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Jürgen Klopp als schlechtes VorbildVerschwendete Energy

Der Wechsel Klopps zu Red Bull macht wehmütig. Wie alle talentierten Menschen, die Geld mit Blödsinn scheffeln, obwohl sie Zigmillionen haben.

Ja, ist der denn… Foto: Mark Cosgrove/imago

J a, ist der denn bekloppt? Ich gebe zu, das war auch mein erster Gedanke, als der neue Job von Jürgen Klopp als „Head of Global Soccer“ bei Red Bull bekannt wurde. Bei Red Bull! Das kann doch nicht wahr sein. Das ist ja wie Kevin Kühnert bei der CSU.

Wenn es das Gegenteil eines liebenswerten Traditionsvereins gibt, dann die Retortenklubs dieses Getränkekonzerns. Ausgerechnet da geht der nette Jürgen hin, der sich mal als links bezeichnet hat. Der gerade noch tränenreich beim traditionellsten aller Traditionsvereine Abschied genommen und geschworen hatte, nie einen englischen Konkurrenzklub des FC Liverpool zu trainieren.

Für den sie noch einmal „You’ll Never Walk Alone“ gesungen hatten, sogar mit deutschen Farben auf den Tribünen. Fast hätte ich mitgeweint, weil da so viel Zuneigung zu spüren war. Wahrscheinlich hat keiner mehr zur deutsch-englischen Freundschaft beigetragen als Klopp. Der Brexit schien vergessen.

Und jetzt das! Red Bull! Es gab nur einen Trost: Mit meinem Entsetzen war ich nicht allein. Es war überall zu finden. Selbst bei X, formerly known als Twitter, waren sich erstmals alle einig: Klopp bei Red Bull, das geht gar nicht! Viele schrieben, sie hätten den Glauben an das Gute verloren. Es gab kein anderes Thema mehr.

All der Horror, Gaza, Libanon, Ukraine, Hurrikan „Milton“, sogar die Ampel rückte plötzlich in den Hintergrund. Und alle kamen auf den selben Namenswitz: Bekloppt! Ja, lustig, aber kurz. Nach einer Weile wirkte der allgemeine Furor nur noch gemein, und meine Stimmung kippte. Wie immer, wenn alle nur auf einen dreschen, setzte der Schutzreflex ein, und ich fragte mich: Wer ist hier bekloppt? Wohl eher wir.

Der Fußball hat ja den Kapitalismus nicht erfunden

Mich stimmt Klopp wehmütig. So wie alle talentierten Menschen, die Geld mit Blödsinn scheffeln, obwohl sie Zigmillionen haben

Es ist natürlich albern, so zu tun, als hätte Klopp bisher nur Amateurklubs trainiert, einen Verrat begangen und erstmals die Gesetze des guten, alten Fußballsports gebrochen. Der FC Liverpool gehört US-Milliardären, Klopps vorheriger Herzensklub Borussia Dortmund ist eine AG, die für Rheinmetall wirbt, wobei Rheinmetall immerhin zweifellos sehr traditionsreich ist.

So wie der Chemiewerksklub Bayer 04 Leverkusen. Dem hat ganz Fußballdeutschland gerade erst begeistert für die Befreiung von der ewigen Vorherrschaft des FC Bayern gedankt, der wiederum von Katar gesponsert wurde.

Nur Red Bull ist böse. Geben wir es zu: Hinter der Wut auf die unverblümten Kapitalisten steckt Nostalgie, verdrängte Trauer über die Verkommenheit des Fußballbusiness, die wiederum ein Spiegel der Gesellschaft ist. Der Fußball hat ja nicht den Kapitalismus erfunden, er wurde von ihm gekauft. In Liverpool und Dortmund verhüllt die zelebrierte Tradition den Kommerz noch leidlich – und Klopp war der beste Showman in diesem Illusionstheater. Nun steigt er aus. Im Grunde ist das ehrlicher als vorher.

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Nein, ich nehme ihm nichts übel. Red Bull produziert kalten Kaffee, keine Waffen. Und doch macht es mich wehmütig. So wie bei allen talentierten Menschen, die weiter Geld mit Blödsinn scheffeln, obwohl sie schon Zigmillionen haben. Ich verstehe auch nicht, warum Günther Jauch ewiger RTL-Rateonkel bleibt, statt politische Sendungen zu moderieren.

Wobei: Vielleicht ist das auch besser so. Aber, ach, könnten kluge Leute die Welt nicht mehr bereichern? Klopp könnte mindestens Bundeskanzler werden, oder, wenn er unbedingt im Fußball bleiben will, vielleicht ehrenamtlich Chef beim taz Panter FC. Gern auch als Head of Kreuzberg Soccer.

