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Rückzug der Grünen Canan Bayram„Ich will kein Feigenblatt sein“

Die Kreuzberger Grüne Canan Bayram wird nicht erneut für den Bundestag kandidieren. Sie sieht die Glaubwürdigkeit der Partei infrage gestellt.

Canan Bayram im Widerspruch zu ihrer Partei Foto: Imago(Christian Ditsch
Erik Peter
Interview von Erik Peter

taz: Frau Bayram, Sie treten bei der Bundestagswahl nicht mehr für die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg an. Wieso?

Canan Bayram: Zum einen ist für mich der Kreisverband nicht mehr so im Wahlkreis vernetzt, wie ich das von früher aus Zeiten meines Vorgängers Hans-Christian Ströbele her kenne und ich das für meine politische Arbeit bräuchte. Auch gab es interne Vorkommnisse, die dazu führen, dass ich Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr versprechen kann, dass sie mit ihren Problemen kommen können und einen diskriminierungsfreien Raum vorfinden. Des Weiteren kann ich in Teilen nicht mehr sagen, was überhaupt noch grüne Positionen sind.

Im Interview: Canan Bayram

Die 58-jährige Rechtsanwältin ist seit 2017 Mitglied des Bundestags als direkt gewählte Abgeordnete in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg-Ost. Zuvor saß sie für die Grünen im Abgeordnetenhaus.

taz: In der Politik von Fraktion und Bundespartei?

Bayram: Auf allen Ebenen meine ich das. Mein Anspruch an Politik ist es, aus dem Wahlkreis die Fragen ins Parlament und die Fraktion zu tragen und dann die Antworten auch aus grüner Programmatik zu geben. Manchmal finde ich da noch Antworten, aber immer öfter tun sich da Widersprüche auf, die ich nicht mehr auflösen kann, sodass ich den Menschen nicht mehr erklären kann, wofür die Grünen eigentlich stehen.

taz: An welchen inhaltlichen Punkten stoßen Sie sich?

Bayram: Die Friedenspolitik ist ein Thema, dass ich in der Tradition von Hans-Christian Ströbele immer mit meinem Abstimmungsverhalten im Bundestag vertreten habe. Seien es Waffenlieferungen oder rüstungspolitische Entscheidungen – ich kann nicht mehr sagen, was die Position der Grünen ist.

taz: Die Positionen sind doch eindeutig – es sind nicht Ihre.

Bayram: Manches, was in der Fraktion entschieden wird, steht im Widerspruch zu den programmatischen Grundprinzipien, die wir programmatisch entschieden haben. Damit ist die Glaubwürdigkeit der Grünen infrage gestellt. In der Konsequenz kann ich dafür nicht mehr mein Gesicht an die Laterne hängen.

taz: In welchen Punkten sind Sie noch enttäuscht vom Kurs der Partei?

Bayram: Die soziale Frage, zu der auch das soziale Mietrecht gehört, das Migrationsthema, es sind sehr viele Themen, die sich auch exemplarisch in meinem Wahlkreis widerspiegeln. Was mich besonders stört, ist, dass wir uns als Grüne einmal in Politikfeldern wie Innen- oder Kriminalpolitik an evidenzbasierten inhaltlichen Lösungen orientiert haben. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass wir uns viel mehr an populistischen Diskursen beteiligen, statt die eigentlichen Lösungen zu diskutieren.

taz: Das linke Feigenblatt wollen Sie nicht mehr sein?

Bayram: Bei Abstimmungen etwa zum Sondervermögen für die Bundeswehr oder zur Aufweichung des Klimaschutzgesetzes wird gesagt, bei uns stimmen auch Leute dagegen. Ich kriege dann haufenweise positive Zuschriften von Parteimitgliedern. Aber ehrlicherweise weiß ich, der Umstand, dass ich dagegen gestimmt habe, hat faktisch für die Fraktion kein großes Nachdenken ausgelöst. Man schmückt sich mit mir als Feigenblatt, aber dafür gebe ich mich nicht mehr her.

taz: Stellen Sie auch Ihre Mitgliedschaft infrage?

