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Israelische Angriffe auf LibanonAngst vor Bodenoffensive

Nach dem Tod von Hisbollah-Chef Nasrallah gehen die Angriffe Israels auf den Libanon weiter. Iran will mit militärischer Antwort warten.

Ort eines israelischen Luftangriffs in Choueifat Foto: Hussein Malla/AP

Frankfurt am Main taz | Im Libanon wächst die Angst vor einer israelischen Bodenoffensive. Einen Tag nach den Luftangriffen auf Beirut, bei denen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet wurde, hat Israel Truppen in der Nähe der Grenze zum Libanon stationiert. Ein US-Beamter soll dem amerikanischen Sender ABC News gesagt haben, dass „kleinere [israelische] Übergriffe an der Grenze zum Libanon begonnen haben könnten“. In einer Ansprache an die Truppen an der Nordgrenze hatte Israels Generalleutnant Herzi Halevi am Mittwoch gesagt, die israelischen Luftangriffe dienten dazu, „den Boden für Ihren möglichen Einmarsch vorzubereiten“.

Die Hisbollah gab am Samstag bekannt, dass ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah durch einen israelischen Angriff am Freitag ermordet wurde. Mit rund einer Tonne Sprengstoff sollen laut Medienberichten sechs Wohnhäuser und ein darunterliegender Bunker gesprengt worden sein. Ein Minenräumtechniker analysierte für die New York Times, die Flugzeuge hätten amerikanische Bunker-Busters genutzt, die in den Untergrund eindringen, bevor sie explodieren.

Wie viele Zi­vi­lis­t*in­nen bei dem Anschlag getötet wurden, war am Sonntag noch unklar. Verglichen mit ähnlichen Angriffen auf Hisbollah-Kommandeure in Wohnhäusern könnten rund 100 Wohneinheiten zerstört worden sein, die Zahl der Toten könnte bei rund 200 liegen. Die Bergungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen, erst am Sonntag wurde die Leiche Nasrallahs aus den Trümmern geborgen.

„Wir werden nicht aufhören“, warnte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant. Bereits im November drohte Gallant, Israel könne Beirut in Gaza verwandeln. Vor knapp zwei Wochen hatte Gallant eine zweite Kriegsfront gegen den Libanon angekündigt. Israel hat die Zahl der Luftangriffe seitdem massiv verstärkt. Seit Freitag wird das Viertel Dahie im Süden von Beirut bombardiert. Im Süden und Osten des Landes flog Israel am Sonntagmorgen mehrere Angriffe. Dabei seien Lagerhäuser, Agrarflächen und Wohngebiete getroffen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur NNA am Sonntag.

Angriff auf Feuerwehrstation

In der Bekaa-Ebene im Osten zogen Retter mindestens sechs Tote aus den Trümmern. Darunter neun Angehörige einer syrischen Familie, berichtete die Zeitung Annahar. Im Südlibanon sei laut dem TV-Sender Al-Jazeera eine Feuerwehrstation außerhalb von Tyros getroffen worden. Vier Menschen seien getötet und mehrere verletzt ­worden.

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte die Hisbollah begonnen, Raketen auf Israel abzufeuern – und dies mit Solidarität mit den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen im Gazastreifen begründet. Die Gruppe hat einen Waffenstillstand in Gaza zur Bedingung gemacht, um ihre Angriffe einzustellen. Seitdem wurden im Libanon durch israelische Angriffe insgesamt 1.640 Menschen getötet, darunter 104 Kinder und 194 Frauen. 8.404 Menschen wurden verletzt. Alleine in der vergangenen Wochen wurden 1.030 Menschen durch israelische Angriffe getötet, darunter 56 Frauen und 87 Kinder, wie der libanesische Gesundheitsminister am Samstag meldete.

Die israelische Regierung legitimiert ihre Angriffe damit, gegen die Kämpfer und Kommandeure der schiitischen Partei und Miliz Hisbollah vorgehen zu wollen. Jedoch hatte die israelische Regierung zuvor angekündigt, keinen Unterschied zwischen Zi­vi­lis­t*in­nen und Hisbollah-Kämpfern zu machen.

Netanjahu behauptete am Freitag vor den Vereinten Nationen über die Bevölkerung schiitischer Gebiete, in denen die Hisbollah politisch die stärkste Kraft ist: „Sie stellen eine Rakete in jede Küche, eine Rakete in jede Garage.“

Aus dem Iran heißt es derweil, man warte darauf, dass sich die Hisbollah erhole, einen neuen Chef ernenne und neue Kommandostruktur aufbaue, bevor sie ihre Antwort auf Israel plane. Das sagten zwei Mitglieder der Revolutionsgarden der New York Times.

Der Libanon habe keine andere Möglichkeit als einen Waffenstillstand mit Israel, sagte der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati am Sonntag. Die diplomatischen Bemühungen dazu seien nicht abgeschlossen, erklärte Informationsminister Ziad Makary: „Es ist sicher, dass die libanesische Regierung einen Waffenstillstand will, und jeder weiß, dass Netanjahu unter der Prämisse eines Waffenstillstands nach New York gereist ist, aber die Entscheidung getroffen wurde, Nasrallah zu ermorden.“

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4 Kommentare

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  • @BUDZYLEIN

    40000 Tote in Gaza? Ein ganzes Gebäude mit (man weiss es noch nicht) 200 Zivilist*innen darin in die Luft sprengen, um Nasrallah "auszuschalten"? In Beirut bomben, ohne sich mit Libanon im Krieg zu befinden?

    Abgesehen von dem, was im Westjordanland im Windschatten des Horrors gerade passiert.

    Nein, Verteidigung ist das ganz bestimmt nicht. Lange nicht mehr.

    • @tomás zerolo:

      Doch, es ist weiterhin Verteidigung. Die Hamas und die Hisbollah, die die jetzigen Kriege angefangen haben, führen weiter Krieg. Die Hamas hält weiterhin die Geiseln gefangen, und die Hisbollah feuert weiterhin Raketen auf Israel.

      Und:

      1. Die Zahl von 40.000 Toten in Gaza ist nicht gesichert, aber Sie blenden aus, dass unter der von Ihnen genannten Zahl ein großer Teil Hamas-Terroristen ist.



      2. Sie suggerieren, Nasrallah sei ausschließlich von Zivilisten umgeben gewesen. Das stimmt nicht.



      3. Der letzte Krieg zwischen Israel und dem Libanon ist nicht beendet worden, vielmehr besteht seit 2006 ein Waffenstillstand. Zu den Bedingungen des Waffenstillstands gehört nach der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates, dass die Hisbollah zu entwaffnen ist und keine Truppen südlich des Litani haben darf. Diese Bedingungen hat der libanesische Staat nicht eingehalten, sondern zugelassen, dass die Hisbollah weiter aufgerüstet und Israel angegriffen hat.

  • Netanjahu und seine Crew sind von allen guten Geistern verlassen.

    • @tomás zerolo:

      Wieso denn? Die Hisbollah hat Israel angegriffen und schießt weiter mit Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung, von der Zigtausende ihre Wohnungen verlassen mussten. Jetzt haben die israelischen Streitkräfte die Hisbollah schwer geschwächt, und es ist nur konsequent, diesen Vorteil auszunutzen und zu versuchen, die Hisbollah zu zerschlagen, ihre Machtposition im libanesischen Staat zu beseitigen und den israelischen Binnenflüchtlingen eine Rückkehr in ihre Wohngebiete zu ermöglichen.