Kein Vorwurf, wenn er das ablehnt. Aber so lange er mit all seiner Energie nur zum größeren Absatz von Koffeindrinkdosen beiträgt, sage ich enttäuscht: You’ll Always Drink Alone!

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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16 Kommentare

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  • Das Argument, er hätte finanziell ausgesorgt, ist Ihre Perspektive als Journalist. Vielleicht will er sich beispielsweise in New York City eine Villa kaufen und dann wird es auch eng. In diesem Sinne wirbt er auch nicht für ca. 15 Firmen, weil er die Produkte so toll findet, sondern weil er auf die Einnahmen von jährlich ca. 10 Millionen nicht verzichten will. Wenn ich für teils zweifelhafte Unternehmen mein Gesicht in die Kamera halte, damit potentielle Kunden das Geld aus der Tasche gezogen wird, bin ich auch kein Linker. Was er vorgibt zu sein und Zuschauer darauf reinfallen, erzählt in erster Linie etwas über die Zuschauer, aber nicht über Klopp. Er ist tatsächlich ein sehr guter Schauspieler, der sich mit "Kloppo" eine Kunstfigur geschaffen hatte. Allein schon die Lache konnte man nicht für "echt" halten. Es ist eher so, dass Fiction und Realität verwechselt wurde, auch die Funktion des Fußballs, als Unterhaltung. Aber das ist nicht Jürgen Klopp anzulasten.

  • Vielleicht gehen erfolgreiche Trainer und Sportler ja auch zu solchen Vereinen, weil dort professionell gearbeitet wird und ihnen keine Vereinsmeyer reinreden.

    Rangnick meinte in seiner Anfangszeit bei Hoffenheim, dass er manche seiner dort praktizierten Methoden bei keinem großen Traditionsclub durchziehen könnte. Und als Hopp angefangen hat, in Vereinsmeyer-Manier Rangnick zu übergehen, hat dieser die Koffer gepackt und ist zu Red Bull gegangen, wo man wohl schon aufgrund der Diversität und Exotik mancher geförderter Sportarten alle ihr Ding machen lässt.

    Vielleicht ist das Problem von Clubs wie Schalke und HSV nicht mangelndes Geld, sondern ihr traditionsbewusstes Denken.

  • Tradition ist ein Marketing-Gag der Fußball-Entertainment-Industrie. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob jemand sich um die ballspielenden Angestellten der Borussia Dortmund GmbH & Co KGAa oder die in Liverpool ballspielenden Angestellten der Fenway Sports Group oder um die ballspielenden Angestellten der Red Bull GmbH kümmert. Fußball wird in der Regionalliga gespielt, alles darüber ist Showbiz. Und bei Tom Cruise kümmert es auch keinen, wenn er morgen bei Universal statt bei Paramount Filme dreht

    • @Jürgen Meyer:

      Richtig. Es wird auch so kommuniziert von den Spielern, Müller hat sich mal richtigerweise als Unterhaltungskünstler bezeichnet. Ich habe Kloppo auch immer für eine Kunstfigur gehalten. Er ist extrem redegewandt und ist tatsächlich Darsteller von Werbeclips. Was seine Funktion als Trainer war, weiß ich nicht, ich kenne ihn nur als Unterhalter.

  • Äh, bitte wie? Der "nette Jürgen hin, der sich mal als links bezeichnet hat."

    Das muss schon was her sein, irgendwann bevor er für die DVAG Kunden und "Vermögensberater"-Nachwuchs warb.

    Die DVAG könnte für die CDU das sein was die AWD für die Sozis ist.

    Links ist ein anderer Sport. Vermutlich auch in anderen Stadien.

  • Als Vor-Boomer (70++) wundere ich mich, dass Günther Jauch als politischer ARD-Onkel schon in Vergessenheit geraten ist: de.wikipedia.org/w...h_(Fernsehsendung)



    @VIGOLEIS: Ein Beitrag zur Statistik: Es ist der vierte Kommentar.

    • @starsheep:

      Ah, merci!

