Eine E Mail Adresse ist verpflichtend. Nur überprüft Zb. am Ticketschalter niemand ob die E Mail Adresse auch stimmt. Auch kann man Trash Mail Adressen angeben.

  • Kann mal bitte mal jemand drüber reden dass Digitalisierung Kosten senkt? Wir sind doch alle an günstigem öffentlichen Nahverkehr interessiert. Je mehr Menschen sich Tickets digital kaufen desto weniger Geld muss für Mitarbeiter an Schaltern ausgegeben werden und deshalb ist es richtig das zu pushen wo es geht.

    Wer beim Ticket Kauf gern ein persönliches Gespräch haben oder anonym bleiben will kann dafür doch eine Service-Pauschale zahlen. Warum sollen dafür alle anderen Kunden mitzahlen.

  • Alles was schief in Deutschland läuft. Besser die ominöse Gefahr vermeiden als handfeste Vorteile erhalten. Die Bahn kann effizienter arbeiten und die Forschung wird Millionen an leben retten. Konkret fällt mir jetzt kein praktisches Beispiel ein wo zu wenig Datenschutz zum Problem geworden ist. Das Gegenteil ist aber tagtäglich zu besichtigen.

  • Der faktische Zwang, Dienstleistungen der Bahn nur auf digitalem Weg in Anspruch nehmen zu können, ist gerade im Hinblick auf ältere Leute schlichtweg eine erbärmliche Sauerei.



    Als Professor für Informatik und Sohn einer Mutter, die sich nicht die Bohne für Computer oder Smartphones interessiert und diese natürlich auch nicht besitzt, kann ich nur konstatieren, dass die DB wieder einmal ihre absolute Naivität gegenüber den Bedürfnissen ihrer Kundschft unter Beweis stellt.

  • OMG und Amazon weiß, was ich so lese und welche Jeans und welche Hemden ich bevorzuge.

    Eine anonyme Fahrt mit der Bahn wäre mir wichtig, würde ich für die CIA oder den Mossad arbeiten.

    Wobei, würde ich das, fände ich wohl Mittel und Wege, das zu realisieren.

    Von daher, was soll's?

    • @Jim Hawkins:

      Der eigentliche Kern bei Digitalzwang ist, dass analoge Möglichkeiten eingeschränkt werden.

      Der alte Senior, der kein Handy zur Verfügung hat. Oder ein leerer Akku, was für den Kontrolleur bedeutet du fährst schwarz. Menschen mit körperlichen Behinderungen, denen der Umgang mit einem Handy aus motorischen Gründen schwerfällt. Ein fucking Grundschüler, der ab 6 oder 7 schon ein digitales Ticket braucht.

      Von daher, DAS soll's.

    • @Jim Hawkins:

      Mit der Bestellung bei Amazon fängt es ja schon an - eine bewusste Entscheidung, die man trifft oder eben nicht inklusive moralischer Bewertung und unter Ausklammerung möglicher Alternativen.

      Wie oft hört man in einer alltäglichen Debatte über Datenschutz solche Argumentationen wie "ich habe ja nichts zu verbergen", "was soll's, die wissen ja eh schon alles" und ganz am Ende steht man als Ewig-Gestriger da, weil man eben nicht völlig unbedacht, so wie ein überwiegender Teil der Bevölkerung, seine persönlichen Daten an Großkonzerne oder sogar halb- bis ganzstaatliche Institutionen verschenken möchte.



      Es geht ja eben auch um das Prinzip, und das wird immer mehr aufgeweicht, weil sich die Menschen immer mehr dran gewöhnen und es immer selbstverständlicher wird, dass man seine Daten unbedacht einfach fast jedem preisgibt, weil es ja ganz normal ist und alle so machen. Die DB ist da eben auch nur Teil des Ganzen.

    • @Jim Hawkins:

      Und die taz kennt zusätzlich zu unserer E-Mail auch noch unsere politische Einstellung 😁

    • @Jim Hawkins:

      Oh my God, das ist diesselbe Haltung wie bei der Aufdeckung des NSA Skandals: "Wer nichts zu verbergen hat, hat doch eh nichts zu befürchten"

      haben für solch eine Einstellung hunderte von Jahren Menschen für Ihre Freiheiten gegenüber den Obrigkeiten gekämpft???

      Nebenbei, wenn Sie alle Informationen bei Amazon mitteilen, ist das ganz alleine Ihre Aktion - die Sie so aber bitte nun nicht al Ihren Mitmenschen anzudichten brauchen