Bayram: Ich will auf jeden Fall weiter Politik machen und werde dies auch bis zum Ende der Legislatur zum Wohle der Bevölkerung in meinem Wahlkreis tun. Aber im Parlament sehe ich das perspektivisch weniger. Da wird mehr Disziplin eingefordert als eine offene Debatte geführt. Da sehe ich nicht, dass sich im Sinne von grüner Positionierung, Glaubwürdigkeit oder auch nur Sichtbarkeit etwas zum Guten wenden kann. Ich will mich weiter in der Partei einbringen, um gemeinsam Dinge zu verbessern. Aber ich sage auch deutlich: Ich will in den Austausch mit den jungen Mitgliedern treten, die gerade aus der Grünen Jugend und der Partei austreten.

taz: Ist es nicht mit der Austrittswelle bei der Grünen Jugend zu spät für eine linke Wende bei den Grünen?

Bayram: Das sind Fragen, denen ich nachgehen will, auf die ich aber noch keine Antworten habe.

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8 Kommentare

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  • Auch Sie übersieht, dass die Parteien und ihre Politik für Deutschland arbeiten, und nicht Deutschland für die Parteien. Steht so auch im Amtseid.

  • Es könnte natürlich auch daran liegen, dass sie für die Wahl 2025 nicht mehr nominiert wurde. So etwas kommt vor, wenn man öfter gegen die Fraktion stimmt.

  • Ich kann den Schritt von Fr. Bayram gut nachvollziehen, denn ich bin ihn schon vor einiger Zeit gegangen. Die "alten" Werte, für die die Grünen standen (ökologisch, pazifistisch, sozial, basisdemokratisch etc) verlieren an Bedeutung und werden teils aufgeweicht, teils regelrecht verraten, so dass man tatsächlich nicht mehr weiß, wie man diese Politik erklären soll.

    Da nun nach den Fundis der ersten Stunde auch der gesamte fortschrittliche Flügel von Bord geht, kann man auf eine Wende zum Besseren innerhalb der Grünen natürlich nicht mehr hoffen - aber das war ja vorher bereits aussichtslos, was schon lange bei Allzuvielen zu Frustration und jetzt zum Austritt führte. Die Frage ist, wo man nun seine neue politische Heimat findet -



    mich hat es vorerst zum BSW verschlagen, wo wenigstens die Friedens- und Sozialpolitik gut aufgehoben sind. Am ökologischen und basisdemokratischen Thema müsste man hier freilich noch arbeiten - oder die Chance am Schopf packen und eine ganz neue Perspektive entwickeln.

  • Kein Verlust

  • Leider haben sich die Grünen nicht so positioniert wie die FDP in der Ampel.

    Dann wäre es entweder gleich vorbei gewesen mit der Regierung, oder die Grünen hätten mehr eigene Themen durchgesetzt.

    Leider hat das die Grüne Parteispitze bis heute nicht verstanden und lässt sich von der FDP durch die Manege treiben.

    Schade, die Fehler wurden ganz klar am Anfang bei der Positionierung in der Regierung gemacht.

  • Ja, ich sehe es tatsächlich als Hauptproblem der Grünen, dass sie sich "viel mehr an populistischen Diskursen beteiligen, statt die eigentlichen Lösungen zu diskutieren".



    Das führt notgedrungen zum Verlust der grundsätzlichen Haltung & eigener Positionierung zu Dingen und Themen. Schlimmer noch: das führte zum permanenten Buckeln vor allen anderen.



    Damit haben sie für mich - als bis vor kurzem noch letzte wählbare Partei der relevanten - ihren letzten Rest an Glaubwürdigkeit verloren...

    • @HopeDrone:

      Die Glaubwürdigkeit ging verloren, da sie sich ohne öffentliche Kritik zu üben an faulen Kompromissen mit der FDP und SPD beteiligten, nur um der Gefahr zu entgehen, die "Ampel" opfern zu müssen und dann nicht mehr gewählt zu werden. Scheinbar gilt die Devise, nur keinen Wirbel verursachen und keine schlachten Medienberichte verursachen; a la Heizungsgesetz. Letztes war und ist ein Trauma für die Grünen.



      Ob das wieder geheilt werden kann, lässt sich bezweifeln, da die Austritte und Abgänge von Parteimitgliedern ja nur die Spitze des Eisberges sind.

  • Oooh, es gibt sie noch, die Grünen, die für die ehemaligen Grundwerte der Grünen stehen. Aber es scheint, als werden es weniger. Die Jugend tritt teilweise aus, Frau Bayram zieht auch Konsequenzen. Nur oben, da geht es wohl unter dem Motto, Augen zu und durch, um dann festzustellen, die nächste Landtagswahl hat man auch versemmelt.