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Corona-AufarbeitungCoronagremium vor Beginn geplatzt

Nächster Ampel-Streit: SPD und FDP können sich nicht einigen, wie die Pandemiepolitik aufgearbeitet werden soll.

Rutschige Partie: Die Aufarbeitung von Coronamaßnahmen, wie dieser, verschiebt sich ins Ungewisse Foto: Da­vid Weyand/imago

Berlin taz | Nun kommt auch die Bestätigung der SPD: Es wird im Bundestag kein neues Gremium zur Aufarbeitung der Maßnahmen während der Coronapandemie geben. „Es wird keine zusätzliche Aufarbeitung in dieser Legislaturperiode geben“, sagte Katja Mast, die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, am Mittwoch in Berlin. Das ist die bisher deutlichste Absage.

Dabei ist die Aufarbeitung dem Vernehmen nach daran gescheitert, dass sich SPD und FDP nicht auf ein entsprechendes Format einigen konnten. Nach Angaben beider Seiten konnten sich die Par­la­men­ta­rie­r:in­nen nicht verständigen, ob ein sogenannter Bür­ge­r:in­nen­rat oder eine Enquetekommission mit eine Analyse der Pandemiepolitik betraut werden sollte.

Vor allem SPD und Grüne haben sich die Einberufung eines Bür­ge­r:in­nen­ra­tes gewünscht. Die Ampelparteien hatten in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie für bestimmte Themen dieses Gremium durch den Bundestag einsetzen wollen. So haben etwa 160 Mitglieder des Bür­ge­r:in­nen­rats zum Thema Ernährung, die per Los gewählt wurden und einen Querschnitt der deutschen Bevölkerung abbildeten, unlängst ihre Empfehlungen an das Parlament übergeben.

Statt eines Bür­ge­r:in­nen­rats hatten sich die Liberalen jedoch für eine Enquetekommission ausgesprochen. Diese Kommissionen werden in der Regel mit Bundestagsabgeordneten und Ex­per­t:in­nen besetzt. Zuletzt gab es laut Medienberichten in der Ampel die Überlegung, als Kompromiss sowohl einen Bür­ge­r:in­nen­rat als auch eine Enquetekommission zu berufen. Doch auch hier sollen sich wieder SPD und FDP nicht einig geworden sein: Es gab Streit über die Besetzung der Enquetekommission.

FDP wohl skeptisch über Länderbeteiligung

Die FDP soll skeptisch gewesen sein, ob überhaupt, und wenn ja, welche Län­der­ver­tre­te­r:in­nen dabei sein sollen. Die SPD habe wiederum unter allen Umständen die Länder dabeihaben wollen. Eine politische Aufarbeitung auf Augenhöhe könne nur so stattfinden, sagte Mast. Während der Coronapandemie war vor allem die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen­kon­fe­renz in Verantwortung, weshalb die SPD zusätzlich eine Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen hatte.

Da in einer Enquete­kommission jedoch nur Ver­tre­te­r:in­nen des Bundestags und Ex­per­t:in­nen sitzen, hätten dafür Plätze der Letzteren an ­Lan­des­ver­tre­te­r:in­nen gehen müssen. Eine Alternative wäre deren Vorladung zu einer Anhörung. Das wollte die SPD jedoch nicht, um ein „Tribunal gegen einzelne Minister“ zu vermeiden­. Das Fazit für Katja Mast: „Die Koalition hat nicht die Kraft, die Pandemie nur mit einem Bürgerrat aufzuarbeiten.“

Die Grünen seien wiederum bereit gewesen, alles mitzutragen, worauf sich SPD und FDP geeinigt hätten, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge laut dem Portal t-online. Am Vortag hatte sie Zweifel daran geäußert, ob die Pandemiemaßnahmen noch in dieser Legislaturperiode aufgearbeitet würden.

„Ich muss zu meinem großen Bedauern feststellen, dass es keine gemeinsame Schnittmenge zwischen SPD und FDP über die Frage gibt, wie diese Aufarbeitung stattfinden soll“ sagte sie. Die Grünen seien „komplett offen“ gewesen für jedes Format.

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle zweifelte bereits Ende September daran, dass sich die Ampelkoalition auf einen gemeinsamen Weg einigen könne. „Es gibt derzeit im Deutschen Bundestag leider keine Mehrheit für ein bestimmtes Modell, in welcher Form die Corona-Aufarbeitung stattfinden soll“, sagte er dem ZDF. Dies sei eine schlechte Nachricht, angesichts mutmaßlicher Verletzungen und Grundrechtseinschnitte während der Coronapandemie.

Katja Mast betonte, dass eine Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen auf Regierungsebene dennoch stattfinde. Sie verwies auf Reformen im Gesundheitsbereich, die auch die Erfahrungen in der Pandemiezeit berücksichtigen würden.