  • Wer nicht sehen will, dass der komplette Profifußball kaputt ökonomisiert wurde, der kann sich natürlich auch die Beruhigungspille geben und nur auf Kloppo und RedBull zeigen. Diese hundsgemeinen Schufte1!11

    • @Nafets Rehcsif:

      Was genau ist da kaputt? 80.000 "Fans" zeigen alleine im Stadion des BVB jeden zweiten Samstag (außer in den Länderspiel und der Sommerpause), dass ihre "echte Liebe" dem Kommerz gilt. In den Stadien der Bundesliga sollen es im Schnitt je mehr als 40.000 sein die dem Kommerz zujubeln und im Wahn des Kapitalismus um Punkte mitfiebern. Von denen vor dem TV und den Millionen, die den Förderern der Spielsucht (Online-Wettanbietern) verfallen sind ganz zu schweigen. "Brot und Spiele" ist seit jeher eines der wichtigsten innenpolitischen Machtinstrumente. Warum sollte da gerade der Kapitalismus eine Ausnahme machen? Der Fußball wurde hier in äußerst effektiver Weise ökonomisch instrumentalisiert und die "Fans" in den Stadien und vor den TVs lieben es.

  • Gut, das ist jetzt, wenn ich richtig mitgezählt habe, der dritte Taz-Kommentar zum Klopp-Wechsel. Also gebe ich auch noch mal meinen Senf dazu, bittesehr.



    "Aber, ach, könnten kluge Leute die Welt nicht mehr bereichern?" Da waren andere schon weiter, denn: Ist das Konzept "Philosophen an die Macht" nicht schon bei Platon gescheitert? Zum Regieren gehört noch mehr dazu außer Klugsein, auch wenn das keinesfalls fehlen sollte. Und ob Jauch für Talkshow-mäßige Einmischung in das politische Geschäft so gut wäre? Jemand, der per Werbung gerade den niedergelassenen Apotheken ans Leder geht?

  • Har jetzt jeder taz Autor einen Kommentar abgegeben oder fehlt noch eine?



    Sorry, aber so wichtig ist Herr Klopp nicht,, trotz Bundesverdienstkreuz.

    • @fly:

      Silke Burmester hat ihr Comeback angekündigt.

    • @fly:

      Zumindest hätten die aktuell drei (männlichen) jeweils eine dunkle Seite des RedBull-Konzerns auszuleuchten versuchen können. Ansonsten spielt Herr Klopp mit Sozialromantik und dann erbost er sich, ned Trainer der nigerianischen Fußballnationalfrauschaft zu werden *lol* ?!?

  • „Der Fußball“ wurde zwar gekauft, hat sich aber bereitwillig kaufen lassen. Und diese ganze Fiktion von „guten“ Vereinen und „bösen Dosenclubs“ ist auch nichts anderes als eine Erzählung, um die nicht des Nachdenkens Gewillten weiter dazu anzuhalten, ihren letzten Euro der Unterhaltungsmaschine Fußball zu geben, sich veräppeln zu lassen und sich dabei noch wichtig und geschätzt zu fühlen.



    Brot und Spiele halt.



    Und ich wage zu behaupten, dass 99 Prozent der Ankläger Klopps , wären sie in der Lage den Vertrag zu kriegen, sofort zusagen würden!

  • Was genau wirft man Jürgen Klopp eigentlich vor? Dass er das macht was ihm gefällt und was er erwiesenermaßen auch gut kann? Dass er aus dem bislang eher städtischen Kosmos wechselt zu einen eher globalen? Geld alleine kann es bei seinen bislang gut dotierten Jobs wohl nicht gewesen sein. Und die Kommerzialisierung des Sports reduziert sich nicht auf Red Bull. Da gibt es schlimmere Unternehmen. Hoffentlich versagt er sich den Sirenenklängen für das Amt eines Bundestrainers. Ein heissblütiger, engagierter Mensch wie Jürgen Klopp würde da sehr schnell verkümmern.

  • Dass die Leute so enttäuscht sind zeigt doch, wie gut die Illusion noch funktioniert, „echte Liebe“ in der Borussia Dortmund AG? Wieviel haben Virgil VanDyke und Mohammed Salah gekostet? Klopp ist ein herausragender Trainer, der sich bei jeder Station weiterentwickelt hat, aber natürlich ist der Profifußball Kapitalismus pur, da kann man noch so viel Folklore drum herum stricken. Und Klopp mag sich links fühlen, er ist aber Teil dieses Zirkus, vermutlich weil er ein guter Trainer ist und damit gutes Geld verdienen kann, was an sich nichts Vorwerfbares ist.



    Allerdings war die Trainernummer bereits fast ausgereizt, zu Bayern gehen? Barcelona? Zurück zum BvB? Na ja….und als Trainer einer Nationalelf wäre der Kloppo wohl unterfordert gewesen, auch wenn ihn viele immer noch gerne beim DFB sähen.



    Aber gut, Red Bull zahlt gut, er kann mehr mit der Familie unternehmen, vielleicht langweilt er sich ja bald und steigt wieder als Trainer ein.