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Neue Unterkunft für geflüchtete MännerLecker Schnittchen und Security

Die Stadt Elmshorn greift vor Eröffnung der Unterkunft für geflüchtete Männer in die Marketingtrickkiste. Sie veranstaltet einen Tag der offenen Tür.

Hier sollen bald 128 Männer leben: Auf dem normalen Wohnungsmarkt in Elmshorn ist diese Gruppe quasi nicht zu vermitteln Foto: Ilka Kreutzträger

S ie stehen da auf dem Sandweg herum, schnell warten etwa 30 Leute, rätseln, was da für gelbe Früchte am Baum hängen („Mirabellen“, sagt eine ältere Dame), treten beiseite, wenn der Security-Mann „Achtung, Fahrzeug“ sagt. Auf einer Bühne spielt ein Duo Gitarre und singt, unter Pavillons ist ein Catering aufgebaut. Wasser, Filterkaffee, Schnittchen, Küchlein. Wer an diesem Herbstsamstag an einer geführten Tour durch die neue Flüchtlingsunterkunft in Elmshorn teilnimmt, kann sich auch kostenlos satt essen und auf knallpinken Würfeln mit der Aufschrift „Elmshorn. Supernormal“ sitzen. Mit diesem Slogan wirbt die Stadt in Hamburgs Speckgürtel für sich.

Nach etwa 15 Minuten kommt ein Mitarbeiter der Stadt in weißem Hemd ohne Krawatte und führt den Tross über das Gelände der ehemaligen Baumschule zu einer Reihe dunkelgrüner, eingeschossiger Container. Es sieht nach Baustelle aus, dabei sollen hier im November 128 geflüchtete Männer einziehen – also jetzt wirklich.

Als der Bau Ende März beschlossen wurde, peilte man die Eröffnung im Juli an. Aber wie das so ist. Der Prozess verzögerte sich, man musste zum Beispiel eine externe Zufahrt zum Baugrund schaffen. Die geplante Straße lehnte die angrenzende Klinik ab, Sicherheitsbedenken.

Sie wollen es hier richtig machen. Mit der Unterkunft, mit der Anwohnern, mit den Schutzsuchenden. Zu einer Infoveranstaltung über das geplante Containerdorf kamen im Mai mehr als 400 Leute. Viele brachten vor, dass die Geflüchteten für die Mädchen und Frauen aus der Nachbarschaft ein Problem seien. Dieser Sorge will die Stadt irgendwie Rechnung tragen. Darum der Tag der offenen Tür.

Grüppchen wechsel dich

Alles ist ordentlich choreografiert: Während die vorherige Gruppe aus einem der Containerensembles tröpfelt, stellt sich die nächste im Halbkreis vor dem Mitarbeiter der Stadt auf, der was erzählt: 96 Wohn- und 18 Funktionscontainer sind geplant, ein Fußballplatz, jeder Geflüchtete soll sein eigenes Zimmer haben, ein Sicherheitsunternehmen wird im Einsatz sein. „Da“, er deutet auf einen der Container, „kommt das Unterkunftsmanagement rein, drei Mitarbeiter werden jeden Tag zu normalen Bürozeiten ansprechbar sein. Ah und jetzt können Sie rein und die Vierer-Wohneinheit angucken.“

Eingangstür, grauer Linoleumboden, ein Vorraum mit zwei Tischchen und vier Stühlen, eine Küche an der Stirnseite, links und rechts geht jeweils eine Wohneinheit mit je zwei Einzelzimmern und einem Bad ab. „Müssen die Männer hier selber putzen?“, will die Mirabellenkennerin wissen. Ja, müssen sie.

„Keine Haken, um was aufzuhängen“, sagt eine Frau, die sich in einem der Einzelzimmer um die eigene Achse dreht. Tür, Schrank, Fenster, Bett, Tisch, Stuhl. Die Besucher tänzeln auf dem engen Raum umeinander herum, öffnen Schranktüren, nicken, gehen wieder raus.

Männer sind eine problematische Gruppe

Wieso sollen hier eigentlich nur Männer wohnen, eine Gruppe, die doch – schon ehe sie überhaupt eingezogen ist – als Problem wahrgenommen wird? „Eine problematische Gruppe, ja, aber wir haben uns die extra ausgesucht“, sagt der Mitarbeiter.