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22 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in
    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.         
  • "Die Grünen seien wiederum bereit gewesen, alles mitzutragen, worauf sich SPD und FDP geeinigt hätten"

    Besser lässt sich die Relevanz der Grünen in dieser Regierung nicht beschreiben.

    • @Frank N. Stein:

      Sorry, das verstehe ich anders. Die Grünen wollen Aufarbeitung, aber nehmen nicht noch eine dritte Position ein, weil ihnen das Format dafür zweitrangig ist. Statt für noch mehr Streit zu sorgen, geben sie das Signal an die Streithähne, sich zu einigen. Ihre Interpretation geht an der Sache vorbei .

  • Eine Schande, sich nicht einmal über die Art der Aufarbeitung einigen zu können.



    Geschweige denn über die Pandemiefolgen selbst.

    Und inzwischen wird die AfD (bei uns die FPÖ) stärker und stärker....

  • “… 160 Mitglieder des Bür­ge­r:in­nen­rats zum Thema Ernährung, die per Los gewählt wurden und einen Querschnitt der deutschen Bevölkerung abbildeten”

    Stimmt nicht. Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und niedrigerem Einkommen waren drastisch unterrepräsentiert, so wie fast überall.

    Also genau die Menschen, die während der Pandemie eben nicht auf Homeoffice umschalten konnten oder deren größte Sorge es war, ob die Berliner Clubkultur überleben würde.

    • @Suryo:

      Ich hab jetzt nichts dazu gefunden, könnten Sie den link oder Stichworte gehen für die Zusammensetzung des Bürgerrats?

  • Und wieder das gleiche Muster: die Kirmes-Partei FDP pfeift auf die Koalitionsvereinbarungen und nutzt dieses medienpräsente Thema Covid um Aufmerksamkeit zu erreichen. Unseriöser kann eine Partei kaum handeln. Und worum geht es? Nicht etwa um Aufklärung und künftige Fehlervermeidung. Nein, es geht ganz allein darum, Aufmerksamkeit zu generieren um ein paar Stimmen -eventuell- aus irgedeiner Ecke zu ergattern. Verantwortungsbewusstsein ist das krasse Gegenteil von dieser Handlungsweise. Pfui Teufel.

    • @Perkele:

      Hä den Schwarzen Peter hier der FDP zuzuschieben, aber die SPD zu vergessen ist großer Quatsch.



      Die SPD hätte auch dem FDP Vorschlag zustimmen können.



      Aber da war die Angst dann doch zu groß, das dann vorallem SPD Politiker schlecht da stehen, wie Scholz oder vor allem Lauterbach.

      • @Walterismus:

        Ja klar. Die SPD hätte ja auch dem FDP Vorschlag zustimmen können. Und alle anderen ebenso - diese Kirmes-Partei ist ja so unglaublich stark, meinigsprägend und selbstlos.... Es steht ja auch gar nicht in der Koalitionsvereinbarung, es ist ja auch überhaupt nicht die Frage der Mehrheit - es ist ja nur ein Wahlkampfmanöver einer 3% Splitterpartei. Und Quatsch ist schon gar nicht, den hauptamtlichen Querulanten zu benennen. Wen denn sonst?

  • Vermutlich schlittern wir ähnlich in die nächste Pandemie wie in die letzte.

    Die Entscheidungen zu treffen waren natürlich schwierig, da auch wenig Erfahrung mit dem Thema bestand. Ich vermute die wenigsten würden das gerne übernehmen, wenn sie wirklich was zu entscheiden hätten. Manches lief gut manches schlecht. Warum man sich dagegen entscheidet, daraus zu lernen erschließt sich mir nicht auch wenn ich die Sorgen nachvollziehen kann.

    Ein Bürgerrat finde ich für das Thema aber komplett ungeeignet, da es doch schon recht komplex ist. Fragen, wie zum Beispiel mögliche triagen zu treffen, wie waren die Voraussetzungen bezgl Intensivstation, gebe es bessere Wege für Kommunikation, Logistik, medizinisches Material und Medikamente und und und.

    • @Hitchhiker:

      Richtig!

      Wenn schon Mediziner sich in Fachfragen uneins sind, wie sollen Laien sie dann abschließend beurteilen? Kraft des gesunden Volksempfindens, vermittelt durch die BILD?

  • Spahn war eine krasse selbstbezogene Fehlbesetzung, der Maskeneinkauf teils eine CSU-Spezlwirtschaft, aber insgesamt hat man umsichtig, wissenschaftsgestützt, soweit möglich, ... agiert.



    Schulen wären im Nachhinein länger offengeblieben. Vielleicht wäre eine klar kommunizierte Impfpflicht für alle oder das Pfeifen auf Tote vor der Durchimpfung politisch einfacher gewesen - doch letztlich ging es.

    Das würde herauskommen, vermutlich, vielleicht mit ein bisschen heuchlerischem ADi-Getue für Social Media gemischt.



    Jetzt weiter im Text, und Spahn und die CSU aus der nächsten Regierung möglichst raushalten.

  • Interessant ist nur die Aufarbeitung der ersten beiden Monate Januar und Februar 2020, als ein Anhalten der Pandemie und die Ausrottung dieses Virus bei Menschen noch möglich gewesen wären. Jens Spahn und Prof. Wieler haben die Augen zugemacht ("Keine Gefahr für die Bevölkerung" hieß es, oder so ähnlich), selbst nach dem durch Hinweise aus China erkannten Ausbruch in München im Januar, und damit an Wichtigkeit gewonnen.

    Alles war später passierte, war hektisches hin und her unter der Maßgabe, dass Maßnahmen aufgehoben werden, wenn sie zu wirken beginnen bzw. wenn ihre Durchführung (wie Kontakt-Nachverfolgung) aussichtsreich gewesen wäre, und dass keine erkennbare Abwägung zwischen Nutzen und Einschränkungen erfolgte (z.B. Verbot, dass drei Personen aus Einzelhaushalten gemeinsam spazieren gehen).

  • Aufarbeitung bedeutet in Deutschland mittlerweile nicht mehr, zu analysieren, wie man mehr Menschen hätte retten und zb die Impfungen schneller und effizienter einsetzen können, sondern Rache für die Querdenker.

  • Die wahren Opfer der Pandemie sind die fast 200.000 Toten und nicht irgendwelche Heulsusen, die immer noch nicht verkraftet haben, dass sie im Frühjahr 2020 nicht ins Restaurant durften.

    Wenn etwas aufgearbeitet werden muss, dann die diversen Fehler, die sich bei der nächsten Pandemie nicht wiederholen dürfen.

    Kein anderes Land macht noch so ein Gewese um die zeitweiligen Einschränkungen der Grundrechte. Man kann sich Traumata auch einreden und die Heilung durch ständiges Rühren an der Wunde verhindern.

    • @Suryo:

      Eine der besten und treffendsten Zusammenfassungen zu diesem Thema.



      Vielen Dank.

  • Es ist immer wieder ein Genuss zu sehen wir sich die einst sozialdemokratische Partei Deutschlands von der FDP am Ring durch die Manege führen läßt.

    Da wird doch schnell klar: So einen starken Kanzler hatten wir lange nicht !!!

  • Einfach noch ein paar Jahre aufschieben dann können wir die Verhinderung der Aufarbeitung aufarbeiten, wahlweise durch einen Bürgerrat oder eine Enquetekommision.

  • Kann das Geld bitte anderweitig verwendet werden?

    Was genau ist denn die Erwartung an diese „Aufarbeitung“? Dass sich alle Leugner und auch Nichtleugner am Ende irgendwie bestätigt sehen?

    Ich kann jetzt schon sagen was rauskommen wird: Manche Maßnahmen waren richtig, andere falsch und von manchen weiß man es nicht genau. Und bei der nächsten Pandemie ist es eh vom Erreger abhängig, was man macht und was nicht.

    In anderen Ländern hat man Corona längst abgehakt. Aber Deutschland muss das erst noch aufarbeiten. Meine Nerven.

    • @Gnutellabrot Merz:

      So ist es - der Ruf nach "Aufarbeitung" ist vermutlich als Entgegenkommen für die Querdenker gedacht. Man erweckt den Eindruck, man nähme deren Sorgen ernst, um sie aus den Klauen der AfD zu holen. Ich glaube, man bräuchte stattdessen einfach einen aus der Erfahrung optimierten Plan, damit es beim nächsten mal besser läuft und man nicht wieder bei 0 anfangen muss.

      • @Axel Donning:

        Genau das wird aber passieren. Es wird immer noch kein zentrales Impfregister geben, Gesundheitsämter werden unterbesetzt sein und am Freitag pünktlich ins Wochenende starten, die Regeln werden sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, und die Schulen werden es wieder nicht schaffen, schnell auf Online-Unterricht umzustellen.

        All dem vorzubeugen, ist nämlich nicht das, was man in Deutschland unter Aufarbeitung versteht.

        Ich warte nur noch auf die Forderung nach einer Nationalen Gedenkstätte für Leute, die den Maskenzwang im Supermarkt als Gewaltherrschaft empfanden. Jana aus Kassel in Cortenstahl, mit Kranzabwurfstelle.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Richtig!

      Der Witz ist, dass die Einschränkungen in Deutschland ja gar nicht so schlimm waren. Zwei Monate lang nicht die Wohnung verlassen zu dürfen, auch nicht die Kinder, dass ist eine echte Einschränkung. 40 Millionen Spanier haben sie abgehakt und verkraftet. Aber hier heulen einige immer noch, weil die Möbelhäuser in NRW nicht die ganze Zeit geöffnet hatten oder wegen ähnlichem Firlefanz.

      Dahingegen völlig vergessen scheinen die von Querdenkern verübten Verbrechen, von Bedrohung über Mord bis zur versuchten Erstürmung des Bundestages.