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400 Geflüchtete werden Elmshorn in diesem Jahr wohl zugewiesen, aber der Wohnungsmarkt sei angespannt, selbst Familien schwer unterzubringen. Darum das Extradorf für alleinstehende Männer mit Bleibeperspektive. Denen ist diese Wohnform offenbar zuzumuten. „Später sollen Arbeitgeber herkommen und Jobs vermitteln“, erzählt er. Wie lange sollen die Männer hier bleiben? „Ach, das kann auch Jahre dauern.“

Die nächste Gruppe steht schon draußen, hört sich etwas über Deutschkurse an, die am Anfang aller Integration stehen. „Na, die wollen das doch eh nicht machen“, meldet sich einer im karierten Hemd zu Wort. Kinn gehoben, Unterlippe vorgeschoben, sich seiner Sache sicher. „Das erleben wir anders“, ist die Antwort. „Es ist eher so, dass es zu wenig Deutschkurse gibt.“ Zustimmendes Gemurmel. Karohemd ist überrascht, aber nicht überzeugt, das steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er hebt aber beide Hände: „Okay okay, wenn das so ist, dann ist ja gut.“

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Ilka Kreutzträger
Redaktionsleiterin Nord
Jahrgang 1977, die Soziologin arbeitete lange für die taz nord als Autorin und CvD sowie für den NDR in Hamburg als Nachrichtenredakteurin Online und Radio, ging dann kurz zum stern und war stellvertretende Ressortleiterin Lokales bei der Hamburger Morgenpost. Sie gibt an der Uni Bremen seit 2013 Schreib-Workshops. Seit 2023 ist sie Redaktionsleiterin der taz nord.
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10 Kommentare

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  • Gut gemacht, Elmshorn.



    Ist bestimmt nicht perfekt, aber Einzelzimmer sind wirklich super. Zugang zur Sozialberatung, wahrscheinlich sind das die Leute, die alles managen.

  • Die kleine Stadt geht offensichtlich den richtigen Weg.

    Ich persönlich finde es nur komisch, dass man dort nur Männer aufnimmt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein durchmischtes Miteinander von Geschlechtern, besser ist. Dies betrifft nicht nur Männer. Auch Frauen unter sich sind keine gute Idee.

  • Für Flüchtlinge wird hier offenbar ein autofreies Wohngebiet geschaffen. Warum wird es der Normalbevölkerung in Schleswig-Holstein verboten, autofreie Quartiere zu errichten?

    Der frühere Landesminister Habeck hatte es jedenfalls nicht durchgesetzt, die Stellplatzverordnung des Landes abzuschaffen.



    Übrigens: Nicht mal die AfD prangert diese Benachteiligung an.

  • Flächensparendes Bauen sieht anders aus. Die Kosten je Unterkunft, wenn man einen normalen Baulandpreis im Hamburger Umland ansetzt, wurden nicht verkündet? Offene Grenzen hin oder her - ich finde es falsch, diese Menschen einerseits nicht arbeiten zu lassen, sie andererseits staatlich zu alimentieren. Stattdessen sollte der normale Wohnungsbau liberalisiert werden - dort wäre für jede Einheit z.B. ein Parkplatz fällig geworden.

  • @PUKY

    Ist nun mal so. Wenn die rechten Medien mit Lügen eine Massenhysterie lostreten, dann haben erwachsene Menschen eben auch eine Verantwortung.

    Oder glaubt Ihr "Volk" auch daran, dass die Haitianer*innen die Hunde und Katzen der weissen USAner*innen essen?

    Eieiei.

  • Norddeutsch handelt es sich bei kleinen offenen Türen ja dann um ... Türken.



    Noch mal ernsthaft: Transparenz dürfte fast immer eine gute Antwort gegen die Hassprediger von rechtsaußen sein.

    • @Janix:

      Gegen Hassprediger und AfD Neonazis bringt das gar nichts, aber es ist bürgerfreundlich

  • Danke für den ermutigenden Bericht.

    Was "hier" noch fehlt ist ein*e Regierungsvertreter*in, die/der den Mumm hat, die Wahrheit zu sagen, wie Sánchez in Spanien [1], nämlich:

    - nein, Migration ist nicht schlecht



    - irreguläre Migration ist weniger als 6 Prozent der Gesamtmigration



    - am Besten, wenn die Menschen schnellstmöglich integriert werden



    - ja, dazu braucht es Mittel.

    Na? Wer traut sich?

    [1] www.theguardian.co...to-settle-in-spain

    • @tomás zerolo:

      Wahrscheinlich traut sich Niemand, diese "Wahrheit" zu sagen. Bei der Europawahl hat Sanchez verloren, die Rechtsextreme VOX gewonnen und die Konserativen sind die stärkste Kraft. Welches europäische Volk will im Moment überhaupt solch einer "Wahrheit" folgen ? Sanchez und andere "progressive" Politiker benötigen dringend neue Völker....

  • Danke! Ein sehr guter Artikel.



    Karohemd hebt die Hände und konstatiert, dass ja alles gut ist, wenn es zu wenig Deutschkurse für lernwillige, eingepferchte Flüchtlinge gibt, weil seine Befürchtungen ihrer kriminellen Motive damit entkäftet werden, ist die Mise-en-Scène unserer Gesellschaft.